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In Jesus ist Gott an der Seite der Schwachen

Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. (Micha 4,3)

In der Süddeutschen Zeitung berichten Menschen aus der Ukraine, wie sie den Kriegsausbruch und die bisherigen Tage des Krieges erlebten. Es sind Berichte zwischen Verzweiflung und mutiger Standhaftigkeit. Vom ersten Tag des Krieges, dem 24. Februar, berichtet der 27jährige Ivan Bobelko aus Lemberg:

„Ich wurde um sieben Uhr morgens von meinem Handy geweckt. Meine Mutter war dran und sagte: „Ivan, steh auf, der Krieg hat angefangen.“ Das werde ich nie vergessen. Ich stand fassungslos da. Krieg, ein echter Krieg – das war etwas, was ich mir nicht vorstellen konnte. Ich meinte, wir sind im 21. Jahrhundert“ (Süddeutsche Zeitung Nr. 53 vom 5./6. März 2022, S. 11).

Viele haben sich nicht vorstellen können, dass es wirklich Krieg gibt. In der Ukraine nicht und schon gar nicht bei uns. Und dann kam er doch – dieser absurde Krieg, der kaum nachvollziehbar ist. Ein Krieg hat begonnen, der Menschenleben kostet – Menschenleben von Menschen, die nicht rechtzeitig wegkamen, Menschenleben von Menschen, die standhaft ihre Heimat verteidigten und auch das Leben von russischen Soldaten, die in diesen sinnlosen Krieg geschickt werden. Ich hoffe ja schon fast auf den Heldenmut russischer Soldaten, sich diesem Ungeheuerlichen zu verweigern – habe aber auch ziemlich schlimme Befürchtungen für die, die es täten und wir wissen ja auch um die sorgfältige und jahrelange Propaganda der russischen Regierung über staatsnahe Sender. Ein paar wenige in Russland haben es doch gewagt, es waren Hoffnungszeichen: demonstrierten gegen den Krieg.

Tausende Russen, die gegen diesen Krieg protestiert haben, wurden verhaftet und neuste Gesetze verbieten jegliche Kritik, gar die Bezeichnung als Krieg. Es ist nicht der erste Krieg. Es ist nicht der einzige Krieg. Aber er ist uns näher als je zuvor – und er ist bedrohlicher, weil so völlig unberechenbar scheint, was Putin tun wird und Russland nun mal eine große Militärmacht und vor allem auch Atommacht ist.

In diesen Tagen mussten viele pazifistische Träumer auch in unseren Kirchen böse erwachen. So richtig es ist, auf faire Kooperation zu setzen, so schwierig ist diese mit Gegenübern, die das Völkerrecht nicht achten. Wenn wir als Demokratien keine Einigkeit, Stärke und Wehrhaftigkeit zeigen, dann würden die Diktatoren noch ungezügelter einfach machen, was ihnen in den Sinn kommt. Wichtig sind kühle Köpfe und Klarheit – bis dato habe ich da bei unseren Führern der freien Welt in der Ukraine-Krise einen guten Eindruck – und ich bete zu Gott, dass es so bleiben möge.

Als Christen suchen wir Orientierung in der Bibel: Weil die Bibel ein realistisches Buch ist, ist es auch kein rein pazifistisches Buch. Aber es zeugt von einer Ideenentwicklung: war Krieg für das Volk Israel zunächst Realität und Notwendigkeit, so wurde dieser im Lauf der Zeit zu einem Übel dieser Welt, das eines Tages überwunden sein wird.

Mit dem Gedanken des die Welt ordnenden Gottes kam auch der Gedanke auf, dass Krieg nicht sein soll. Vielmehr sollen alle Menschen, alle Völker diesen einen Gott erkennen und ihm gemeinsam dienen. Beim Propheten Micha heißt es:

In den letzten Tagen aber wird der Berg, darauf des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als Berge und über die Hügel erhaben. Und die Völker werden herzulaufen und viele Heiden werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinauf zum Berge des HERRN gehen und zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir in seinen Pfaden wandeln! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. Er wird unter großen Völkern richten und viele Heiden zurechtweisen in fernen Landen.

Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen und niemand wird sie schrecken. Denn der Mund des HERRN Zebaoth hat’s es geredet. (Micha 4,1-4; zitiert nach Luther, Ausgabe 1984)

Wo Gottes Wille, also die Gottes- und Nächstenliebe (= Respekt für Gott und seine Schöpfung, Respekt für alle Mitmenschen, Respekt für sich selbst), gelebt wird, dort segnet Gott. Ein segensreiches Leben ist ein Leben in Frieden und Gerechtigkeit, ein Leben in Gemeinschaft. Das gesegnete Haus ist ein gastfreundliches Haus, das gesegnete Land ist ein gastfreundliches Land, das auch dem Fremden Zuflucht und ggf. neue Heimat bietet. Jesus geht nun sogar so weit, dass Nächstenliebe auch Feindesliebe bedeutet:

Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. (Matthäus 5,44f.; zitiert nach Luther 1984)

Das ist ein wichtiger Gedanke, gerade auch in diesen Tagen. Es besteht die Gefahr, dass Russen allein deswegen ausgegrenzt werden, weil Putin und mit ihm die russische Regierung einen ungerechtfertigten Aggressionskrieg gegen die Ukraine führt. Künstler, Sportler, Menschen werden ausgeladen, sollen zu Bekenntnissen gezwungen werden – Bekenntnissen, die eventuell bedeuten, dass sie nicht mehr gefahrlos nach Russland, ihre Heimat, den Ort, wo ihre Lieben wohnen, zurückkehren können.

Es braucht das klare Wort gegen den Krieg, die Unterstützung der Menschen in der Ukraine, aber genauso das klare Signal, dass auch in Zukunft ein freundschaftliches Zusammenleben mit den Menschen in und aus Russland gewollt ist – gleichzeitig dürfen wir aber auch Fürbitten sprechen, dass Russland eine deutlich bessere Regierung bekomme als sie sie seit Jahren hat. Im Erschrecken über den Krieg in der Ukraine dürfen wir aber auch nicht vergessen, dass an unzähligen Orten der Welt zum Teil seit Jahren kriegerische Konflikte herrschen.

Und obwohl alle Erfahrung zeigt, dass Krieg für keine Seite ein Gewinn ist, sondern für alle Seiten Verlust und Schmerz bedeutet, schaffen wir Menschen es oft nicht, eine faire Lösung, also für alle eine gute, zu finden, die den Frieden wahrt und zu Verständigung und Freundschaft führt. Und manchmal (nicht immer) liegt es auch einfach daran, dass eine Seite nicht will.

Das musste auch Jesus erfahren, dessen Leiden wir in dieser gerade begonnen Passionszeit gedenken – seine Botschaft von der Liebe Gottes, seine Forderung nach Gottes- und Nächstenliebe, sein   Eintreten für Frieden und Gerechtigkeit – sie war für die Mächtigen, aber auch zu viele der Ohnmächtigen – nicht zu ertragen, eine Störung der gewohnten und eingespielten Ordnung, in der die Mächtigen die Schwachen unterdrücken. In Jesus ist Gott an der Seite der Schwachen, er sieht ihr Leid und erträgt es.

Die Geschichte Israels und die Geschichte Jesu zeigen, am Ende siegen die, die schwach scheinen: es dauert, es ist schwer, aber am Ende siegt das Gute. Denn was auf Gewalt gebaut ist, das ist auf tönernen Füßen gebaut. Außer dieser Hoffnung, bleibt uns die Liebe, die uns zum Gebet für alle vom Krieg Betroffenen auffordert: in der Ukraine, aber auch für all die anderen Kriegsschauplätze in dieser Welt. Und die Liebe fordert uns auf zu helfen durch Spenden oder welche Möglichkeiten wir auch haben. Und uns bleibt die kritische Frage an uns selbst, was wir für Frieden und Gerechtigkeit in dieser Welt, in unserer Gesellschaft, in unserer Nachbarschaft tun können.

Martin Keßler

Ein Gedanke zu „In Jesus ist Gott an der Seite der Schwachen

  1. Hallo Martin

    sollte das Scheitern des gesellschaftlichen Friedens in der Geschichte der Menschheit, nicht die Frage an uns selbst sein, … damit wir keine Kriege in uns selbst, ja in unserer Ehe, Familie, Arbeit usw. führen. Die Kriege in dieser Welt sollten weniger christlicher Fokus sein, eher all die Kriege ins selbst, damit sie nicht nach Außen gelangen, damit sie mit Gutem besiegt werden, damit die empathische Liebe und barmherzige Gnade siegt für eine geduldige Gerechtigkeit. Nur wer wirklichen Frieden, den tiefen Frieden von Gott, in sich hat, kann ein Botschafter des Friedens sein. Das führt aber unweigerlich ins Leiden, in die Bereitschaft zu Leiden. Wie denkst du darüber?

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