Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe. (1. Korinther 16,14)
Als ich Ende des vergangenen Jahres mit Mann und Hund unterwegs war, die allermeisten Blätter waren schon von den Bäumen gefallen, da fiel mir plötzlich ein einzelnes Blatt ins Auge. Ich bin in die Knie, um es mir genauer anzusehen, und konnte dann ein Lächeln nicht verkneifen. Irgendein kleines Insekt, eine Raupe, ein Käfer, was weiß ich, hatte sich gütlich getan an diesem Eichenblatt und offensichtlich mit Bedacht gefuttert: ein kleines Herz war entstanden, was auf der Stelle mein Herz erfreut hat.
Was für eine Botschaft für die Welt. Liebe! Habe ich gedacht und natürlich sofort mein Handy gezückt, um es zu fotografieren. Ein kleines Herz, das mein Herz erfreut.
Wenn ich länger darüber nachdenke, dann merke ich, dass ich durch solche kleinen Nettigkeiten verändert werde, nicht nur von Herzen in Eichenblättern oder gemalt auf Schulbänken und Häuserwänden, sondern überhaupt. Wenn mir Liebe in den verschiedensten Ausprägungen begegnet, Freundlichkeit und Nachsicht, eine Umarmung oder Schokolade… dann schlägt mein Herz vielleicht nicht gleich um Längen schneller. Ich sehe nicht sofort alles in Rosarot, aber irgendetwas geschieht eben doch mit mir, ein kleines Lächeln, ein freundliches Nicken, eine Stimmungshebung, irgendetwas.
Es bleibt bei mir jedenfalls nicht ohne Folgen. Manchmal gebe ich es tatsächlich gleich an den Nächstbesten weiter. Geht Ihnen das auch so? Meine Großmutter hätte sicher einen passenden Spruch parat gehabt: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Sie hätte mich angelächelt und gesagt: Mieke, wenn du freundlich und lieb zu den anderen bist, dann sind sie es auch zu Dir.
Dieser kleine Gourmet da aus dem Wald, der sich, im wahrsten Sinn des Wortes, so liebevoll an dem Eichenblatt gütlich getan hat, der hat seine Liebe mal auf jeden Fall schon bis zu mir getragen. Und vielleicht wird sein Wirkungskreis jetzt noch größer, weil ich Ihnen davon erzähle.
Warum ich das tue? Naja. Weil auch die Jahreslosung für 2024 von der Liebe spricht und davon, das finde ich jedenfalls, wie man sie vermehren könnte. Die Jahreslosung lautet:
Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.
Diese Losungen sind ja immer etwas aus dem Zusammenhang gerissen, deshalb ist es vielleicht sinnvoll, ein bisschen etwas zu dieser Aufforderung zu erzählen. Sie stammt von Paulus und richtet sich an die Gemeinde in Korinth, wo gerade nicht alles so ganz harmonisch ist, wo sich Gruppen und Grüppchen gebildet haben und sich nicht alle aufs Herzlichste lieben. Im Gegenteil: es herrschen Neid und Missgunst, man bekämpft sich gegenseitig, Liebe scheint tatsächlich Mangelware.
Und Paulus gehört ja nun zu denen, die sich über die Liebe viele Gedanken gemacht haben, der, fast möchte ich sagen, ein echter Fachmann auf diesem Gebiet ist. Ich bin sicher: jeder und jede kennt das 13. Kapitel seines ersten Briefes an die Korinther, wo er ausführlich über Liebe philosophiert und genau weiß, wie sie ist: nämlich, dass sie geduldig und gütig ist, sich nicht ereifert, nicht angibt oder sich aufspielt, nicht unverschämt ist, auf keinen Fall den eigenen Vorteil sucht, nicht reizbar ist und Böses nicht nachträgt. Freude an der Wahrheit empfindet und eben keine Schadenfreude kennt oder sich womöglich am Unrecht erfreut. Liebe erträgt und hofft alles.
Wer es vergessen hatte, der hat es jetzt gehört: Liebe ist ganz viel und vor allem großartig und gelegentlich auch eine echte Herausforderung – sage ich. Naja. Damit erzähle ich ja nichts Neues. Wenn man mit etwas Erfahrung hat, dann mit der Liebe. Vielleicht auch mit enttäuschter Liebe, aber wir haben alle so unsere Vorstellungen und vor allem Empfindungen damit. Und nun also als Überschrift für das kommende Jahr:
Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.
Ich sage mal gleich: Ich bin kein so guter Käfer wie der, der am Eichenblatt geknabbert hat. Bin ich nicht. In meinem Leben geschieht manches so einfach nebenbei, anderes sogar tatsächlich relativ lieblos und anderem fehlt so richtig die Liebe. So eine bin ich. Und immer ganz neidisch, in einem guten Sinn des Wortes, wenn ich andere erlebe, die fast immer liebevoll an alles und jeden herangehen. Vielleicht ist die Jahreslosung ja gerade deshalb etwas für mich. Und natürlich für alle, die so ähnlich ticken wie ich, und sicher auch für die anderen, weil sie dadurch bestärkt werden.
Ich erinnere noch einmal an meine Oma: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Und ich lächle wieder, nicht nur, weil ich an sie denke, sondern weil ich doch weiß, wie recht sie hat. Wenn ich Kindern etwas in Ruhe und mit Einfühlungsvermögen und ja, auch mit Liebe erkläre, dann verstehen sie vielleicht immer noch nicht alles sofort, aber sie sind offen dafür. Wenn ich aber mit Druck arbeite, dann sind sie schon so verschreckt, dass vor lauter Angst nichts gelernt werden kann.
Wenn ich bei Fehlern anderer nachsichtig bin, sie vielleicht sogar entschuldige, dann bleibt das Klima ruhiger und auch ich kann mir dann mal einen Fehler erlauben. Wenn ich jemanden, der von sich selbst enttäuscht ist, in den Arm nehme und ihm damit zeige, dass es mindestens noch einen Menschen gibt, der ihn trotzdem mag: vielleicht kann er sich selbst verzeihen und in Zukunft Fehler vermeiden.
Es gibt so viele Beispiele, die einem einfallen, Beispiele, bei denen man spürt: Mist, das hättest Du mit Liebe auch besser hinbekommen. Oder wo man merkt: weil da wer liebevoll mit mir umgegangen ist, war es leichter, die eigenen Fehler einzugestehen. Oder wo Kommunikation trotz völlig unterschiedlicher Auffassungen nicht abbrach, sondern fortgesetzt wurde, weil man sich respektierte und im anderen, der anderen nach etwas gesucht hat, das man lieben kann.
Dass wir uns jetzt hier nicht falsch verstehen! Es geht nicht darum, über das ganze Leben irgendeine süße Soße zu schütten, sich selbst zu verleugnen und anderen etwas vorzumachen: In der Liebe geht es auch immer um die Wahrheit und das Sich-in-die-Augen-Schauen-Können. Es geht nicht darum, auf alles ein Pflaster zu kleben. Manchmal muss man gerade wegen der Liebe die Finger in die Wunde legen, damit sich etwas verändert.
Und Liebe hat auch nichts damit zu tun, dass ich immer den Willen anderer erfülle – nein. Manchmal muss ich dem anderen, der anderen vielleicht sogar aus Liebe wehtun. Ich erinnere mich an eine Klassenkameradin, die früh Mutter geworden war. Ihr Kind war behindert zur Welt gekommen und benötigte eine besondere Gymnastik, damit sich ihr Körper gut entwickelte. Das war ihr sehr arg. Das tat nämlich weh. Der Kleine schrie permanent, wenn sie so mit ihm gearbeitet hat. Aber sie mussten beide da durch. Es half nichts. Aus Liebe, weil sie wusste, wofür es ist, hat sie ihm weh getan. Aus Liebe.
Das mit der Liebe ist eben nicht so einfach. Und trotzdem möchte ich jetzt erst recht für unsere neue Jahreslosung werben. Ich will versuchen, sie umzusetzen, ich will versuchen, meinen Blick darauf zu richten, ich will versuchen, die Liebe zu leben. Vielleicht werden meine Herzen nicht so akkurat wie die des Käfers, vielleicht misslingt auch immer wieder etwas, aber wenn wir alle versuchen, die Liebe zu leben, dann verändern wir uns gegenseitig zum Besten.
Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.
Amen.
Friederike Seeliger
Toll! Macht Spaß zu lesen, hat Geschwindigkeit, Witz und Tiefgang! Jetzt nur noch: loslegen. Vielen Dank und ein segensreiches Jahr!
Dankeschön für den netten Kommentar und gleichfalls. Herzliche Grüße! Stefan Koppelmann, für die Redaktion.
wunderbare Auslegung der Jahreslosung und so wahr was Sie schreiben, Frau Seeliger.
Dankeschön für den Kommentar! Nachträglich alles Gute und Gottes Segen für das neue Jahr, liebe Grüße SK