Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe. (1. Korinther 16,14)
Fast zum Schluss des 1. Korintherbriefes gibt der Apostel Paulus diese Mahnung heraus: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ Im gleichen Brief hat er mit dem berühmten Hohelied der Liebe (1. Kor. 13) festgehalten, dass die Liebe der Sinn des Lebens ist: ohne Liebe ist alles nichts. Mit Liebe zu leben ist, was uns Christen und Christinnen auszeichnen sollte.
An verschiedenen Stellen seines Briefes führt Paulus aus, wie er sich ein solches In-der-Liebe-Handeln konkret vorstellt. Vor allem ist ihm wichtig, dass ein Leben in der Liebe rücksichtsvoll ist, den anderen sieht, versteht, nicht unnötig vor den Kopf stößt, vor allem aber für das Evangelium gewinnen will (1. Korinther 10,31-33; 13,4-7).
Rücksicht ist auch für die heutige Zeit eine wichtige Mahnung und ein Schlüssel dazu, wie Nächstenliebe gelingen kann. Rücksicht bedeutet, auf andere zu achten, sie zu sehen und mit einzubeziehen. Eine Gemeinschaft, in der Rücksicht aufeinander genommen wird, ist eine starke Gemeinschaft. Wenn es in unserer Gesellschaft krankt und kracht, dann liegt das oft an fehlender Rücksichtnahme. Rücksichtnahme bedeutet nicht, einander nichts zuzumuten – Jesus und auch Paulus haben vielen so einiges zugemutet. Denn Zumutungen sind um der Liebe willen immer wieder auch nötig. Aber Rücksichtnahme bedeutet, den anderen, seine Beweggründe, seine Belastungen zu sehen und ernst zu nehmen.
Denn genau eines darf nicht geschehen, wenn wir die Mahnung des Apostels ernst nehmen wollen: dass die Mahnung zur Nächsten- und auch zur Gottesliebe, dass dieses „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“ zu einem moralischen Hammer wird, der bestimmte Handlungen erzwingen und bestimmte Meinungen tabuisieren will. Ob sich eine Handlung oder Meinung als christliche vertreten lässt, lässt sich in der Regel gut mit Argumenten prüfen – und oft gibt es ein weites Spektrum gut begründeter christlicher Positionen, die alle, auf die eine oder andere Weise, einem lebenswerten, sinnerfüllten Leben dienen. Die Liebe ist keine einheitliche Uniform, sondern kann auf sehr unterschiedliche Weisen gelebt werden.
Das ist eine große Herausforderung. Denn es erfordert eine Auseinandersetzung mit sich selbst und mit den anderen. Es erfordert, wahrhaftig zu sehen und zu hören. Es erfordert Geduld. Es erfordert, Probleme, vielleicht auch Wünsche zu benennen, ohne gleich eine bestimmte Lösung zu wissen und einzufordern. Denn die Lösung kann nur im Miteinander gefunden werden, im Aufeinander Sehen und Aufeinander Hören.
Ein solcher Austausch kann schmerzhaft sein, weil Prioritäten erkannt, Annahmen erschüttert werden können. Er kann aber auch befreiend sein, weil falsche Annahmen aufgebrochen werden. Manche mussten schon die Erfahrung machen, sich gegenseitig in Situationen gedrängt zu haben, die keiner wollte, weil man gegenseitig annahm, dass der andere es erwartet.
Mit oder in Liebe zu leben, bedeutet deshalb, offen zu sprechen. Und es braucht, damit verbunden, oft auch die Bereitschaft zur Versöhnung. Um wahrhaftig Rücksicht nehmen zu können, müssen wir einander verstehen. Und um uns anderen Menschen verständlich machen zu können, müssen wir uns selbst verstehen, was auch nicht immer einfach ist.
Beim Lieben, Rücksicht Nehmen und Verstehen kann uns das Gebet, das Gespräch und die Zeit mit Gott, helfen, genauso die Zeit mit Gott im Gottesdienst. Und natürlich das Gespräch mit vertrauten, manchmal aber besser auch mit fremden Menschen. Wie auch immer: Auf jeden Fall bedeutet ein Leben in Liebe, im Gespräch zu sein, im Gespräch mit Gott, mit den Mitmenschen und sich selbst. Gott segne uns mit gelingenden Gesprächen!
Martin Keßler