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Meine Gottesbilder | In Zeiten von Corona #19

Warum sollen die Heiden sagen: Wo ist denn ihr Gott? Unser Gott ist im Himmel; er kann schaffen, was er will. (Psalm 115,2-3) – Gottes unsichtbares Wesen – das ist seine ewige Kraft und Gottheit – wird seit der Schöpfung der Welt, wenn man es wahrnimmt, ersehen an seinen Werken. (Römer 1,20) | Herrnhuter Tageslosung für den 4. April 2020

„Lieber Gott mach, dass meine Oma wieder gesund wird“- ich war zwölf, als ich so betete. Es war das letzte Mal, dass ich mir ganz selbstverständlich Gott vorstellen konnte. Nicht lange danach und, obwohl meine Oma gesund geworden war, begann ich zu ahnen, dass da wohl kein metaphysischer Puppenspieler in einem wie auch immer gearteten Jenseits sitzt, dessen hilfreiches Eingreifen man durch Gebet heraufbeschwören könnte.

Ich war zu alt geworden für die Idee, Gott sei eine zu uns auf irgendeine Weise sprechende Person, und bis heute erscheint mir die Vorstellung, die letzte Wirklichkeit allen Seins teilte sich auf alltägliche, menschlich-sprachliche Weise mit, absurd. Schon in meinem Studium überzeugten mich die Versuche der Dogmatiker nicht, für unseren Alltagsverstand nicht nachvollziehbare Aussagen über Gott, Vater, Sohn und Geist plausibel machen zu wollen. Fast unerträglich finde ich auch alle Andachten auf Kalenderblättchen, die in ein paar wenigen Sätzen mit unerschütterlicher Gewissheit über den wahlweise guten oder schlechten Ausgang des individuellen Lebens und der Geschichte als Ganzer informieren (wobei mir dabei die mit dem guten Ausgang immer noch lieber sind).

Ich fühle mich deshalb den Heiden unserer Tageslosung nahe, die von Gott in einem Satz mit Fragezeichen reden. Zuerst, weil es allzu viele Geschichten gibt, die fragen lassen, wo Gott denn ist, wenn wir ihn brauchen. Das Abgründige, Schreckliche und Böse in der Welt lassen nur zu, von Gott zu sprechen nach Art der Sehnsucht, des Vermissens und des Einspruchs.

Hinzu kommt dann das unsichtbare Wesen Gottes, das in der Tageslosung erwähnt wird. „Wenn du ihn begreifst, ist es nicht Gott“, schrieb der Kirchenvater Aurelius Augustinus, und der Reformator Johannes Calvin wusste, dass das Begrenzte das Unbegrenzte nicht fassen kann. Prinzipiell also können wir Gott nicht erkennen. Und selbst da, wo sich Gott einem Menschen offenbart, zeigt er sich höchst kryptisch: Von Mose am brennenden Dornbusch nach seinem Namen gefragt, antwortet Gott rätselhaft: Ich werde sein, der ich sein werde. Im Neuen Testament stellt sich der Ewige und Unendliche in der Armseligkeit der Geburt in einem Stall und im Foltertod am Kreuz vor. Da wird mehr verhüllt, verborgen und versteckt als offengelegt und eindeutig gemacht.

Mystiker*innen haben sich in die Meditation versenkt und gehofft, in ihrem Inneren etwas von dem zu erkennen, der so sehr ganz anders ist, dass seine Transzendenz unseren Verstand sprengt. Religionskritiker*innen aller Schulen haben angeregt, die Rede von Gott als das Relikt infantiler Abhängigkeiten durch Fortschritt oder Klassenkampf oder Psychotherapie eindeutig überflüssig zu machen. Nichts davon gewährte jedoch den Zugriff auf die letzte dynamische Wirklichkeit des Lebens, begegnet doch der Mensch hier immer nur dem Menschen.

Selbst ein Satz über Gott mit Fragezeichen ist also streng genommen eine Unmöglichkeit für uns Menschen.

Es ist nicht nur unmöglich, das Göttliche zu erfassen, wir sollten es gar nicht erst versuchen. Das lehrt uns das Bilderverbot im Alten Testament. Wie die Kultbilder die Kanaanäer, so verführen Ist-Aussagen über Gott die aufgeklärten Menschen zu der wahnwitzigen Hoffnung, Gott instrumentalisieren zu können. Ein Beweis, dass Menschen tatsächlich auf solche Ideen kommen, waren die jene Aufschriften „Gott mit uns“ auf Koppelschlössern. Um Gottes und der Menschen willen sollte uns jede vollmundige Behauptung über Gott also zutiefst erschrecken.

Was ich zu sagen weiß über Gott, das habe ich aus Erzählungen. Das nehme ich wahr in den Geschichten derer, die vor mir Erfahrungen mit Gott gemacht haben. Da sind zuerst die biblischen Menschen, die über Spuren Gottes in ihren Lebensgeschichten berichten. Das sind spätere Christ*innen, die ihre Lebensentscheidungen aus ihrem Glauben ableiteten. Manche kenne ich persönlich, andere aus der Geschichte. Das sind Bräuche, Feste und Rituale, in denen wir unsere Ahnung von der Fülle des Lebens feiern und Musik, Architektur, Kunst und Literatur, durch die wir sie gestalten.

Alles das geht einher mit der Unsicherheit, die es bedeutet, etwas für wahr zu halten, weil es uns von jemandem gesagt wird, zu dem wir Vertrauen haben. Wer also von Gott reden will, der*die soll es sehr bescheiden tun, nachdenklich, unsicher – und wissend, dass alles, was gesagt ist, vorläufig und irgendwie auch nicht richtig ist.

Die Gotteserzählungen sind zudem unterschiedlich, vieldeutig, ja teilweise widersprüchlich. Neben der Liebe und Fürsorge Gottes wird erzählt von der Ferne und dem Zorn Gottes. Neben dem Gott, der sich bereitwillig finden lässt, berichten andere von einem Gott, der sich bis zum Wahnsinnigwerden entzieht. Auch hier gibt es also mehr Fragezeichen als Ausrufezeichen. Die Erfahrungen, die man mit Gott machen kann, sind immer nur subjektiv, persönlich und weit entfernt davon, dauerhaft zum Beweis zu taugen.

Die Tageslosung ermutigt uns, die Ungewissheit des Glaubens nicht als Bedrohung zu sehen, sondern als schöpferisches Moment. Die Vielstimmigkeit des Gotteszeugnisses soll gar nicht überwunden, sondern kreativ genutzt werden.

Welches Gottesbild mich wann trägt und wie lange, kann ich ausprobieren. Habe ich eine Zeit, in der Angst und Sorge groß sind, ist es gut, mich an des himmlischen Vaters Hand zu klammern und zu wissen, dass er mein Hirte ist, der es mir an nichts mangeln lassen wird. Habe ich eine Zeit, in der ich Kraft zum Aufbruch und zur Neuorganisation meines Lebens brauche, ist es gut zu hören, dass die grundlegende Gotteserfahrung Israels diejenige mit dem Sklavenbefreier Jahwe war, der sogar durch die Wüste Wege ins gelobte Land bahnte.

Worauf wir vertrauen, was wir aus der Bibel als unser Leitmotiv auswählen, was wir als Gottes Willen identifizieren, was wir als unsere Lebensorientierung nutzen – ist immer vielfältig. Wir müssen uns nicht für eine Option entscheiden, sondern können mehrere gleichzeitig bedeutsam finden. Denn in allen Optionen ist die Kraft Gottes präsent. In allen unseren Weltbezügen begegnen wir dem Schöpfer, der dort vielfältige Spuren seiner Wirklichkeit gelegt hat und uns ermuntert, sie wahrzunehmen und für unser Leben zu nutzen.

Gerade die Zeiten mit vielen Fragezeichen fordern uns heraus, besonders gründlich nach Spuren des schöpferischen Gottes zu suchen. Weil man sie meist anders nicht gut übersteht. In Zeiten von Corona rege ich an, auf unser Menschenbild zu schauen. Keiner hat die richtige Strategie in der Schublade, gemeinsam müssen alle ausprobieren, was das Beste ist, was jetzt gerade noch geht, und nur im fragenden Dialog, nicht in der autoritären Behauptung kann eine Lösung möglicherweise erarbeitet werden. Kommunikation, Experiment, Offenheit sind Schlüsselbegriffe, die wir hoffentlich aus der Krise mitnehmen werden. Da werden gerade aus vielen ehemals selbstverständlichen Ausrufezeichen, Fragezeichen. Das könnte unsere Zukunft sein.

Bleiben Sie gut behütet.

Anke Augustin

Ein Gedanke zu „Meine Gottesbilder | In Zeiten von Corona #19

  1. Gott geht an die Nieren. Dort ist für mich seine Nähe schon immer spürbar gewesen, sichtbar wird er nicht. Er hat es nicht nötig sich auf eine andere Gestalt als den Nächsten festzulegen. Dort im Nächsten wird er sichtbar, aber er ist nicht auf den Nächsten festzulegen. Die Gestalt in der uns Gott am nächsten kommt ist: Jesus von Nazareth. Ein Mensch, der so von der Liebe Gottes erzählt hat, der so nah bei den Menschen war, das ihm die Menschen, den Titel Messias, Christus, Sohn Gottes gegeben haben. Niemand wird Gott, durch sein Leben, durch sein Erzählen und Lieben, durch sein Sterben wieder so nahe kommen wie er. Er ist Gott so nahe gewesen, dass er nicht im Tod, der uns allen blüht, geblieben ist, sondern auferstehen durft.

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