Dieser Beitrag wurde 607 mal aufgerufen

Du bist bei uns, wohin unsere Wege uns auch führen

Er sagte zu ihm: „Dies ist das Land, das ich Abraham, Isaak und Jakob mit einem Eid versprochen und von dem ich zu ihnen gesagt habe: ‚Euren Nachkommen will ich es geben!‘ Du hast es jetzt mit eigenen Augen gesehen, aber du selbst darfst es nicht betreten.“ So starb Mose, der Bevollmächtigte Gottes, im Land Moab, wie der Herr es bestimmt hatte. (5. Mose 34,4-5)

Der November hält viele Tage des Erinnerns für uns bereit. Wir sind eingeladen, innezuhalten und uns Zeit zu nehmen. Zeit zum Nachdenken und zum Erinnern, Zeit für Tränen und Zeit dafür, um in all unseren Gedanken zu spüren, dass wir nicht allein sind. Wir kommen zusammen in diesen Tagen und dürfen nach Gott fragen und wir werden als Antwort hören, dass er immer an unserer Seite ist.

Die stillen Tage beginnen mit Allerheiligen und Allerseelen. Der 9. November mahnt uns vor allem, das unsagbare Leid und die brutale Gewalt, die unzähligen Brüdern und Schwestern jüdischen Glaubens angetan wurde, niemals zu vergessen. Es schließt sich der sogenannte Volkstrauertag an, der uns seit vielen Jahren einen Raum gibt, all derer zu gedenken, die Opfer von Terror, Gewalt und politischer Verfolgung wurden.

Und dann also der Tag, der im Zeichen unserer ganz persönlichen Trauer steht, der Totensonntag, der auch Ewigkeitssonntag genannt wird. Ein Tag voller Erinnerungen, ein Tag, der wieder alte Fragen neu stellt. Ein Tag, der nach Antworten und vor allem nach Trost sucht. Ein Tag, der uns unmissverständlich zeigt, dass unser Leben endlich ist und dass der Tod zum Leben gehört. Aber diesen Gedanken verdrängen wir oft lieber.

Und egal woran und in welchem Alter sich unsere Liebsten verabschiedet haben – es ist immer zu früh und sie hätten noch so viel vorgehabt und wir hätten sie noch so gerne bei uns.

Das Bibelwort, das uns in diesem Jahr an die Hand gegeben wird, erinnert an den Abschied eines Mannes, der ebenfalls noch so viel vorgehabt hätte, auch wenn er ein biblisches Alter erreicht hat. Mose hat das Volk Israel vierzig Jahre lang durch die Wüste geleitet. Ein langer Zeitraum, den wir uns kaum vorstellen können. Vierzig Wüstenjahre mit unendlich vielen Entbehrungen. Mit Menschen um ihn herum, die ihm manchmal gerne gefolgt sind – und ihn aber oft auch bitter beschimpft und enttäuscht haben.

Wie konnte er diese Aufgabe schaffen? Vor allem wohl, weil Gott an seiner Seite war. Aber Sie müssen jetzt nicht denken, dass er sich dessen immer sicher war. Nein, auch er hatte Zweifel und forderte sichtbare Zeichen von Gottes Nähe. Und dann musste er auch noch ständig zwischen der Ungeduld, den Widerständen und Fragen des Volkes und Gott vermitteln. Wahrlich kein leichter Job.

Aber es gab auch immer ein Ziel, das er wie eine Leuchtmarke in seinem Herzen trug. Das „gelobte Land“, das Gott schon seinen Vätern versprochen hatte und das nach dieser Wüstenwanderung hinter dem Jordan auf sie warten würde.

Nach diesen langen Jahren sind sie nun tatsächlich am Ende der Wüste angelangt. Und Mose steigt auf einen Berg und darf das versprochene Land sehen. Gott zeigt es ihm. Und mit diesem Sehen und in dieser Vorfreude auf das, was ihn und alle erwarten wird, stirbt Mose. Gott hatte ihm irgendwann schon gesagt, dass er selbst den Fluss nicht mehr überqueren würde, und er hatte einen Nachfolger bestimmt, den Mose dem Volk noch vorgestellt hat.

Über Moses Gefühle und vielleicht auch Ängste erfahren wir nichts. Wir wissen nicht, ob es traurig für ihn war, dass er dieses gelobte Land tatsächlich nur sehen und nicht mehr betreten durfte.

Natürlich war die Trauer über seinen Tod sehr groß. Dreißig Tage lang beweinten die Menschen ihn und klagten über diesen großen Verlust. Verehrt wird er bis heute. Mit dieser Geschichte endet die Tora, die Fünf Bücher Mose. In der jüdischen Tradition bildet dieser Abschluss zugleich die Überleitung für einen Neubeginn, der mit dem Buch des Propheten Josua startet.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht., Ich fühle mich von dieser Erzählung eingeladen, gleichzeitig loszulassen und zu bewahren. Mich zu verabschieden von Fragen, die ich nicht beantworten kann und gleichzeitig zu spüren, dass ein geliebter Mensch für immer in meinem Herzen bleiben wird. Ich möchte mich gerne einlassen auf diese Beschreibung Gottes, der Mose in dieser und ganz vielen anderen Situationen unendlich nahe war.

Und ich möchte glauben, dass dieser Gott auch meine Liebsten bis zu ihrem letzten Atemzug zärtlich begleitet hat und dass er auch uns alle begleitet, zu jeder Zeit und egal, wohin unsere Wege uns führen.

Wir beten:

Du, Gott, weißt, wie es in unseren Herzen aussieht, und kennst unsere Gedanken und Ängste. Wir danken dir für jede tröstliche Geste, für alles Zuhören, das wir durch andere erfahren durften. Und es segne und behüte uns der Gott allen Anfangs, der alles Leben schützend in seinen Händen hält – auch über den Tod hinaus. Amen.

Sabine Grüneklee-Herrmann