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Wer hofft, lebt anders

Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes. (Römer 15,13)

Unter welchem Stern dieses Jahr 2020 wohl steht? Viele sind skeptisch. Zu viele Bilder von der Klimakrise, eine Menschheitsherausforderung für dieses Jahrhundert, Bilder des sich ausbreitende Antisemitismus in unserem Land, ein Symptom, dass die Gesellschaft gewalttätig und intolerant wird, Ressentiments und Hetze der AfD gegen Migranten, Hass und Morddrohungen in den sozialen Medien, das sind Bilder aus dem letzten Jahr, die in unseren Köpfen herum geistern. Sie spiegeln eine gesellschaftliche, politische und globale Verunsicherung, die auch in Kirchengemeinden spürbar ist.

Diesem Krisenszenario kann für das neue Jahr und auch Jahrzehnt die Hoffnung als gemeinsame Zukunftsperspektive entgegengestellt werden. Denn wer Hoffnung hat, kann das Leben leichter meistern. Hoffnung vermag Menschen eine unglaubliche Energie zu verleihen.

Ich stelle mir einen jungen Mann in Afrika vor. In seiner Heimat hat er schlechte Aussichten. Er macht sich auf den Weg durch die Wüste, Richtung Mittelmeer. Er weiß ziemlich genau, welche Gefahren ihn erwarten. Er weiß, dass er sich auf Menschen verlassen muss, die an ihm als Person überhaupt kein Interesse haben. Sie sind nur an seinem Geld interessiert. Es rührt sie nicht, wenn er beinahe verdurstet. Protestiert er, setzt es Schläge. Und geht die Überfahrt schief – es ist ihnen egal: „So what?“ „Was soll’s?“ Und trotzdem macht er sich auf den Weg: Wochenlang, monatelang ist er unterwegs. Was ihn antreibt, ist die Hoffnung. Die Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa.

Hoffnung gibt uns Menschen Kraft und Mut. Hoffnungslosigkeit macht schwach. Wenn Menschen keine Hoffnung mehr haben, dann geben sie sich auf. Manche sagen, Depressionen seien die Krankheit unserer Zeit. Und die Hoffnungslosigkeit gehört zu den markantesten Gesichtszügen der Depression: „Es wird ja doch nicht mehr besser.“ Der Reformator Martin Luther prägte in seiner Bibelübersetzung von 1545 den Begriff „der Gott der Hoffnung“. „Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit Freude und Friede…“ (Römerbrief 15,13). So ist Gott selbst die Quelle und Grundlage der christlichen Hoffnung und Zuversicht.

An anderer Stelle beschreibt Luther die Hoffnung als Summe der ganzen christlichen Lehre: „In den Worten ‚Ich hoffe auf den Herrn‘ ist die Summe der ganzen christlichen Lehre enthalten, welche nicht im Augenschein, sondern im Hoffen beruht“. Ein Leben ohne Hoffnung ist ein trauriges Leben. „Guter Hoffnung sein“ kann auch den Zustand einer Schwangerschaft beschreiben. Im Volksmund sagt man dann „Sie ist guter Hoffnung“. Die moderne Medizin macht heute oft den Frauen es nicht leicht, guter Hoffnung zu sein. Ohne Hoffnung können wir kaum leben.

Freilich: Hoffnung kann auch enttäuscht werden. Wer hätte das nicht schon erlebt: Man erhofft sich irgendetwas Schönes – und dann stellt es sich als enttäuschend heraus. Der Urlaub nicht so schön wie erhofft. Das Essen nicht so gut wie erwartet. Oder viel gravierender: Der Mensch, von dem ich mir so viel erwartet habe, erfüllt diese Erwartungen in keiner Weise. Das gehört auch zu den Lektionen des Lebens: Dass man lernt, mit enttäuschten Hoffnungen umzugehen. Weil sie enttäuscht werden kann, hat die Hoffnung einen zweischneidigen Ruf: Einerseits sagt man: „Du darfst die Hoffnung nie aufgeben.“ Andererseits heißt es im Sprichwort: „Hoffen und Harren hält manchen zum Narren.“

Gar nicht so einfach ist das mit der Hoffnung. Dietrich Bonhoeffer, dessen Ermordung durch die Nazis im KZ Flossenbürg am 9. April 1945 sich in diesem Jahr zum 75. Mal jährt, schreibt von der Hoffnung überzeugend: „Ein Glaube, der nicht hofft, ist krank. Er ist wie ein hungriges Kind, das nicht essen, oder wie ein müder Mensch, der nicht schlafen will. So gewiss der Mensch glaubt, so gewiss hofft er.

Und es ist keine Schande zu hoffen, grenzenlos zu hoffen. Wer wollte auch von Gott reden, ohne zu hoffen. Wer wollte auch von Gott reden, ohne zu hoffen, ihn einmal zu schauen? Wer wollte von Frieden und von der Liebe unter den Menschen reden, ohne sie einmal in Ewigkeit erleben zu wollen? Wer wollte von einer neuen Welt und einer neuen Menschheit reden, ohne zu hoffen, dass er an ihr teilhaben werde? Und warum sollen wir uns unserer Hoffnung schämen? Nicht unserer Hoffnung werden wir uns einstmals zu schämen haben, sondern unsrer ärmlichen und ängstlichen Hoffnungslosigkeit, die Gott nichts zutraut, die in falscher Demut nicht zugreift, wo Gottes Verheißungen gegeben sind, die resigniert in diesem Leben und sich nicht freuen kann auf Gottes ewige Macht und Herrlichkeit.

Je mehr ein Mensch zu hoffen wagt, desto größer wird er mit seiner Hoffnung: Der Mensch wächst mit seiner Hoffnung, wenn es nur die Hoffnung auf Gott und seine alleinige Kraft ist. Die Hoffnung bleibt“ (London 1933-1935, DBW Band 13, Seite 401f.). Das sind starke und Mut machende Worte für das Jahr, das vor uns liegt. Wer Hoffnung hat, kann das Leben leichter meistern. Wer hofft, lebt anders.

Werner Sonnenberg