Der Trauerredner

Der Trauerredner ist ein freundlicher Mann, kleidet sich wie ein Pastor, redet wie ein Pastor… nur: er ist kein Pastor. Die Auftraggeber haben es genau so bestellt. Der Pastorenimitator wurde ausdrücklich gewünscht.

Das Bestattungsinstitut bietet Angehörigen verschiedene Profile an. Zum Beispiel den „freundlichen Pastor“. Es ist zufällig ein Freund von mir, ein religiöser Mensch, kein sogenannter Scharlatan. Er erzählt mir von den anderen Varianten. Da gibt es die weltliche: bitte ohne Gott, dafür mit philosophischen Zitaten und poetischem Verve. Über den Tod nachgedacht wurde ja schon vielfach im Laufe der Geschichte – da lässt sich viel Tiefgründiges finden. Weiterlesen

Meine neuen Freunde

Das darf doch nicht sein! Frau, wehr dich gegen dich selbst! Sei klug! Nutze den Verstand! Du kennst doch die Argumente gegen diese gefährliche Lust auf das unverbindliche, selbstdarstellerische Getümmel im Netz.

Ja: dies hier ist eine intime, schamvolle Beichte.

Wie tief bin ich gesunken – geht es nach den Werten, die meine Lehrer mir einst mit auf den Weg gaben. Sie formten mich: Bildungsbürger, die auf eine ordentliche Sprache, ausgedrückt in kompletten deutschen Sätzen, achteten. Smileys und „Cool!“ & Co: Verfall des Abendlandes. Ein Graus. Politisch korrekte Leute, die sich nicht überwachen lassen wollten. Brave New World: ein Bekenntnisbuch! Fahrenheit: Schullektüre, der ebenfalls keiner entkam. Eine Kamera in der Straßenbahn: der Anfang des Überwachungsstaates. Dafür geht man auf die Straße, demonstriert für die Bürgerrechte, das ist Staatsbürgerpflicht. Weiterlesen

Wechseljahre

In den letzten Wochen hat es in meinem Leben einige Wechsel gegeben, und vielleicht war es ja einer zu viel… Doch der Reihe nach.

Die wichtigste Veränderung: Wir sind umgezogen. Es war natürlich nicht das erste Mal in meinem Leben – aber, gefühlt: das schrecklichste! Wie kann ich nur in ein paar Jahren so viel unnötiges Zeugs angehäuft haben? Der letzte Umzug ist doch erst dreieinhalb Jahre her! Wahrscheinlich hat mein Mann das ganze Gerümpel angeschleppt, heimlich. Nur so kann es gewesen sein! Oder vielleicht haben ja auch meine Töchter ihre Reste aus den Kellerecken nicht mitgenommen, als sie vor Monaten auszogen – ich habe damals nicht genau nachgeschaut. Weiterlesen

Verjüngungskur

Meine „Kleine“ studiert Theologie, schon seit fünf Semestern … aber erst jetzt ist mir wirklich bewusst geworden, was das auch für mich bedeutet.

Meine Tochter bittet mich um eine kritische Meinung zu einer ihrer Hausarbeiten. Ein theologisches Thema – bislang mein „sicherer Ort“, an dem nur ich mich auskannte in unserer Familie. Nun wird zwischen zwei „Kolleginnen“ diskutiert.

Meine Tochter kennt Namen von Theologinnen und Theologen, die habe ich nie gehört. Sie vergleicht meine altbekannten dogmatischen Positionen etwa mit neuen Entwürfen aus Amerika. Sie nimmt selbstverständlich am interdisziplinären Seminar teil und der interreligiöse Dialog ist ein normaler Bestandteil ihrer Bemühungen, sich in der Welt der Theologie zu orientieren. Weiterlesen

Freitags brauche ich den Heiligen Geist besonders dringend

Immer freitags fühle ich mich alt. An diesem Tag unterrichte ich in einer Berufsschule. Dann sitzen sie mir gegenüber: Junge Männer und Frauen, die schon mit dem Daumen auf dem Handy geboren wurden, die selbstverständlich vertraut sind mit allen elektronischen Geräten, sie umfassend zu nutzen wissen und sogar verstehen, was sie tun.

Mich verstehen sie aber nicht. Ich erzähle ihnen, wie ich während meines Studiums eine Stunde in der Schlange vor der Telefonzelle stand, zur billigen Tarifzeit. Ihre Reaktion ist pures Unverständnis! Unsere Erfahrungen mit dem Leben können sich einfach nicht begegnen, sind zu verschieden. Weiterlesen

Andacht zum Gedenken an unsere Verstorbenen

Seit zwei Jahren veranstalten wir in unserer Friedenskirche in jedem Vierteljahr eine Andacht zum Gedenken an Verstorbene. Sechs bis acht Wochen nach einer Bestattung erhalten die Angehörigen unserer verstorbenen Gemeindeglieder eine Einladung dazu. Die Andacht ist ein schlichter Gottesdienst, in dem wir unsere Trauer um den geliebten Menschen vor Gott bringen und um Stärkung für die Trauernden bitten. Kerzen für die Verstorbenen werden entzündet und ihre Namen in unser Buch des Lebens eingetragen. Dieses Buch liegt in unserem Raum der Andacht aus, der ein Teil unserer Kirche ist und Besuchern immer offen steht. Weiterlesen

Hausbesuch

Sie geht mir nach: Die Begegnung mit einem alten Mann, gestern Nachmittag.

Ein ganz normaler Hausbesuch – bei netten älteren Herrschaften, feinen gebildeten Leuten, die immer zur Kirche kamen, als sie es noch konnten. Der Mann ist fast neunzig Jahre alt – manches hat nachgelassen; wie das Leben so verläuft. Kein Wunder, keine Überraschung. Darauf bin ich gefasst, wenn ich Seniorinnen oder Senioren besuche. Milde gestimmt, bereit allerlei Wunderlichkeiten zu tolerieren, mir fremden Einschätzungen von Wirklichkeit nicht zu widersprechen. Weiterlesen

Mein Seelsorgetag

Gestern war mein Seelsorgetag: Vier seelsorgliche Gespräche habe ich im Laufe des Tages geführt, alle aus ganz unterschiedlichen Gründen. Und dabei wieder einmal gemerkt: Seelsorge ist wirklich die Muttersprache der Kirche. So wird sie verstanden: die Botschaft, die Grund meines Glaubens ist, so bekommt sie eine Bedeutung, im wahrsten Sinne des Wortes.

Meine Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner waren diesmal Menschen, die unserem Gemeindeleben eher ferner stehen. Und doch haben sie sich getraut, von mir, einer Pfarrerin der Evangelischen Kirche, Hilfe zu erhoffen in ihren derzeitigen Krisen. Das ist großartig! Ich glaube, sie sind gestärkt und ermutigt nach unseren Gesprächen wieder gegangen.

Es war ein guter Tag.

Anke Augustin

Epiphanias

Heute feiern wir in unserer Friedenskirche einen Epiphanias-Gottesdienst. Jeder der dies möchte ist eingeladen, eine Kerze mitzubringen, die wir dann im Gottesdienst entzünden werden. Diese persönliche Kerze leuchtet für alle Dinge, die die Besucher des Gottesdienstes vor Gott bringen wollen – zum Beispiel zur Erinnerung an einen geliebten Menschen, als Dank für Bewahrung und Rettung, zur Fürbitte für Menschen, die der Fürsorge und Liebe Gottes besonders bedürfen oder auch einfach nur für einen guten Gedanken, der die Welt erhellen möge. Weiterlesen