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Afghanistan zeigt, wohin eine Politik ohne Demut führen kann

Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. (1. Petrus 5,5)

1989 – ich erinnere mich noch an das Aufatmen, als die Sowjetunion ihre widerrechtliche Besetzung Afghanistans zehn Jahre nach ihrem Einmarsch beenden musste. Es war das Aufatmen über die Grenzen der scheinbar Übermächtigen Nachbarn, der in seinem Hinterhof keinen Widerspruch duldete. Der Rückzug war Teil des Zerfalls der Sowjetunion und ihres überlebten staatssozialistischen Systems. Doch was für eine seltsame Koalition errang in den nächsten Jahren die Macht mit den von den Vereinigten Staaten, Saudi-Arabien und Pakistan unterstützten islamischen Guerillas, den sogenannten Mudschahedin?

Gott widersteht den Hochmütigen…

2001 wird der Widerstand gegen die inzwischen an die Macht gekommenen Taliban und ihren muslimischen Gottesstaat immer größer. Bis Mitte 2001 flohen schätzungsweise über 1,1 Millionen Menschen vor den Taliban. 9/11 führen die Terroranschläge in den USA mit ihrem bis dato unbekannten terroristischen Massenmord zu einem riesigen Entsetzen in der westlichen Welt. Mitglieder des Terrornetzwerks Al-Qaida wurden als Täter der Terroranschläge identifiziert. Sie hatten ihre Basis in dem Emirat der Taliban in Afghanistan und waren mit den Taliban verbündet. Die Taliban verweigerten die Auslieferung der Verantwortlichen um Osama bin Laden, der sich zu den Attentaten bekannt hatte.

Der Einsatz der USA und ihrer Verbündeten mit Beteiligung Deutschlands war umstritten. Dennoch, als die Gotteskrieger des totalitären Religionsregimes nach der Invasion entmachtet waren, gab es ein weltweites Aufatmen. Die Taliban, die alle grundlegenden Menschenrechte in ihrem islamischen Emirat verspotteten, waren geschlagen. Zudem gab es einen Entschluss des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, der den USA das Recht zur Selbstverteidigung zusprach. Die vermeintlichen Gotteskrieger wurden zurecht zum Gespött der Welt.

Gott widersteht den Hochmütigen…

2021 – zwanzig Jahre des Einsatzes des Militärbündnisses in Afghanistan vermochten es anscheinend nicht, die Menschen in Afghanistan bei ihrer Befriedung des Landes und Schritten zu mehr Freiheit und Demokratie und Etablierung der Menschenrechte durchgreifend und nachhaltig zu unterstützen. Das Entsetzen ist groß, wie wenig menschlicher Einsatz von Militärs und Hilfsorganisationen bewirkt hat, wie viel Geld und wie viele Menschenleben scheinbar „umsonst“ waren. Der menschliche Faktor ist nicht durch Geld zu ersetzen. Die Bedeutung der sogenannten Soft Skills wurden sträflich unterschätzt, ebenso die Rolle des Islam in seinen unterschiedlichen Ausprägungen. Stammesdenken und Korruption sind Grundübel einer Gesellschaft, die sich nur von innen lösen lassen. Ausländische Truppen bleiben ausländische Truppen, zumal wenn sie mit kriminellen Warlords kooperieren. Strategische Fehler und Fehleinschätzungen der Lage, je länger, desto mehr, verstärkten das Desaster.

…aber den Demütigen gibt er Gnade

Während Autokraten und totalitäre Regime in seltsamer Allianz mit den Taliban jubeln, herrscht im Westen eine große und tiefe Ratlosigkeit. Die wird von Schuldzuweisungen nur zugedeckt. Neben Rettungsaktionen und geordneten Fluchtwegen, Auffanglagern in Nachbarländern und europäischen Kontingenten für Flüchtlingen braucht es vor allem eine tiefergehende Analyse über das Scheitern. Denn nur so lässt sich für die Zukunft „Demut“ lernen. Denn dafür ist doch das Wissen zentral, was ich mit welchen Mitteln tatsächlich erreichen kann – und was nicht.

Dass auch die Taliban in einigen Jahren oder Jahrzehnten wieder an ihrem Hochmut und Fundamentalismus zugrunde gehen werden, steht für mich außer Frage. Hochmut kommt vor dem Fall. Doch welcher Preis wird bis dahin von allzu vielen Menschen gefordert, unter unsäglichem Leid und viel zu vielen verpassten Lebenschancen.

…aber den Demütigen gibt er Gnade

Was eine Haltung der Demut in politischer Verantwortung bedeuten kann, hat Reinhard Höppner für mich beeindruckend beschrieben. Höppner, 2014 verstorben, war 1994 bis 2002 Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt und über Jahrzehnte in der Evangelischen Kirche in der DDR und im vereinten Deutschland ehrenamtlich in führenden Positionen tätig. Er sagte:

„Ich bin gerade in meiner politischen Tätigkeit oft gefragt worden, was denn der Glaube für mein politisches Handeln austrägt. […] Nur wer um den Widerspruch zwischen der Welt, wie sie ist, und der Welt, wie sie nach Gottes Willen sein sollte, weiß, nur wer diesen Widerspruch aushält und erfahren hat, daß der Lebensmut gerade in schwierigen Situationen nicht der eigenen Leistung entspringt, sondern ein Geschenk Gottes ist, der hat auch die Chance, in seinem politischen Handeln einerseits nicht zu verzweifeln und andererseits nicht stolz und vermessen, das heißt ein Spötter zu werden, der frechen Übermut treibt“.

Das ist eine für mich immer noch gültige Orientierung für das, was „Demut“ heute heißt, nicht nur für Politiker*innen.

Andreas Müller

Ein Gedanke zu „Afghanistan zeigt, wohin eine Politik ohne Demut führen kann

  1. Ja, das ist schon eine gelungene Betrachtung der Geschehnisse. Danke.
    Doch von Hochmut oder Demut zu schreiben ist mit einer Betrachtung ex ante recht einfach. Bekanntlich ist man hinterher immer schlauer.

    Herzliche Grüße
    Hans Michaelsen

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