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Trau dich, hab keine Angst!

Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn. (Matthäus 14,31)

Das traust du dir nie! Angsthase! – Na klar kann ich das! Wenn du das schaffst, schaffe ich es erst recht! – Kennen Sie solche Szenen? Können Sie sich daran erinnern, an diese Wettkämpfe unter Kindern? An das Springen vom Fünf-Meter-Brett? Wenn ich heute daran denke, wird mir richtig schlecht. Das Drei-Meter-Brett hatte mir schon Hochachtung abgerungen – da musste ich natürlich runter, weil ich das Jugendschwimmer-Abzeichen haben wollte. Aber jetzt der Fünfer? Was hatte ich Angst. Alter Schwede, war das hoch! Beim Hinuntergucken kamen ja noch die Wassertiefe dazu und mein eigener Meter. Warum nur hatte ich den Mund so voll genommen?

Aber getan habe ich es dann doch. Weil mein Zwillingsbruder es auch gemacht hat. Ausgerechnet mein Bruder springt! Eigentlich ein unsportliches Kind, ein kleines bisschen pummelig. Trau dich doch, hab keine Angst! Wenn der das kann… Da waren wir im Urlaub, in Bayern. Noch immer sehe ich es vor mir. Diesen gigantischen Sprungturm, die Sorge meiner Mutter: Müsst ihr unbedingt? Na, klar, mussten wir. Keine Ahnung, warum. Beide wollten wir den anderen etwas beweisen. Der ganzen Welt und uns selbst beweisen, dass wir keine Angst haben.

Trau dich! Hab keine Angst! Sich mit anderen zu messen, es den anderen zu zeigen, sich zu beweisen und zu vergleichen mit anderen, in vielen von uns steckt es drin. Ich kann mich nicht davon freisprechen. Auch wenn ich heute nicht mehr aus schwindelerregender Höhe springen muss, an anderen Stellen meines Lebens kenne ich es eben doch: mich zu vergleichen, mich zu beweisen, es den anderen zeigen zu wollen.

Manchmal ist es schlicht Übermut. Sich zu beweisen, vielleicht auch um den Übermut geht es auch im Matthäusevangelium:

Und alsbald drängte Jesus die Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm ans andere Ufer zu fahren, bis er das Volk gehen ließe. Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und am Abend war er dort allein. Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen.

Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht. Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!

Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich! Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich. Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn! (Matthäus 14,22-33).

Zunächst einmal geht diese Geschichte gar nicht übermütig los, im Gegenteil. Jesus ist ein bisschen auf der Flucht, im Rückzug begriffen. Nachdem Jesus gerade viele Menschen geheilt hat und noch dafür gesorgt hat, dass die Fünftausend, die ihm nachgefolgt waren, genug zu essen bekommen hatten, braucht er Ruhe. Sogar seine Jünger schickt er fort, um ganz allein mit Gott zu sein. Er muss wieder zu Kräften kommen, damit er auch in Zukunft für all die Menschen, die zu ihm kommen, ganz da sein kann.

Und als er sich ausreichend gesammelt hat, da sind seine Jünger auf dem See schon weit fort. Und so macht Jesus sich auf den Weg zu ihnen. Er nimmt kein Boot, sondern geht über das Wasser. Als seine Jünger ihn sehen, können sie nicht glauben, was sie sehen. Wie auch? Wenn ich mir das vorstelle, dann hätte ich sicher auch sehr sparsam aus der Wäsche geschaut, den Kopf geschüttelt, die Augen noch einmal zugemacht, um sie dann bewusst wieder zu öffnen und wenn dann das Bild das gleiche gewesen wäre: ich glaube, ich wäre auch mehr als erschreckt gewesen, hätte Angst gehabt, wer da auf mich zukommt oder dass mit mir etwas nicht stimmt. Die Reaktion der Jünger: völlig verständlich. Unbegreifen und Angst. Da bin ich ganz nah bei ihnen.

Dabei bleibt es nicht: Jesus hört das Schreien und spricht sofort mit ihnen. Ganz beruhigend sagt er, dass sie sich nicht fürchten müssen, dass sie getrost sein dürfen, gar nichts passiert, sondern er nur wieder zu ihnen kommt. Die vertraute Stimme, die Botschaft, die Jünger beruhigen sich, obwohl hier etwas geschieht, was sie in ihre Erfahrungswelt gar nicht einbauen können.

Doch einer springt aus der Reihe. Einer ist übermütig, will es allen und vielleicht auch sich selbst beweisen, will zeigen, dass er sich was traut, dass er Jesus etwas zutraut und will wohl auch Gewissheit, dass es wirklich Jesus ist: Herr, wenn du es bist, befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser! Und er bekommt den Befehl. Er läuft los und im selben Moment, wie er auf dem Wasser ist und sich klarmacht, was das bedeutet, wie tief es ist und wie gefährlich, als er dann noch den Wind wahrnimmt, da… da wird die Angst übermächtig und er sinkt und er schreit, schreit nach dem, von dem er gerade noch wollte, dass er ihn zu sich ruft.

Im ersten Moment habe ich gedacht: Mensch, Petrus ist auch wirklich doof! Warum bringt er sich erst in so eine Situation? War doch völlig überflüssig! Und dann dachte ich, na, wenn er mehr Vertrauen gehabt hätte… Aber: Erstens hat er und zweitens hat er nicht. Und dann wurde ich ganz kleinmütig. Ich dachte an Situationen, in denen ich mich selbst in schwierige Aktionen verstrickt hatte, die überflüssig waren. Ich dachte an Situationen, in denen auch mir schon einmal das Vertrauen gefehlt hat. In denen es, weil das Vertrauen fehlte, sogar gerade deshalb besonders gefährlich wurde.

Als Kind – wenn ich meinem Vater in die Arme springen wollte und der auch mit ausgebreiteten Armen vor mir stand und ich plötzlich mitten im Sprung den Mut verlor, kein Zutrauen hatte, und mein Paps sich plötzlich mühen musste, um mich zu fangen, weil der Sprung jetzt doch sehr schräg wurde…

Und ist das mit meinem Gottvertrauen nicht manchmal auch so? Da wage ich etwas im Vertrauen auf meinen himmlischen Vater und dann verlässt mich mein Gottvertrauen, werde ich so kleingläubig wie Petrus, beginne ich zu sinken wie er.

Man kann sich über Petrus ärgern, man kann sich über ihn wundern, dass er immer wieder großspurig etwas sagt und dann ganz kleinlaut wieder dahinter zurückmuss – später wird er Jesus ja sogar verleugnen. Aber man kann sich auch darüber freuen, dass diese Begebenheit überliefert ist, weil sie zeigt, wie zugewandt, trotz aller Großspurigkeit und allem Übermut im Vorfeld Jesus einfach da ist.

Wer sich in seiner Not Gott zuwendet, wer seinen Kleinglauben erkennt, seine Fehler registriert und einsieht, der darf auf Gottes Hilfe, am Ende auch auf seine Vergebung hoffen. Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn: Ergreifen auch wir seine Hand in allen Lebenslagen.

Friederike Seeliger