Krieg in der Ukraine: Zeugnisse der Flucht

Wenn ich an den Beginn des Krieges denke, dann ist es, als wäre das erst gestern geschehen. Vor allem die Zeugenaussagen von Menschen, die unmittelbar vom Krieg betroffen sind, gehen mir nahe, immer wieder. Erst vor einigen Tagen hat mich das Gespräch mit vier aus der Ukraine geflüchteten Frauen tief berührt. Alle vier sind Mütter, die mit ihren Kindern zu uns nach Essen geflohen sind.

In der Begegnung mit ihnen wurde mir klarer denn je, wie zerbrechlich und gefährdet unser Leben ist. Sie wurden mitten aus dem Leben gerissen – lebten, liebten, lachten, weinten, arbeiteten als Lehrerin oder Bankangestellte – und plötzlich, mit dem frühen Morgen des 24. Februar 2022, war alles anders. Ihr Leiden geht mitten durch mein Herz – zwei dieser Berichte haben wir hier veröffentlicht. Weiterlesen

Alles geregelt?

Als Oma mit 106 Jahren starb, da sagte Irmgard allen, die es hören wollten oder nicht: „Ich habe meine Beerdigung geregelt! Ihr müsst euch um nichts kümmern!“ Sehr bestimmt sagte sie das – so, dass ich mich gar nicht traute, nachzufragen, auch zu fragen, ob nicht vielleicht ich…

So schrecklich lange kannten wir uns noch nicht. Sie war angeheiratete Verwandtschaft, aber ich hatte sie in mein Herz geschlossen. Ich mochte sie, weil sie so emanzipiert war mit ihren über achtzig Jahren, weil sie aufgeschlossen war, sich für alles interessierte und weil sie manchmal für mich eintrat gegen ihren Großcousin, meinen Mann, den sie gernhatte und für den sie da war, seit er auf der Welt war. Weiterlesen

Ein unverdientes Privileg

Sonntagmorgen, 7 Uhr. Der Intercity 208 fährt pünktlich in den Essener Hauptbahnhof ein. Müde nach einer nahezu schlaflosen Nacht, jedoch mehr als zufrieden, ja überaus dankbar, steige ich aus. Eigentlich ist es ein normales Wochenende im Juni und dennoch war alles ganz anders als sonst. Wenige Minuten später erreiche ich meinen Wagen, den ich am Freitagabend auf der Hohenburgstraße abgestellt hatte. Das scheint eine Ewigkeit her zu sein. Weiterlesen

Mein Gebet für S.L.

Darf man das so sagen? Dass man einen Menschen im Herzen trägt, der gar nicht mit einem verwandt ist, mit dem man auch nicht im klassischen Sinn befreundet ist, der einem – mir – aber sehr nahe ist?

Es ist so. Immer wieder denke ich an ihn, manchmal werde ich dabei sehr traurig, manchmal lächle ich still vor mich hin. Immer aber dabei: Hochachtung und mein Wunsch, auch einmal so tapfer zu sein, so gerade, so aufrecht. Weiterlesen

Dankbarkeit

Ich bin so… antriebslos, hat er gesagt, als er nach seinen Untersuchungen völlig geschafft in meinem Büro sitzt. Weißt Du, ich habe so gar keine Lust mehr… zu nichts… eigentlich noch nicht einmal zum Wegfahren. Und während er das sagt, schaut er mich ganz traurig an. Du kennst mich doch. Sonst mache ich doch auch mal ein paar Witzchen, schreibe etwas Lustiges, aber nichts. Geht nicht. Ich weiß nicht…

Beide schauen wir betröppelt aus der Wäsche, so hätte es meine Großmutter formuliert. Beide hängen wir unseren Gedanken nach, schweigen gemeinsam. Und dann sage ich, ja, das geht mir auch so. Alles ist im Moment irgendwie anders. Die Zeit rast ohne das wirklich etwas passiert. Ich fühle mich auch sehr angestrengt im Moment, die Zeit ist schwer. Weiterlesen

Ich will noch ins Licht!

Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben. (Johannes 8,12)

Unter normalen Umständen, also wenn es genauso laut auf dem Uniklinik-Campus gewesen wäre wie sonst, unter normalen Umständen hätte ich es wahrscheinlich gar nicht gehört. Drei Mitarbeitende saßen im Freien und unterhielten sich und als ich vorbeikomme, höre ich, wie einer sagt: Am einfachsten ist es doch, wenn man immer die Wahrheit sagt.

Ich wollte schon vorbeilaufen ohne mich einzumischen, aber das habe ich dann doch nicht geschafft, bin also einen Schritt zurück, habe die drei Jungs angegrinst und gesagt: Genau! Klasse. Die Wahrheit ist immer gut!

Der, der das gesagt hatte, grinst zurück und sagt: ja, ne? Die Angst ist nämlich eine dunkle Macht – Ich habe keine Angst! Hast du Angst? Weiterlesen

Zuwendung ist das Wort der Stunde

Es soll also darum gehen, das, was ist, mit dem, was wir gewöhnt waren, in Verbindung zu bringen, zu betrachten und, wenn möglich, einzuschätzen. Also: Was „ist“ in der Zeit der Pandemie, der Corona-Krise?

Gründonnerstag, Karfreitag und Ostern waren Feiertage wie noch nie. Die Kirchen waren leer. Aber es gab Gottesdienste. In den Fernsehsendern aus prominenten Kirchen und aus den Kirchen der Gemeinden mit gewohnten und ungewohnten Teilen, mit zusammengeschalteten Chorsängerinnen und Chorsängern, eingeblendeten Liedertexten und Predigten und liturgischen Teilen, die die Botschaft des Evangeliums mit der neuen Lage verknüpften.

Ich habe mehrere solcher Sendungen gesehen. Sie wahrscheinlich auch. Ich sehne mich nach einem Gottesdienst im Kirchenraum. Ich sehne mich nach gemeinsamem Hören, Gesang und Gebet. Weiterlesen

Mit Gottes Hilfe kommt Kraft

Denn so spricht Gott der HERR, der Heilige Israels: Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Vertrauen würdet ihr stark sein. (Jesaja 30,15)

Mensch, sind Sie tapfer! habe ich zu dem Patienten gesagt, mit dem ich nun, da die Umstände es erfordern, regelmäßig telefoniere. Sind Sie tapfer! Und ich meinte das auch so. Denn nicht allein, dass er seit Wochen im Krankenhaus liegt, schon vorher so weit weg von zu Hause und seinen Angehörigen war, dass er nur am Wochenende Besuch bekommen konnte, so fällt diese Unterstützung ja nun auch schon seit Wochen weg. Weiterlesen

Zum 75. Jahrestag des Kriegsendes

Am 8. Mai 1945 endete der zweite große Krieg. Deutschland war besiegt. Eine Niederlage, die sich als Befreiung von einem verbrecherischen System erwies. Unsere Kirche hat dies sehr früh im Stuttgarter Schuldbekenntnis aufgenommen: „…aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“

Persönlich habe ich über die Erfahrungen meines Schwiegervaters an dieser Zeit Anteil genommen. Er zog mit 17 Jahren in den Krieg und kehrte mit 27 Jahren aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Natürlich geprägt von der Idee, den Krieg verloren zu haben. Aber im Laufe der Jahre hat er die Niederlage als Befreiung verstanden. Mich hat beeindruckt, wie sehr er darauf aus war, auf seinen Auslandsreisen die Spuren der Vergangenheit zu suchen – und sich zu versöhnen. Weiterlesen

Gott lächelt uns an

Der HERR wird sich wieder über dich freuen, dir zugut, wie er sich über deine Väter gefreut hat. (5. Mose 30,9) | Tageslosung für den 25. April 2020

Mein einziges Problem mit den Mund-Nase-Schutzmasken, die nicht nur mich, sondern vor allem auch meine Mitmenschen zumindest ein wenig mehr schützen können, ist: Ich sehe die Menschen nicht mehr lächeln – und ich kann niemanden mehr anlächeln. Dabei täte gerade doch gerade jedes Lächeln in diesen Tagen so gut. Also habe ich neulich an der Kasse unter meiner (selbstgenähten) Maske hervor zu der gestressten Kassiererin gesagt: „Ich lächle Sie gerade an, Sie können es nur nicht sehen.“ Weiterlesen