Im letzten Moment die Gnade Gottes leben und erleben | 20 Jahre Hospiz Essen-Steele

Unser Leben währet siebzig Jahre – und wenn es hoch kommt, so sind es achtzig Jahre, und was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe; denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon. (Psalm 90,10)

Es gibt Sätze und Verse, die bleiben und hinterlassen einen tiefen Eindruck. Als ich über den wertvollen Dienst der Begleitung Sterbender im Hospiz nachdachte, kamen mir solche bleibenden Verse in den Sinn. Es sind die Worte eines Beters, einer Beterin aus dem alten Israel. Worte aus Psalm 90, die an meine eigene Erfahrung als Pfarrerin anknüpfen: an wie vielen Gräbern wurde Psalm 90 schon gesprochen.

Der Psalmbeter malt die Vergänglichkeit des Lebens mit Bildern aus der Natur: „Das Leben ist wie Gras, das am Morgen noch blüht und sprosst und des Abends welkt und verdorrt“ (Psalm 90,5-6). Ein Bild, dem beim ersten Hören ein gewisser abgeklärter Realismus innewohnt. Wenn ich jedoch an konkrete Momente des Lebens und Sterbens denke, wird dieser abgeklärte Realismus des Psalms plötzlich ganz nah, persönlich und emotional. Weiterlesen

Loslassen lernen

Zur Frühsommerzeit strahlt uns der Löwenzahn in seinem satten Gelb entgegen. In allen Entwicklungsstadien finden wir ihn: aufgeblüht, verblüht, als Pusteblume und mit leerem Fruchtstand. Der Löwenzahn kann zum Gleichnis für den Menschen werden. Der Wind aber, der die kleinen Fallschirme über unbegrenzte Strecken tragen kann, ist Symbol für den Heiligen Geist, der weht, wo er will.

Die Dichte des gelben Blütenmeeres erinnert an die unzähligen Menschen auf der Welt. Wie die Blüten auf den ersten Blick alle gleich aussehen, aber doch jede einmalig ist, so auch der Mensch, von dem kein Fingerabdruck mit einem der Milliarden anderer übereinstimmt. Weiterlesen

Mit Gottes Zuspruch das neue Jahr beginnen | Andächtiges zur Jahreslosung #1

Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. (Jesaja 66,13)

Dieser Spruch, die biblische Losung für das neue Jahr 2016, versetzt mich zurück in meine Kindheit. Ich sehe mich als kleines Mädchen mit einem aufgeschlagenen Knie. Einmal mehr bin ich gestürzt. Weinend laufe ich nach Hause. Meine Mutter hockt sich zu mir nieder, nimmt mich in den Arm, versucht mich zu beruhigen, die Trägen zu stoppen und pustet die Schmerzen weg. Nachdem die Wunde gesäubert ist und mit einem großen Heftpflaster abgedeckt wurde, laufe ich zum Spiel hinaus.

Alles ist gut.

Wenn ich so zurückdenke, bekomme ich ein sehr gutes Gefühl. Welche Geborgenheit! Welches Vertrauen! Welch ein Glück! Wie gut es doch Kinder haben. Wie einfach ist es für sie, sich trösten zu lassen, die Schmerzen zu vergessen, das Spiel wieder aufzunehmen. Weiterlesen

Was erwartet uns im neuen Jahr?

Wem und worauf vertrauen Sie?

Im ausgehenden Jahr 2015 beschäftigt mich die Vertrauensfrage. Ich begegne vielen Menschen, die mir erzählen, dass sie ihr Vertrauen, dass schon alles irgendwie gut gehen wird, verloren haben. Die tröstliche Stimme meines alten Nachbarn: „Wird schon werden“ – irgendwie ist sie leiser geworden. Ja, das Jahr 2015 hat Vertrauen gekostet, in verschiedenen Bereichen. Was können wir vom neuen Jahr erwarten? Weiterlesen

Sieh, dein König kommt zu dir

Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Sieh, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist demütigt und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin. (Sacharja 9,9)

Vor kurzem traf ich in Steele zufällig die Mutter eines ehemaligen Konfirmanden wieder. Wir kamen ins Gespräch, und sie erzählte mir:

„Ich war schon lange nicht mehr in der Kirche, viele Jahre nicht. Als ich letzten Donnerstag an der Friedenskirche vorbeikam, ich weiß nicht warum, schaute ich, ob die Tür offen war. Sie war offen und ich ging hinein. Es war ruhig in der Kirche. An den Wänden hingen Bilder einer Kunstausstellung. Außer mir sah ich nur noch zwei Leute. Ich setzte mich in eine Bank. Die Ruhe tat mir gut. Ganz unterschiedliche Gedanken gingen mir durch den Kopf. Weiterlesen

Alles liegt in Gottes Hand

Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen? (Hiob 2,10)

Neulich habe ich im Frauenkreis am Montag einen Vortrag über den Shintoismus in Japan gehalten. Das ist eine sehr alte Religion, entstanden aus den Riten um Saat und Ernte. So beschäftigt sich der Shinto besonders mit dem Diesseits und feiert die freudigen Ereignisse im Leben wie Neujahr, Geburt und Hochzeit. Die Schattenseiten des Daseins, der Tod und das Jenseits überlässt er dem neben ihm existierenden Buddhismus. Folgerichtig gehören sehr viele Menschen in Japan zugleich zwei Religionsgemeinschaften an. Das ist im Christentum kaum vorstellbar und auch nicht nötig. Denn im Christentum werden Leben und Tod, Diesseits und Jenseits in den Blick genommen, was wir besonders in den Evangelien nachlesen können. Weiterlesen

Einer kehrte um und dankte

Einer aber unter ihnen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. (Lukas 17,15-16)

Über jeden Flugzeugabsturz wird intensiv berichtet. Und wer schreibt über die unzähligen gelungenen Landungen?

Der Mensch ist auf Probleme fokussiert. Die Wissenschaft erklärt das so: Mit einer Katastrophe ist unser Leben evtl. zu Ende, darum müssen wir wissen, wo sie uns bedroht, wir müssen uns mit ihr beschäftigen, um sie zu verhindern. Darum hält unser Gehirn uns im „Dauerproblem-Modus“. Es geht ums Überleben. Wenn ich mit dem Flugzeug abstürze, ist die Zukunft weg, die vielen tausend Tage, die eigentlich noch kommen sollten.

Allerdings: Wenn ich heil lande – sind diese vielen tausend Stunden gewonnen, tausende geschenkte Tage! Was für ein Schatz! Was mache ich damit? Eine längere Phase des Glücks und der Dankbarkeit könnte vielleicht helfen, aus diesen Tagen etwas zu machen, damit sie nicht hingehen „wie ein Geschwätz“. Das Gehirn will von sich aus schnell vom Modus der Dankbarkeit umschalten auf den Stressmodus zur Katastrophenabwehr. Aber das Gehirn kann auch anders, wenn WIR wollen. Wollen Sie? Weiterlesen

Auf den Flügeln der Morgenröte

Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten. (Psalm 139,9)

Ich erinnere mich noch daran, wie mein kleiner Sohn am Nordseestrand eine Feder fand, einer Möwe am Himmel hinterher sah und zu mir sagte: „Ich möchte auch fliegen können!“ Ja, Fliegen ist ein alter Traum der Menschheit. Wir können es als Menschen zwar immer noch nicht selbst, wir haben aber die Möglichkeit, in ein Flugzeug zu steigen und in ferne Länder zu fliegen. Diesen Traum haben wir uns wahr gemacht. Seit Beginn der Sommerferien hoben und heben unzählige Flieger vom Boden ab und bringen Sonnenhungrige und Erholungssuchende nach Mallorca, zu den Kanaren, nach Übersee oder an andere weit entfernte Orte.

Der Psalm 139 nimmt diesen Traum vom Fliegen auch auf, und er benutzt weitere Bilder, die unsere Sehnsüchte, aber auch dunkle Erfahrungen und Zweifel, denen wir in unserem Leben begegnen, ausdrücken. Sätze wie: „Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; ich liege oder gehe, so bist du um mich.“ Und wir lesen „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“ Aber eben auch: „Wohin soll ich gehen vor deinem Geist? Bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.“ Weiterlesen

Bewahre dir dein Vertrauen!

Ich wandere gern. Spaziergänge durch die Siedlung mag ich überhaupt nicht, aber ich bin immer für längere Wanderungen in schöner Umgebung mit einem lohnenden Ziel zu haben. Wandern ist spannend! Die Wege sind selten gepflastert, sie sind steinig, löcherig, uneben, matschig, zugewachsen und manchmal kaum auszumachen. Es geht bergauf und bergab, über umgefallene Baumstämme, durch Bäche und hohes Gras, und es kommt vor, dass sie gar nicht mehr begehbar sind. Dann muss nach anderen Wegen gesucht werden. Aber mittendrin aufgeben? Niemals! Weiterlesen

Wegzehrung für Lebenshungrige

Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: Man hu? Denn sie wussten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen: Es ist das Brot, das der HERR euch zu essen gegeben hat. (2. Mose 16,15)

Irgendwann ist es genug. Da gibt es Ereignisse, Erfahrungen, Erkenntnisse, Schicksalsschläge – wie wir es nennen, und nichts ist mehr so, wie es war. Veränderungen sind notwendig oder gar ein Aufbruch. Der Aufbruch aus den Umständen, die mich gefangen halten, die mir die Luft zum Atmen nehmen, mir das Leben schwer machen, und: der Aufbruch aus mir selbst. Die Erkenntnis: du musst ein anderer werden, so geht es nicht mehr weiter. Es sieht aus wie Flucht, aber es ist Veränderung, Aufbruch, ein Aufbruch „ins gelobte Land“. Endlich wieder atmen können. Endlich wieder ich selbst sein. Weiterlesen