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All Welt soll fröhlich singen

In diesem Beitrag wollen wir ein „weites Feld“ (nach Fontane) betreten: das Feld der Kirchenmusik. Kein weites Feld ohne Bäume, sondern eines mit gr0ßen Bäumen in der Nähe und ferneren, die wir nicht so klar erkennen. Die unterscheiden sich sehr, aber sie haben eines gemeinsam. Sie wachsen nicht für sich, sondern richten sich aus nach oben, zum Himmel.

Teil 1

Ein erster ist gut zu erkennen: der Baum der Ökumene. Auf Initiative unserer Kantorin ist am 31. November 2021, im vorigen Pandemiejahr, der 8. Geburtstag der Neuauflage des katholischen Gesangbuchs „Gotteslob“ von 2013 in unserer evangelischen Pauluskirche gefeiert worden. Die Ausbildung der Bischöflichen Kirchenmusik hier in Essen wird mittlerweile ökumenisch praktiziert, unter dem Schulleiter Jörg Stephan Vogel, der fröhlich an unserer neuen, alten Orgel musizierte; das ist ein wunderbarer Fortschritt.

Ein weiterer, alter, bedeutender Baum steht in größerer Ferne, ist jedoch gut zu sehen. Dieser Baum heißt Heinrich Schütz (1585 – 1672). Seines 350jährigen Todestages gedenkt die protestantische Kirchenmusik in diesem Jahr. Wir in Heisingen auch; denn wir haben unseren Gottesdienst zur Kirchenmusik mit einem wunderbaren Lied von Heinrich Schütz begonnen. „Singet dem Herrn ein neues Lied, all Welt soll fröhlich singen mit…“ beginnt es. Und in den ersten drei Strophen kommt dreimal das Wort fröhlich vor. „Des freue sich des Himmels Thron, die Erde sei fröhlich davon…“singt die dritte Strophe.

Das Leben von Heinrich Schütz ist anders gewesen als das Leben des nachfolgenden, unübertroffenen Meisters des Barock, Johann Sebastian Bach (1685-1750). Das ist der stärkste Baum. Schon unser Lied zeigt etwas davon. Es singt nämlich im sechsviertel Takt, ähnlich einem uns allen nicht unbekannten Tanz-Rhythmus. „Singet dem Herrn ein neues Lied, all Welt soll fröhlich singen…“

Heinrich Schütz stand in den musikalischen Diensten des Dresdener, sächsischen Kurfürsten Johann Georg I. und er leitete dort die Hofkapelle. Dabei war er zuständig und hatte die Oberaufsicht über die Mitglieder aller Sänger und Instrumentalisten. Alle geistliche und weltliche Musik, in Gottesdiensten, politischer Repräsentation und bei Singspielen und Balletten waren seine Sache. Ich wage mal zu sagen: Schütz hatte es einfacher in seinem Leben als Bach.

Da können wir schon an den Unterschied zu Bach denken. Er unterstand die längste Zeit seines Lebens dem Rat in Leipzig – und das waren, weiß Gott, nicht nur musikalische Leute. Sie maßregelten oft den Thomaskantor mit ihrer Macht, zum Beispiel: die Matthäus-Passion sei zu lang!

Tod und Trennung setzten Bach mehr zu als Schütz. Bach verlor durch den Tod schon nach sechs glücklichen Jahren und der Geburt von mehreren Kindern seine geliebte Maria Barbara. Er musste eine Vizemutter für seine Kinder finden. Und er fand sie in Anna Magdalena, die den Bachs noch ein Dutzend Kinder zur Welt brachte; in schönen, aber auch schwierigen Jahren bis zum Tode dieses unübertroffenen Meisters 1750, von dem Beethoven sagte: „Er müsste eigentlich Meer heißen.“ Auch Schütz hat seine Frau und eine Tochter frühzeitig verloren, ist aber nie mehr eine zweite Ehe eingegangen.

Schütz war ein wohlhabender und auch freierer Mann als Bach, auch wenn dieser sich nie als unfrei bezeichnet hätte. Da sagte schon sein ungeheurer Glaube ein Nein! Doch Kurfürst und Rat sind unterschiedliche Geldgeber. Schütz konnte mehrere Jahre im italienischen Zentrum der Kirchenmusik studieren und suchte auch später für ein Jahr den Aufenthalt dort.

Aber es gibt einen noch gewichtigeren Unterschied: der Krieg. Den Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) hat Schütz, nicht aber Bach erlebt und durchlitten. Er klagte – vgl. den heutigen Kampf gegen die Pandemie und den realen Ukraine-Krieg: „…dass die löbliche Music von den anhaltenden gefährliche Kriegs-Läufften in unserm lieben Vater-Lande Teutscher Nation nicht allein in großen Abnehmen geraten, sondern an manchen Orten gantz niedergelegt worden ist“.

Doch Schütz widerfuhr noch weiter Gutes, wonach Bach sich sein ganzes Leben gesehnt hat. Er wurde nämlich eingeladen, große Hochzeitsfeiern beim König von Dänemark und Norwegen, Christian IV., musikalisch zu begleiten und zu leiten – welch eine Ehre! Mehrere Jahre ist er in Kopenhagen als Oberkapellmeister tätig gewesen, aber auch an deutschen Fürstenhöfen war er ein begehrter Ratgeber. In den 1640ziger Jahren stand er im Zenit seines Ruhms. „Symphoniae sacrae“, heilige Symphonien hieß sein Hauptwerk in mehreren Teilen. Die geistliche Chormusik machte ihn zum „Vater unserer, d.h. der deutschen, modernen Musik“. Das ist kein Ehrentitel aus unserer Zeit, sondern aus dem Jahrhundert Bachs, dem siebzehnten.

Jetzt kehren wir zu uns, nach Heisingen zurück. Johann Sebastian Bach spielte in den letzten bald fünfzig Jahren eine größere Rolle in unserer Kirchenmusik als Heinrich Schütz. Unser jetziger Pfarrer Markus Heitkämper liebt den Schütz-Choral „Wohl denen, die da wandeln“ (EG 295) sehr. Ich habe ihn schon häufig in seinen Gottesdiensten gesungen.

Zehn Jahre lang, von 1978 bis 1988, leitete der pensionierte Kirchenmusikdirektor und frühere Chef des Essener Bachchores, Gerhard Herwig, unseren Kirchenchor, dann folgte Eva Sons. Ihr Nachfolger war Jürgen Schoeneberger bis 2019, der uns mit der Gregorianik vertraut gemacht hat. In Herwigs Zeit kam Bach kräftig zum Zuge. Und heute beschließt der Chor den Gottesdienst mit dem wunderbaren Bach-Choral-Satz zu Joachim Neanders Lied „Lobe den Herrn, den mächtigen König“ (EG 317). Wie wir alle wissen, ist dieser Choral das erste Lied, das am 6. Januar (Epiphanias) 1907 in unserer Burgkirche gesungen worden ist. Joachim Neander ist ein Zeitgenosse von Heinrich Schütz; er ist mit dreißig Jahren an der Pest gestorben.

Jetzt wollen wir auf einen etwas näherstehenden, gewaltigen Baum auf dem weiten Feld der protestantischen Kirchenmusik blicken: Felix Mendelssohn Bartholdy (1809- 1847). Unser Chor singt heute von ihm: „Wirf dein Anliegen auf den Herrn“. Mendelssohn ist unserer Gemeinde kein unbekannter Baum auf dem weiten Feld der Kirchenmusik. Unser Chor sang unter der Leitung von Eva Sons im Gottesdienst zu meiner Verabschiedung 1997 zwei schöne Stücke aus seinem berühmten Paulus-Oratorium – für mich unvergesslich.

Seinen 200. Geburtstag haben wir in der Gemeinde auch nicht vergessen. Das Jahr 2009 war ein ganz besonderes Jahr: der Geburtstag des Apostels Paulus, unseres Namenpatrons, vor (Datum umstritten) und der Geburtstag von Felix Mendelssohn Bartholdy vor 200 Jahren. Ich habe ihn so gefeiert mit der Gemeinde: Felix Mendelssohn Bartholdy als Ausleger des Apostels Paulus. Ein musikalisch-theologischer Abend in unserer Pauluskirche mit Hören von Teilen aus dem Oratorium aus großen Lautsprechern des Jugendhauses in der Aufnahme von Kurt Masur 1996 in Leipzig mit prominenten Sängern und dem Gewandhausorchester. Das war schön!

Teil 2

Im zweiten Teil möchte ich nach diesen ausgewählten, wichtigen Beispielen nun kurz und konzentriert auf wenige, wichtige Theologen eingehen und sie fragen, was sie zur Kirchenmusik zu sagen haben.

Zuerst frage ich unseren Namenspatron Paulus. Er redet fröhlich davon. „Ermuntert einander mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in euren Herzen und sagt Dank‚ dem Vater unseres Herrn Jesus Christus“ (Epheser 5, 29f.). Das gilt für alle tausende Kirchenchöre und Gospelchöre in aller Welt und in allen Zeiten.

Als zweiten frage ich unseren Reformator, den Hochmusikalischen. Unbestritten steht fest: Martin Luther hat das deutsche Kirchenlied gegenüber den katholisch-lateinischen Kleriker- und Mönchschören mit Hilfe des protestantischen Urkantors und Zeitgenossen Johann Walter (1496-1570) zum festen Bestandteil des evangelischen  Gemeindegottesdienstes erhoben und der Gemeinde ihr wichtiges musikalisches Amt gegeben. In einer seiner vielen Tischreden sagt er 1528 einmal sehr schön und knapp: „Gott predigt das Evangelium durch die Musik.“ Sie gehört zum Wesen des Gottesdienstes, wie wir schon bei Paulus hörten. Das ist jüdische Tradition. Aber sie trägt in der Kraft des Heiligen Geistes zur Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi bei. Den Heiligen Geist nennt er sogar einmal einen Kantor (WA 17,II,306,31f.).

Und noch ein anderes Bild braucht der Reformator: „Die Musik ist eine Maske Gottes, hinter der die Glaubenden den lebendigen Gott spüren und erkennen können.“ Sein Lied „Die beste Zeit im Jahr ist mein, da singen alle Vögelein“ (EG 319) ist unserer Gemeinde wohl bekannt. In der dritten Strophe singt er: „Vielmehr der liebe Herre Gott, der sie also geschaffen hat (die Nachtigall) zu sein ein rechte Sängerin, der Musika ein Meisterin.“ Wir sehen also, in welch hoher Gesellschaft wir uns befinden, wenn wir die Kirchenmusik und vor allem das Singen hochschätzen.

Auch ihn dürfen wir natürlich nicht vergessen: Paul Gerhardt (1607-1676), der von geistlichen Liedern überquellende Berliner Pfarrer-Dichter an Berlins ältester Pfarrkirche St. Nicolai mit seinen Kantoren und Lieder-Kompositoren Johann Crüger und Johann Georg Ebeling. Ein ganzes Buch füllen seine etwa 130 Lieder aus! „Du meine Seele singe“ – dieses herrliche Lied von ihm (EG 302), von Johann Georg Ebeling vertont, singen wir heute durch mit allen Strophen: „wohlauf und singe schön“, ermuntert uns Paul Gerhardt.

„Ach ich bin viel zu wenig zu rühmen seinen Ruhm…“ singt der demütig, bescheidene, selbstbewusste Pfarrer, der wie Bach Tod und Leid ertragen musste, in der achten Strophe. Im herrlichen Sommerlied: „Geh aus mein Herz“ (EG 593) singt er „Des großen Gottes großes Tun erweckt mir alle Sinnen… Ich singe mit, wenn alles singt, und lasse, was dem Höchsten klingt, aus meinem Herzen rinnen“ (Strophe 8).

Musik ist eine Schöpfungsgabe. Das sehen wir: es gibt unmusikalische, musikalische, hoch-, ja genial begabte Menschen seit eh und je. Vieles wäre noch zusagen, aber ich mache Schluss mit drei verschiedenen Äußerungen:

Der 1996 viel zu früh verstorbene Präses unserer Evangelischen Kirche im Rheinland, Peter Beier, sagt uns eindeutig: „Der Chorgesang ist dem Predigtamt gleich zu achten.“ – Der US-amerikanische Regisseur Woody Allen sagt: „Die Musik Mozarts ist ein Gottes-Beweis.“ (Mozart habe ich in diesem Beitrag extra nicht genannt; er ist ein Thema für sich.) – Und unser lieber Martin Luther sagt: „Wer sich die Musik erkiest, hat ein himmlisch Werk gewonnen, denn ihr erster Ursprung ist vom Himmel selbst gekommen, weil die lieben Engelein selber Musikanten sein.“

Eckhard Schendel