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Wunderbar!

Die Tauben macht er hören und die Sprachlosen reden. (Markus 7,37)

Was für eine schöne Geschichte. Da wird einer zu Jesus gebracht, der schwer krank ist und alle hoffen und gehen wohl auch davon aus, dass Jesus ihn heilen kann und es auch tun wird.

Und die Erwartungen erfüllen sich. Jesus wendet sich dem Kranken zu, nimmt sich richtig Zeit, berührt ihn, heilt mit seiner Spucke. Und so kann einer wieder hören und sprechen, kann einer wieder ganz normal am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, ist nicht mehr isoliert, ist nicht mehr auf andere angewiesen, auf Menschen, die ihn ohne Worte verstehen. Er kann wieder selbst reden und hören. Wunderbar!

Die Geschichte steht im Markusevangelium:

Und als er wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. Und sie brachten zu ihm einen, der taub war und stammelte, und baten ihn, dass er ihm die Hand auflege.

Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und spuckte aus und berührte seine Zunge und sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! Und sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge wurde gelöst, und er redete richtig.

Und er gebot ihnen, sie sollten’s niemandem sagen. Je mehr er’s ihnen aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus. Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hören und die Sprachlosen reden. (Markus 7,31-37)

Als Kind habe ich sie geliebt, die Wundergeschichten in der Bibel. Ich hatte mit ihnen so gar keine Probleme, im Gegenteil: Ich habe mich immer gefreut, dass Jesus während seines Lebens umherging und nicht nur predigte, sondern eben auch heilte, wunderbar heilte, Menschen heilte, die selbst gar nicht damit rechneten und wo es irgendwie geheimnisvoll zuging.

Schön fand ich das, wunderbar im wahrsten Sinn des Wortes und überhaupt nicht anzuzweifeln. Gott kann so etwas eben, habe ich immer gedacht. Wenn Gott will, dass jemand gesund wird, dann wird er das.

Damals. Damals, als Kind, da war das so. Mein unerschütterlicher Kinderglaube. Gott heilt. Man muss ihn nur bitten, dann klappt das schon. Na klar, alle konnte Jesus nicht heilen, aber doch die, die ihm begegneten und das waren doch auch nicht wenige.

Und heute? Glaube ich heute noch so an Wunder, dass ich diese Geschichten noch immer so freuen, wie sie es einmal getan haben? Ist mein Wunderglaube noch genauso unerschütterlich wie als Kind? Ja, eigentlich schon und irgendwie auch nicht, wobei da jetzt kein Zweifel sein soll oder jedenfalls nicht so ein ganz großer, keiner, der an der Wundermöglichkeit zweifelt, aber…

Ich erkläre es. Ich liebe auch heute noch Wundergeschichten, Heilungsgeschichten, Geschichten, in denen auf wundersame Weise etwas geschieht, was das Leben wieder ins Lot, in die richtige Bahn, ins Gesunde bringt. Wo Heilung, nicht nur der Menschen, auch der Welt geschieht.

Aber, aber meine Sehnsucht danach ist oft viel größer, als ich das in der Realität feststellen kann, will sagen: ich bin ganz oft auf der Suche, verzweifelt, weil ich so oft enttäuscht werde, weil Gott nicht so heilt, wie ich es mir, und oft ja auch ganz viele andere es sich wünschen.

Vielleicht ist das so, weil ich gerade in einem Bereich arbeite, wo sich so viel um Heilung dreht, wo so viel Hoffnung ist, wo aber eben auch viel Verzweiflung herrscht, wenn Erwartungen sich nicht erfüllen. Und so kann ich sie manchmal gar nicht entdecken, die Wunder, die es heute doch genauso geben muss wie damals, wenn es denn stimmt, dass Gott derselbe gestern, heute und in Ewigkeit ist.

Szenenwechsel. Ein paar, ganz viele Jahre zurück. Mein ältester Neffe, viel bei seinen Großeltern unterwegs, weil seine Mama arbeitet, besucht regelmäßig den Kindergottesdienst. Irgendwann kommt er von einem seiner Gottesdienstbesuche wieder, lächelt in die Runde und verkündet zum Erstaunen aller, dass es ein echtes Wunder sei, dass sein Knie, auf das er irgendwann gefallen war, wieder heile geworden sei, es nicht mehr blutet, sondern geheilt sei. Überhaupt entdeckt der kleine Mann plötzlich an jeder Ecke ein Wunder.

Alles, was nicht sofort erklärt werden kann, seinen Alltag aber erleichtert oder erfreut, wird zum Wunder erklärt. Seiner Familie war es fast ein wenig zu enthusiastisch und wir waren froh, als es sich wieder legte. Aber hatte er nicht recht? Gibt es nicht überall Wunder zu entdecken? Wenn auch nicht immer die, auf die ich hoffe?

Andere Szene. Ich stehe in einem Krankenzimmer, in dem zwei schwerstkranke Frauen liegen und erzähle, dass ich als nächsten Predigttext eine Wundergeschichte habe, mich etwas schwer tue und sofort, noch ehe ich viel dazu sagen kann, sagt eine der Beiden: Es gibt sie aber, die Wunder! Zack. Keine Schwierigkeiten mit Wundergeschichten zu erkennen. So ähnlich wie bei meinem Neffen. Es gibt sie!

Und jetzt? Ich gerate ins Überlegen. Und natürlich fallen mir welche ein. Ja, es gibt Wunder! Das glaube ich auch. Ich höre sogar von solchen Wundergeschichten.

Nach Jahren kommt sie wieder. Eine Freundin von mir, Frauenärztin von Beruf, hat es erzählt. Plötzlich stand sie vor ihr, lachte sie an und meinte: Sie erkennen mich nicht – oder? – Nein. Ich kenne Sie nicht! – Doch, sagt die Frau. Ich bin die Sowieso. Vor einigen Jahren haben sie mich behandelt. Ich glaube, Sie haben selbst nicht daran geglaubt, dass ich es schaffe. Hier bin ich. Ich lebe noch. Und tatsächlich, so hat meine Freundin erzählt, da konnte ich mich wieder erinnern! Nein, für ihr Leben haben wir damals keinen Pfifferling gegeben. Wir waren sicher, dass sie sie dem Tode geweiht ist. Eigentlich haben wir sie nur zum Sterben nach Hause entlassen. Dass sie noch lebt, ist ein echtes Wunder!

Vor ein paar Tagen habe ich es im Internet gelesen. Ein Metzger im Ahrtal gehört mit zu den ersten, die ihr Geschäft wieder eröffnen konnten. Warum? Er hat zwei Tage vor der Flut geträumt, dass das Wasser kommt. Und er hat diesen Traum seiner Frau und seinem Zwillingsbruder erzählt. Die haben ihm vertraut, haben an den Traum geglaubt. Gemeinsam haben sie die wichtigsten Maschinen am Abend vor der Flut in Sicherheit gebracht. Ein Wunder! Den Traum ernst zu nehmen, als alle noch dachten, der spinnt! Menschen an der Seite zu haben, die vertrauen.

Ja, es gibt sie auch heute: Wunder. Und wie ist das jetzt mit mir? Liebe ich sie noch die Wundergeschichten der Bibel? Liebe ich sie noch angesichts der Tatsache, dass nicht alle ein Wunder heilt, dass wir mit Enttäuschungen leben müssen, unerfüllten Wunderwünschen?

Ja, ich liebe sie noch, die Wundergeschichten, und in mir ist eine Sehnsucht nach mehr, nach mehr Heilung, nach Ganzheit, nach Erfüllung. Nicht nur für mich persönlich, sondern für die Welt, die so heilungs- und heilsbedürftig ist. Aber ich weiß auch, dass Gott der Herr des Lebens ist, dass ich ihn um Wunder bitten darf, aber doch immer mit dem Zusatz: Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden.

Ich will wieder aufmerksamer werden für die Wunder um mich herum und auch darauf vertrauen, dass Gott es gut mit mir meint, auch, wenn nicht alle meine Wunderwünsche in Erfüllung gehen. Er ist derselbe, damals, heute und in Ewigkeit. Amen.

Friederike Seeliger