Kunstwerk Mensch | In Zeiten von Corona #9

Was kehrt Ihr alles um! Als ob der Ton dem Töpfer gleich wäre, dass das Werk spräche von seinem Meister: Er hat mich nicht gemacht, und ein Bildwerk spräche von seinem Bildner: Er versteht nichts! (Jesaja 29,16) – Alle miteinander bekleidet euch mit Demut (1. Petrus 5,5) | Herrnhuter Tageslosung für den 25. März 2020

„Sie ist Wachs in meinen Händen“ prahlt der Jüngling über seine neuste Eroberung und löst damit so manche Männerfantasie bei seinen Freunden aus. Pygmalion erschafft sich aus Elfenbein seine gefügige Traumfrau; und Professor Higgins performt als Erweis seiner Brillanz als Sprachwissenschaftler aus dem Proletariermädchen Eliza Doolittle eine (Fast-)Herzogin. So geht es zu, wenn Menschen als Material verstanden werden und Meister sie als Werke ihrer Grandiosität darstellen.

Deshalb ist mir die heutige Tageslosung unsympathisch. Ich will meine Gottesbeziehung nicht in diesen narzisstischen Bildern ausgedrückt wissen. Ton in eines Töpfers Hand, willenlose Kreatur ohne Recht zum Widerspruch, Marionette mit Auftrag zur Unterwürfigkeit und Allakzeptanz – das entspricht nicht meinem Selbstbild. Vor allem aber entspricht es nicht meinem Gottesbild. Weiterlesen

Erlöser, Befreier, Lebens-Stifter

Ich weiß, dass mein Erlöser lebt. (Hiob 19,25)

Der November ist für viele Menschen kein guter Monat. Manche haben regelrecht Angst vor diesen Wochen: Es wird kalt, dunkel und nass; und spätestens mit dem Volkstrauertag und dem gemeinsamen Gedenken an unsere Verstorbenen am Ewigkeitssonntag legen sich Schatten auf die Seelen. Genau in diese Stimmung hinein spricht der Monatsspruch für den November: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“ (Hiob 19,25). Weiterlesen

War Jesus liberal?

Ein sehr bekannter Theologe und Kirchenmann des 20. Jahrhunderts, Ernst Käsemann, hat diese Frage Ende der Sechzigerjahre so gestellt und beantwortet: „Der Ruf der Freiheit“, erschienen bei Mohr-Siebeck, Tübingen 1968, Seite 19ff. Ich stelle sie uns heute auch und suche sie auf meine Weise zu beantworten.

Jesus zeigt in vielen Worten und Handlungen, wie Er seinen Ruf der Freiheit in die Tat umsetzt. Ich nenne als erstes Beispiel sicher das berühmteste: das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (vgl. Lukas 10,25-37; Markus 12,28-34; Matthäus 22,35-40). Die jüdischen Tempel-Bediensteten, Priester und Levit, lassen den unter die Räuber Gefallenen unbeachtet liegen und ziehen weiter ihres Weges von Jericho hinauf gen Jerusalem. Wer kümmert sich um ihn und versorgt ihn? Ein Samariter! Das ist die Spitze des Gleichnisses. Weiterlesen

Die Kirche in der VUCA-Welt

1. Manchmal hat man den Eindruck, die Herausforderungen für die Kirche in Deutschland seien nicht nur groß, sondern einzigartig. So manche Reaktionen auf die Studie Projektion 2060, die das Forschungszentrum Generationenverträge der Universität Freiburg im Mai vorgelegt hat, legten diese Einschätzung nah. Die koordinierte Mitglieder- und Kirchensteuervorausberechnung für die evangelische und katholische Kirche in Deutschland bestätigte frühere Langzeitstudien. Sie zeigt, wie sehr „Kirche im Umbruch“ ist „Zwischen demografischem Wandel und nachlassender Kirchenverbundenheit“. Mir scheint, dass in den öffentlichen Reaktionen viel von der Stimmungslage und der Unsicherheit in unseren Gemeinden und der Kirche insgesamt aufscheint. Weiterlesen

Eine Botschaft, die befreit und ermutigt

Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende (Matthäus 28,20)

Es gibt keine Taufe in unserer Kirche, in der wir diese Worte nicht hören. Denn dieser Satz, dieses Versprechen ist die Ermutigung für uns, uns auf den Weg zu den Menschen zu machen. Zu allen Menschen, denn „gehet hin in alle Welt!“ Der Grenzenlosigkeit der Verheißung entspricht die Grenzenlosigkeit des Auftrags.

Das sind große Worte. Ich weiß das genau. Es sind herausfordernde Worte, denen wir als einzelne, als Gemeinde, als Kirche weltweit niemals vollständig gerecht werden können. Und doch darf der Anspruch nicht kleiner werden. Denn die Liebe Gottes gilt jedem Menschen. Keiner bleibt hier außer Acht. Deshalb ist es befreiend, dass wir als Christen nicht von uns selber reden müssen oder reden sollen, sondern: „lehret sie halten alles, was ich – Jesus Christus – euch geboten habe! Weiterlesen

Europa – zweite Heimat

Heribert Prantl, der qualifizierte, bekannte Journalist der Süddeutschen Zeitung, hat mich schon vor vielen Jahren zum Nachdenken über dieses Thema angeregt. Mir ist als Kind einer Vertriebenenfamilie das Thema Heimat gleichsam mit in mein kindliches Lebensalter gelegt worden. Am 3. April 2011 hat Prantl die Weimarer Rede im Deutschen Nationaltheater zum Thema „Warum die Europäische Union für die soziale Gerechtigkeit sorgen muss“ gehalten. Er sagt:

„Europa ist das Beste, was den Deutschen, Franzosen und  Italienern, den Tschechen und Dänen, den Polen, den Spaniern, den Niederländern, den Briten und Griechen, den Bayern und Balten,  Wallonen und Württembergern, den Schotten und Sizilianern, den Basken wie Badenern und Thüringern ich ihrer langen Geschichte passiert ist. Europa ist die Verwirklichung so vieler alter Friedensschlüsse, die den  Frieden doch nicht gebracht haben. Die Europäische Union ist das Ende eines fast tausendjährigen Krieges, den fast alle gegen fast alle geführt haben. Sie ist ein unverdientes Paradies für die Menschen des ganzen Kontinents. EU ist das Kürzel für das goldene Zeitalter der europäischen Historie.“

Das ist Prantls Liebeserklärung an Europa, das sich einer nie dagewesenen, über siebzigjährigen Friedenszeit erfreut. Vielen ist dies alles nicht recht bewusst und viele wollen davon auch gar nichts hören. Ich schließe mich Prantl voll und ganz an. Weiterlesen

Gott hat es getan!

Wenn ich von meiner Schwester nach Hause laufe, komme ich an diesem Büdchen vorbei, wo eigentlich immer welche stehen, die es sich bei einer Flasche Bier und Zigaretten gut gehen lassen. Normalerweise kann ich nicht verstehen, was sie miteinander reden, dieses Mal aber hörte ich im Vorübergehen, wie der eine Mann, der dort stand, dem anderen sagte: Die Menschen bringen sich alle gegenseitig um! Eine steile These, dachte ich spontan, und dann musste ich lächeln, weil mir einfiel, dass schon meine Großmutter mir versichert hatte: Die Menschheit bringt sich selber um. Weiterlesen

Frei-Räume

Du stellst meine Füße auf weiten Raum. (Psalm 31,9)

Der Sommer ist Festivalzeit. Ein Festival liegt schon länger zurück und dennoch beschäftigt es mich innerlich immer noch: Am letzten April-Wochenende hat das 3. KURZStummFilmFestival auf Zeche Carl stattgefunden. Das Festival ist aus der Arbeit mit gehörlosen bzw. hörgeschädigten Jugendlichen entstanden.

Die Stadt Essen ist nämlich eines der größten Bildungszentren für Hören und Kommunikation im gesamten Bundesgebiet. Obwohl das vielen nicht bewusst ist, gibt es hier bei uns in Essen ein herausragendes Angebot in der Aus- und Weiterbildung gehörloser und schwerhöriger Schülerinnen und Schüler. Im Rheinisch-Westfälischen Berufskolleg für Hörgeschädigte in Frohnhausen streben etwa 900 Jugendliche und junge Erwachsene ihren Schul- oder Ausbildungsabschluss an. Mehr als ein Drittel dieser Schülerinnen und Schüler leben während dieser Zeit in den beiden Internaten des Diakoniewerks Essen für hörgeschädigte Schülerinnen und Schüler, in der Curtiusstraße oder im Internatsbereich des Fritz-von-Waldthausen-Zentrums. Weiterlesen

Vom Abendmahl

Jeden Monat einmal teilen wir miteinander im Gottesdienst Brot und Wein. Dieses alte Ritual, dessen Wurzeln noch vor dem Beginn des Christentums liegen, hat für uns besondere Bedeutung. Für dieses Teilen von Brot und Wein in der Nachfolge Jesu gibt es in der Christenheit verschiedene Bezeichnungen. Am geläufigsten ist uns sicher der Begriff Abendmahl. Weitere Namen sind zum Beispiel Eucharistie oder Kommunion. Jede dieser Bezeichnungen betont einen anderen Schwerpunkt dieser Feier.

Wenn wir von Abendmahl sprechen, erinnern wir uns daran, dass Jesus am Abend vor seiner Festnahme durch die Staatsmacht mit seinen Schülern zusammen ein abendliches Mahl festlich und rituell eingenommen hat und dabei mit ihnen Brot und Wein geteilt hat. Nach dem überwiegenden Zeugnis der biblischen Schriften (außer dem Johannesevangelium) geschah dies an einem für die Juden besonderen Abend, dem Seder-Abend. Dieser Abend war und ist für Juden auch heute noch der Auftakt zur Feier des Passafestes. Weiterlesen

Gott wartet auf uns

…und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut! (Genesis 1,31)

So lautet das abschließende Urteil Gottes am Ende seines sechsten Schöpfungstages.
Formuliert haben diese Worte, vor über 2000 Jahren, Menschen, die die Erfahrung des babylonischen Exils gerade hinter sich hatten. Trotz des Exils – oder gerade wegen des Exils – konnten sie erkennen, wie Gott es mit seiner Schöpfung meint.

Und sie haben auch erkannt, dass Gott mit seiner Schöpfung dem Menschen das besondere Geschenk der Freiheit mitgegeben hat. Dieses Geschenk ist Gabe und Aufgabe zugleich, denn die Freiheit zu entscheiden fordert seitdem jeden Menschen neu. Weiterlesen