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Orte voller Leben, Erinnerungen und Ruhe

Moos, der ganze Boden bedeckt. Ein grüner weicher Teppich. Meine Schritte federn. Ich wende meinen Blick vom Grün ins Blau, vom Boden in den Himmel. Weiße Wölkchen ziehen über den hellblauen Himmel. Die Vögel zwitschern, die Eichhörnchen huschen durch diese halb künstliche, halb wilde Natur. Es summt bei den Blüten und raschelt im alten Laub. Die uralte Buche trägt stolz ihre hellgrüne Krone. Unter meinen Sohlen knirschen die Bucheckern vom letzten Herbst.

Hier ist gut sein. Auf einer Bank in der Sonne oder voller Staunen unter dem riesigen Buchenschirm, wenn die Regentropfen prasseln. Hier ist es ruhig, aber gleichzeitig voller Leben von Tieren und Pflanzen. Hier ist ein Platz, den ich mag. Hier liegen die Toten.

Schon als Kind habe ich Friedhöfe gemocht. Mit meiner Uroma ging es zur Grabpflege dorthin. Oma hatte damals die von Mottenkugeln stinkende Tasche mit den Friedhofswerkzeugen dabei. Ich durfte den Stein polieren und Blätter absammeln. Und Gießkannen voller Wasser schleppen. Mit meiner Schwester bin ich in die Blumencontainer gestiegen, die damals offen und aus Holz waren. Für Mama haben wir schöne Sträuße aus dem Besten des Weggeworfenen gezaubert und waren stolz. Auch die traurigen Kriegsgräber haben wir mit Schnittblumen verschönert.

Der Friedhof war wie ein großes Abenteuer mit Geschichte und Geschichten. Jedes Grab hatte etwas zu erzählen. Von denen, die man dort begraben hatte und von denen, die sich um die Gestaltung kümmerten oder eben nicht. Manchmal erzählten die Grabsteine von einem viel zu kurzen Leben, manchmal verkündeten sie stolz den Beruf der Verstorbenen. Und manchmal stand dort ein Bibelvers für die christliche Hoffnung auf eine Auferstehung der Toten.

Ich mag Friedhöfe, diese Orte der Ruhe und des Lebens. Ich zeige sie meinen Kindern. Wir sammeln Eicheln und Kastanien, beobachten den Grünspecht und die Eichhörnchen, ich erkläre, was die Kriegsgräber zu bedeuten haben und warum es gut ist, wenn wir unsere Verstorbenen an diesen Erinnerungs- und Hoffnungsorten bestatten. Hier sind Paradies und Tod Nachbarn. Zum Glück haben manche Kommunen und insbesondere Gärtner erkannt, dass auch Gemeinschaftsgräber wunderbar gestaltet werden können und dass einem Friedhof viele Sitzgelegenheiten gut tun. Wer ein wenig recherchiert, stößt auf Friedhöfe mit Bauerngarten und Gräber unter Apfelbäumen und in Blumenwiesen. Mir jedenfalls ist es nicht egal, wie ich eines Tages bestattet werde. Ich hätte es gerne naturnah und schön.

„Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Diese Worte aus Psalm 90 erinnern uns daran, dass das Leben nicht ewig währt. Jetzt ist das Leben! Die Zeit ist kostbar und deshalb sollen wir mutig das Leben leben, so gut wir es vermögen. Schieb nicht auf, was dir am Herzen liegt, denn irgendwann ist es zu spät. Sag denen, die du liebst „Ich liebe dich“. Weine mit den Traurigen und lache mit den Fröhlichen. Und hoffe auf den, der sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Warum sollte es nicht so sein, dass jenseits unserer Welt Gott auf uns wartet? Dass sich ein Tor in eine Welt öffnet, die weiter und lichter ist als wir uns das vorstellen können. Und wenn wir einst sterben, dann kehren wir doch nur heim, dorthin, woher wir einst kamen.

Doch bis es so weit ist, gehe ich hin und wieder über einen Friedhof, genieße die Ruhe, beobachte die Tiere und wünsche mir kühn ein Café auf dem Friedhof in meiner Nähe.

Nele Winkel