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Schwerter zu Pflugscharen

Und Gott wird Recht sprechen zwischen den fremden Völkern und richten zwischen vielen Völkern. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Lanzen zu Winzermessern umschmieden, kein fremdes Volk wird mehr gegen ein anderes sein Schwert erheben, und niemand wird mehr Kriegshandwerk lernen. (Jesaja 2,4)

Mein Schwiegervater war der Maler und Grafiker Herbert Sander aus Potsdam. 1980 entwarf er einen Aufnäher, der drei Worte aus diesem Bibeltext verwendete: „Schwerter zu Pflugscharen“.

„Schwerter zu Pflugscharen“ kommt in der Bibel gleich mehrfach vor: In der Jesaja-Prophetie, im Buch Micha und im Buch Joel. Daran können wir sehen, dass der Spruch im alten Israel ausgesprochen populär war. Nicht nur wir modernen Menschen sehnen uns nach einer friedlichen Welt. Die Sehnsucht nach einem Ende von Krieg und Gewalt ist Jahrtausende alt.

Die alten Worte klingen wie ein Versprechen: „Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Lanzen zu Winzermessern umschmieden, kein fremdes Volk wird mehr gegen ein anderes sein Schwert erheben, und niemand wird mehr Kriegshandwerk lernen.“ Ach, wäre das schön! „Schwerter zu Pflugscharen“ – drei Worte als Symbol für eine bessere, eine friedliche Welt.

1980 also sollte mein Schwiegervater Herbert Sander eine Art Logo entwerfen, das „Schwerter zu Pflugscharen“ darstellte. Er wurde dazu beauftragt von einer Gruppe junger Pfarrer aus Potsdam. Sie hatten die Idee und baten meinen Schwiegervater, einen grafischen Entwurf dafür zu machen.

Die Potsdamer Pfarrer schlugen Herbert Sander aber nicht nur das Bibelwort vor. Sie wollten auch eine Statue abbilden. Diese Statue hatte die Sowjetunion 1959 der UNO geschenkt. Bis heute steht sie im Garten des UNO Hauptgebäudes in New York. Sie zeigt im Stil sowjetischer Heldendarstellung einen Mann, der ein Schwert zu einem Pflug umschmiedet, und sie wurde geschaffen vom Bildhauer Jewgeni Viktorowitsch Wutschetisch. Der Titel des Werkes lautet: We shall beat our swords into plowshares – Wir werden unsere Schwerter zu Pflugscharen schlagen. Das Versprechen Gottes, dass eines Tages der Frieden auf Erden kommt – es wird hier zu einem Gelöbnis der Menschheit: Ja, wir werden es tun!

Gerade in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war die Hoffnung groß, dass es nun endlich wahr werden würde mit dem Ende von Krieg und Gewalt. „Schwerter zu Pflugscharen“ – diese Worte konnten damals sogar im Sozialismus Karriere machen. Man nannte sie seinerzeit: Urbild der pazifistischen Internationale. (Ernst Bloch)

Dass diese Worte und der Bezug zu dem Bibelwort gerade in New York und bei der UNO in Form einer Statue aufgestellt wurden – das hätte man sich nicht besser ausdenken können. In den Worten des Jesaja-Buches stehen nämlich die berühmten Worte in einem ganz bestimmten Zusammenhang:

„Es wird geschehen am Tag der Tage: Fest stehen wird der Berg des Hauses Gottes als Gipfel der Berge und sich erheben über die Hügel, und zu ihm werden alle fremden Völker strömen. Und viele Völker werden hingehen und sagen: ‚Auf, lasst uns hinaufziehen zum Berg Gottes, zum Haus der Gottheit Jakobs, damit sie uns lehre ihre Wege und wir gehen auf ihren Pfaden, denn von Zion wird Weisung ausgehen und das Wort Gottes von Jerusalem‘“ (Jesaja 2,2-3).

Ein großes Treffen aller Völker wird stattfinden auf dem Zionsberg in Jerusalem. Genau wie der Spruch „Schwerter zu Pflugscharen“ begegnet uns diese Vorstellung in der Bibel häufig. Im Alten Testament schildert uns besonders die Prophetie in vielen Varianten die große Hoffnung: Dass die Menschheit sich auf dem Zionsberg trifft und dort ein großes Friedensmahl abhält.

Und dann geschieht das Unglaubliche: Die Völker und ihre Regierungen kommen zur Einsicht! Zu der Einsicht nämlich, dass Frieden der beste Weg für alle ist. Dass es die beste aller Lösungen ist, wenn Konflikte nicht mit Gewalt ausgetragen werden. Aufgrund dieser Einsicht kommen die Völker nach Jerusalem. Sie sehen ein, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Sie erkennen, was Gott vor allem durch die Prophetie verkündet hat: Frieden ist der Weg. Und WEIL sie das erkennen, deshalb werden sie DANN ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden. Und zwar alle. Alle werden keine Waffen mehr haben.

Endlich kommt die ganze Menschheit zur Vernunft. Und zwar, weil sie endlich erkennen, dass Gewalt gottlos ist. Darum ist der alte Text NICHT die Internationale des Pazifismus. Zugespitzt gesagt: Er plädiert nicht für eine einseitige Abrüstung. Sondern die Vision beschreibt, was möglich wäre, wenn ALLE die Waffen niederlegten.

Das Alte Testament ist nicht pazifistisch. Es ist pragmatisch. Ein Recht auf Verteidigung wird immer zugestanden. In einer Welt voller Gewalt und Machtmissbrauch kann man sich manchmal nicht anders helfen als der Gewalt Grenzen zu setzen, und das geht nicht nur mit friedlichen Mitteln.

Aber klar ist auch: Solche Lösungen sind nicht der Weisheit letzter Schluss. Deshalb sagt die Bibel: Die beste Lösung ist es, wenn Menschen und Völker zur Einsicht kommen. Diese Lösung passiert im Kopf und im Herzen der Menschen, und eigentlich ist sie nur möglich durch Gottes Hilfe, durch göttliche Erleuchtung. Erst wenn die Menschen im Angesicht Gottes erkennen, was richtig und was falsch ist, wenn sie ihr Verhalten ändern – dann – dann endlich können wir die Waffen begraben, dann werden wir Schwerter zu Pflugscharen schmieden. Dann werden all das Geld, das Material, die Energie, vor allem aber all die Menschenleben auf friedliche Weise eingesetzt.

In den Achtzigerjahren, als mein Schwiegervater in der DDR den Aufnäher entwarf, war der Bibelspruch „Schwerter zu Pflugscharen“ auch in Westdeutschland populär. Wir haben die Worte allerdings damals schon im Sinn einer einseitigen Abrüstung gelesen, und als Aufruf zu unbedingtem Pazifismus. Das muss ich im Rückblick, auch für mich selbst, kritisch betrachten.

Ich und viele andere, wir wünschten uns für sofort, für hier und jetzt, und auch durchaus einseitig, dass die Schwerter zu Pflugscharen würden, dass kein Geld für Rüstung mehr ausgegeben würde. Und vor allem wollten wir ein Ende der atomaren Aufrüstung und ein Ende des Wettrüstens der Supermächte Russland und Amerika.

Es gab einen zweiten Spruch, der damals als Aufkleber kursierte, er prangte auf meiner Tasche und es stand darauf: Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin. So war die Stimmung. Und Schwerter zu Pflugscharen, das war derselbe Geist, dieselbe Haltung. So traf der Aufnäher, erdacht und entworfen in Potsdam, einen Nerv im Osten UND im Westen.

Aber – warum ein Aufnäher? – das fragten wir im Westen uns schon. Wieso kein Aufkleber, wie sie bei uns in der Bundesrepublik überall zu sehen waren? Ich dachte damals, ehrlich gesagt, im Osten gäbe es Probleme mit der Plastikherstellung. Erst später erfuhr ich, warum es gerade ein Aufnäher war.

Die Potsdamer Pfarrer, die meinen Schwiegervater mit dem Entwurf beauftragten – die hatten sich sehr genau mit den Verboten beschäftigt, was man in der DDR alles NICHT ohne staatliche Erlaubnis bedrucken durfte. Man brauchte eine staatliche Erlaubnis für das Drucken auf Stoff, auf Papier, auf Holz, auf Glas, auf Plastik – eigentlich auf alles. Eine staatliche Genehmigung gab es natürlich nicht für „Schwerter zu Pflugscharen“ – trotz des sowjetischen Denkmals – und es war auch nicht zu erwarten, dass sich das ändern würde. Aber die Pfarrer entdeckten eine Lücke in den Vorschriften: Vlies. Vlies wurde in keinem Gesetz, in keiner Vorschrift erwähnt. Vlies war einfach vergessen worden. Und so fiel die Entscheidung für Vlies. Die Kirchen im Westen leisteten geschwisterliche Hilfe und lieferten das Material.

Herbert Sander machte verschiedene Entwürfe, einer wurde ausgewählt und in einer kirchlichen Druckerei auf Vlies gedruckt; die Nachfrage war von Anfang an riesig. Viele nähten sich das runde Zeichen auf den Jackenärmel. Wurden die Aufnäher von Volkspolizisten entdeckt, so rissen sie den Aufnäher ab, was oft ein Loch im Ärmel hinterließ. Oder die Polizisten griffen gleich zur Schere und schnitten ein Stück aus den Jacken heraus. Diese Löcher wurden stolz getragen, denn alle wussten ja, was sie bedeuteten: Dort war der Aufnäher gewesen!

Es soll Menschen gegeben haben, die schnitten sich einfach gleich ein Loch in die Jacke. Weil sie an den Aufnäher nicht herankamen und ein Zeichen setzen wollten – oder weil sie den Aufnäher der Polizei nicht überlassen wollten.

Die Potsdamer Pfarrer wurden übrigens lange und ausgiebig verhört. Immer wieder stellte die Staatssicherheit die eine Frage: Wer von Ihnen hat den grafischen Entwurf gemacht? Und jeder Pfarrer antwortete wahrheitsgemäß: Ich nicht. Einer der inzwischen betagten Pfarrer von damals sagte mir grinsend: Wir haben nicht mal lügen müssen. Die Stasi kam einfach nie auf die Idee, dass wir jemand damit beauftragt hatten. Dadurch und weil alle Beteiligten schwiegen, deshalb kam mein Schwiegervater ungeschoren davon und wurde kein einziges Mal verhaftet oder einbestellt. Erst Anfang der Neunzigerjahre begann er darüber zu sprechen, dass er, Herbert Sander, es war, der den Aufnäher entworfen hatte.

2014 wurde ihm dafür der große Verdienstorden des Landes Brandenburg verliehen. Und als er vor 20 Monaten starb, da waren in der vollen Kirche viele Menschen, die die alten Fahnen und Transparente der Friedensbewegung mitbrachten, und auch die alten Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“.

Das Symbol ist nach 40 Jahren noch immer aktuell, und das Thema wird leider wohl auch so schnell nicht aus der Mode kommen. Es verkörpert die 2500 Jahre alte Hoffnung: dass die Völker zur Einsicht kommen. Die UNO ist ein wichtiger Meilenstein auf diesem Weg, so unvollkommen sie sein mag. Aber sie ist und bleibt eine große Errungenschaft in der Geschichte der Völker und Nationen. Und deshalb war es eine geniale Idee, die Statue aus dem Garten der UNO mit dem Bibelwort „Schwerter zu Pflugscharen“ zu verbinden.

Die Völker treffen sich heute, anders als von Jesaja erwartet, nicht auf dem Zionsberg, sondern in New York. Zur Einsicht gekommen sind sie bedauerlicherweise nicht alle. Gerade in den letzten Jahren entsteht der Eindruck, dass das Rad der Geschichte sich zurückdreht. Immer mehr Egomanen und Brandstifter kommen weltweit an die Macht, und sie sind teilweise sehr weit entfernt von dem, was die Bibel EINSICHT nennt.

Aber dass es die UNO gibt, das ist ein Zeichen der Hoffnung. Ein Schritt auf dem Weg, ein wichtiger Schritt. Es gibt keine Alternative zum mühseligen Weg eines friedlichen Zusammenlebens. Das hat die Bibel weise erkannt. So bleibt die biblische Vision vom friedlichen Treffen der Völker bis heute unerreicht, und trotzdem: Sie ist für unseren christlichen Glauben das Ziel der menschlichen Geschichte.

1992 schrieb Michael Jackson das Lied „Heal the world“. Auch er beschreibt die bessere, die friedliche Welt: „Make a better world“. Und auch in „Heal the world“ kommt „Schwerter zu Pflugscharen“ vor: „See the nations turn their swords into plowshares“ – Seht, die Nationen verwandeln ihre Schwerter zu Pflugscharen. Und weiter: „We could get there if you cared enough for the living“ – Wir könnten es schaffen, wir könnten es erreichen, wenn es euch wichtig genug wäre. Deshalb: „Be God’s glow!“ – Seid das Licht Gottes, seid ein Leuchten, glüht für Gott!

Michael Jackson sagte über dieses Lied, es sei das, auf das er von all seinen Werken am stolzesten wäre. Ich kann das gut verstehen. Das Lied ist Teil des großen Versprechens: Ja, es ist möglich in Frieden zu leben. Weil Gott diese Möglichkeit offenhält. Und uns keine Ruhe lässt.

Und deshalb – weil Gott uns und die Welt nicht aufgibt – deshalb bleibt das Versprechen und steht wie ein Regenbogen über uns und der menschlichen Geschichte:

Schwerter zu Pflugscharen – ihr könnt es.

Elisabeth Müller

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Predigt über Jesaja 2,1-5, gehalten am 11. August 2019 im Gemeindezentrum Fulerum. Nachfolgend der Link zum Wikipedia-Artikel über die Grafik.