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Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden

Ich habe auf das richtige Pferd gesetzt, aber es hat nicht gewonnen. Mit diesen Worten beginnt der Film „Gundermann“ über einen Künstler der DDR. Schon oft wurde im Lauf der Zeiten diese Erfahrung gemacht: auf etwas zu setzen, was nicht gewinnt. In der deutschen Geschichte hat es diese Erfahrung im vergangenen Jahrhundert gleich zweimal gegeben: 1945 und 1989.

Ich hatte vor ein paar Tagen ein Gespräch mit einer alten Dame. Sie erzählte mir sehr eindrücklich, wie schwer es für sie als junge Frau war zu verstehen, dass sie an etwas geglaubt hatte, das nicht nur verloren hatte, sondern grundfalsch war. Was sie nach 1945 über das Deutschland erfuhr, für das sie so begeistert gewesen war, entsetzte sie nachhaltig. Und dafür hatten ihre beiden Brüder und ihr Vater ihr Leben gegeben.

Sie hätte es damals wahrscheinlich so gesagt: Ich habe auf das falsche Pferd gesetzt, und es hat, Gott sei Dank, nicht gewonnen. Sie erzählte mir, sie hätte damals akzeptieren müssen, dass sie auf der falschen Seite der Geschichte gestanden hatte.

Dieses Gefühl müssen auch die Jüngerinnen und Jünger des Jesus von Nazareth gehabt haben, als er auf so furchtbare Weise getötet wurde. Manche von ihnen setzten alles, ihre ganze Existenz auf Jesus, auf seine Worte, seine Lehre, sein Wirken. Umso schlimmer das Ende: So ungerecht der Prozess, so unfassbar grausam der Tod. So gefährlich für sie alle.

Als die russische Regierung kürzlich die vier tadschikischen Männer vorführte, die das Attentat in Moskau verübt haben sollen – als ich diese Männer im Fernsehen sah – da musste ich an die schreckliche und brutale Behandlung denken, die Jesus durch das römische Militär erlitten hat. Dem einen der Männer fehlte ein Ohr, ein anderer konnte nicht stehen. Alle konnten sie mit ihren misshandelten und angeschwollenen Gesichtern kaum sprechen.

Brutale Gewalt durch grausame Machthaber hat sich in zweitausend Jahren nicht verändert. Wenn man diese Bilder vor Augen hat, dann wird es schon klar, dass auch damals die Leute sagten: Und diese jämmerliche Gestalt soll der Sohn Gottes sein? Sieht so der Messias aus?

Wir können uns die Situation gar nicht schrecklich genug vorstellen. Ein Gekreuzigter durfte nicht betrauert werden, oft wurden die Leichname nicht einmal beerdigt. Sie verwesten an den Kreuzen. Jede Form von Gefühlsäußerung, von Mitleid, von Trauer wurde streng geahndet.

Es ist verständlich, dass die Menschen, die zu Jesus gehört hatten – dass sie vor Angst gelähmt waren. Sie versteckten sich in Häusern mit verriegelten Türen und geschlossenen Fenstern. Sie verließen auf Nebenstraßen und im Schutz der Dunkelheit die Stadt Jerusalem und suchten Zuflucht in den Dörfern, aus denen sie stammten. Das Pferd, auf das sie gesetzt hatten – es hatte komplett verloren.

Doch dann geschieht das, was zur Geburtsstunde des Christentums wird. Eine wichtige Voraussetzung war diese: Es ging ihnen nicht so wie der alten Dame nach 1945. Jesus war tot. Aber sie hatten nicht das Gefühl, auf der falschen Seite der Geschichte zu stehen. Im Gegenteil: Es konnte nicht falsch gewesen sein, was sie geglaubt und gehofft hatten.

Und so machten sie auf ganz unterschiedliche Weise Erfahrungen, die ihren Blick veränderten. Sie hatten Erlebnisse, die sie in ihrer Trauer und Scham verstörten. Nach und nach begannen sie, die Dinge anders zu sehen. Kann es sein, dass ein Pferd zunächst verliert – aber am Ende doch gewinnt? Ja, das kann sein. Ja, das ist vielleicht wirklich so. Ja, so ist es! Und so entstand DIE Parole des jungen Christentums:

Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden. (Lukas 24,34)

Sie wussten es nicht – aber das war die Geburtsstunde einer neuen Religion. Hervorgegangen aus dem Schoß des jüdischen Glaubens, mit ihm eng verbunden, aber doch anders. Diese Frauen und Männer – SIE brachten etwas ganz Neues hervor – indem sie DAS glaubten: Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden. Und mehr noch: Sie sagten: Er lebt – und wir, wir sind sein Körper, sein Leib. Darauf war nun wieder Rom nicht vorbereitet.

Wer nicht dazugehörte, zu dieser neuen Gruppe, der fasste sich an den Kopf: Ein Gekreuzigter, ein absoluter Verlierer, ein Erniedrigter, ein schmählich Vernichteter – DER soll ein Sieger sein? Ja, sagten sie, genau dieser trägt am Ende den Sieg davon. Es kommt nämlich darauf an, auf das richtige Pferd zu setzen – auch wenn es erstmal verliert. Aber am Ende wird es gewinnen.

Sie konnten nicht wissen, dass vierhundert Jahre später das mächtige, glanzvolle, waffenstrotzende Römische Reich zugrunde gehen sollte. Und dass das Christentum zu einer Weltreligion werden würde. Diese besondere Kraft wohnt dem Christentum inne.

Aber als das offizielle Christentum sozusagen die Seite wechselte und selbst zu einer staatlichen Macht wurde, zu einer Kirche, die verfolgte und hetzte, die zum Beispiel im Nationalsozialismus die Ansicht vertrat, dass Jesus ein Arier gewesen sei und die Juden verfolgt werden müssten – in solchen Zeiten verdunkelte sich das Licht des Christentums sehr. Es ist nicht gefeit gegen das, was Jesus selbst den Garaus machte. Es ist nicht gefeit dagegen, auf der falschen Seite der Geschichte zu stehen.

Dennoch: Auch die schlimmsten Verirrungen, die mittelalterliche Inquisition, die Gewalttaten im christlichen Namen, die Kolonialgeschichte, die Glaubenskriege, der oft deprimierende Zustand der christlichen Kirchen – all das hat das Christentum verunstaltet und beschädigt und mit großer Schuld beladen. Gerade die offiziellen Kirchen standen leider oftmals wirklich NICHT auf der richtigen Seite der Geschichte.

Aber: Es ist meine feste Überzeugung: Der Kern lebt seit zweitausend Jahren und hat an Kraft nichts eingebüßt:

Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.

Wo immer auf dieser Erde Menschen unter Unrecht und Gewalt leiden, wo immer sie sich sehnen nach Gerechtigkeit, nach Liebe und Respekt. Wo immer sie hoffen auf andere, bessere Verhältnisse, auf ein Ende der Gewalt – da erfassen Menschen instinktiv, dass gerade sie durch die Botschaft von der Auferstehung AUFGERICHTET werden. Denn das gekickte Schilfrohr richtet Gott auf und den glimmenden Docht löscht Gott nicht aus. Unbeirrbar setzt Gott sich ein für Gerechtigkeit. (Jesaja 42,3)

So heißt es in der Prophetie des Jesaja. Und das ist gemeint, wenn wir sagen:

Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.

Und heute? Was ist heute die richtige Seite? Leider zeigt sich die richtige Seite bisweilen nur im Nachhinein. Das ist ein Problem. Menschen, die IN DER ZEIT verstehen, was richtig ist, die nennen wir prophetisch. Prophetie bedeutet nicht, die Zukunft vorherzusehen. Es bedeutet die Gegenwart recht zu erkennen. Und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen.

Prophetisch zu sein, das ist nach der Lehre des Christentums eine Aufgabe der Kirche. Aber darauf können wir uns nicht verlassen. Zu oft hat die Kirche ihr prophetisches Amt nicht oder falsch wahrgenommen. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als unseren Verstand und unser Herz zu gebrauchen. Uns miteinander besprechen und austauschen. Genau hinsehen. Uns Gedanken machen. Was gestern richtig war, kann heute falsch sein – und umgekehrt.

Die Gefahr, die zum Beispiel von Russland ausgeht, die haben viele bis vor zwei Jahren nicht gesehen. Es war ein mühsamer Lernprozess, dass die Haltung „Nie wieder Krieg“ falsch wird, wenn ein Aggressor die Bühne betritt. Zu lange haben in Deutschland viele Menschen nicht verstanden, dass man gewaltsamen Systemen und Staaten nicht einfach das Handeln überlassen darf. Und das dann Frieden nennen.

Oder, wie es Dietrich Bonhoeffer, so unübertroffen sagte: Es genügt nicht, die Opfer unter dem Rad zu verbinden. Man muss dem Rad selbst in die Speichen fallen. Auch Bonhoeffer war ein prophetischer Mensch. Er sah, was eigentlich alle sehen konnten. Aber sie sahen und verstanden es nicht. Oder wollten es lieber nicht sehen.

Manchmal ist es Bequemlichkeit: Bloß keine Probleme kriegen. Manchmal ist es Angst. Die Klaviatur der Angst zum Beispiel beherrscht Wladimir Putin perfekt. Und diese Methode zeigt Wirkung bei vielen im Land: Bloß Putin nicht provozieren!

Manchmal ist es auch einfach Gleichgültigkeit: Ich kann ja sowieso nichts tun.

Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.

Der Satz hat Konsequenzen. Er stellt uns in eine lange Reihe von Menschen, die mit wachem Verstand und mit tätiger Liebe sich den Herausforderungen ihrer Zeit stellten. Diese Christinnen und Christen gab es auch – zu allen Zeiten. Sie sind der Grund, dass wir auf das Christentum AUCH stolz sein können. Denn sie hielten den Kern am Leben.

Wie gesagt, was heute richtig und falsch ist – ich habe meine Meinung dazu, aber ich weiß nicht, ob sie stimmt. Es wird sich erweisen. Aber zwei Dinge kann ich ganz sicher sagen: Das Eine: Keine Meinung zu haben und sich herauszuhalten, das ist KEINE Lösung. Sich nicht zu positionieren – das ist halt immer auch eine Positionierung – und zwar meistens für die falsche Seite.

Und das zweite: Antisemitismus steht IMMER auf der falschen Seite. Antisemitismus richtet sich gegen unsere eigenen Wurzeln. Denn das Christentum ist auf der jüdischen Wurzel gewachsen, wie Paulus sagt:

Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich. (Römer 11,18)

Wir können natürlich den Staat Israel und seine Regierung kritisieren. Jede Regierung kann und muss kritisiert werden. Das tun ja im Übrigen auch viele Menschen in Israel. Antisemitismus ist etwas anderes: Menschen missachten und verurteilen, weil sie Juden sind. Ihnen angebliche Eigenschaften anzudichten.

Oder – das Schlimmste, was Christen tun können – zu sagen: Sie haben Christus getötet. Denn zum einen haben die Römer Jesus verurteilt und getötet. Kreuzigung war eine politische Strafe, die nur römische Behörden verhängen konnten. Zum anderen war Jesus selbst Jude und alle, die anfangs an ihn glaubten, auch. Das erste Christentum war durch und durch jüdisch.

Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt DICH.

Es ist ein großes Geschenk an die gesamte Menschheit, dass das junge, das jüdische Christentum im Lauf der Zeit eine Entwicklung durchmachte in Richtung nichtjüdische Menschen. Dieser Prozess hieß am Ende: Man muss nicht Jude sein, um Christ werden zu können. Wäre dieser Prozess anders ausgegangen, dann gäbe es uns als christliche Gemeinde heute nicht. Es war jüdische Großzügigkeit und ein weites, offenes Denken der frühen Christengemeinschaft, die uns anderen eine Teilhabe ermöglichte.

Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.

Dass in jener kleinen Gruppe von jüdischen Menschen im Palästina der Zeitenwende etwas geboren wurde, was heute weltumspannend ist – das ist hervorgegangen aus dem jüdischen Glauben, aus der Prophetie, aus den Weisheitsschriften, dem Schöpfungsglaubens und der Exodusgeschichte.

Das Eine ist ohne das Andere nicht zu haben. Und deshalb steht Antisemitismus aus christlicher Sicht immer auf der falschen Seite der Geschichte. Dieses Pferd darf niemals gewinnen.

Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.

Elisabeth Müller

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