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Menschlichkeit teilen

…danach blickte er zum Himmel auf, seufzte und sagte zu ihm: Hefata, das heißt: Tu dich auf! Sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit und er konnte richtig reden. (Markus 7,34+35)

Ob sie schon vorher von Jesus gehört hatten, ob sie schon auf ihn gewartet haben, oder ob es ein spontaner Entschluss war, ob sie schon einiges ausprobiert hatten, ob sie hier ihre letzte Hoffnung sahen, sozusagen alles auf eine Karte setzen wollten, oder einfach nicht mehr weiter wussten – wir wissen nicht, warum sie ihren Freund zu Jesus brachten. Er war taubstumm, gehörlos. Und von Jesus erbaten sie, dass er die Hand auflege.

Und so ist der Wunsch, dass er ihn berühre, mehr als die Hoffnung auf ein Mirakel, ein Wunder. Es ist die Bitte, sich ihm zuzuwenden, sich Zeit zu nehmen für ihn und auch körperliche Nähe zu schenken. Ihn anzunehmen, so wie er ist. Und allein in dieser Berührung liegt der Grund für ihre Hoffnung, es könne sich etwas ändern und neu auf den Weg gebracht werden. Die Hoffnung darauf, dass ihm Menschlichkeit zuteilwird.

Jesus hat sie gespürt, diese Hoffnung. Er nimmt ihn zur Seite, weg von seinen Freunden, die ihn brachten, aber auch weg von allen Schaulustigen, die auf etwas Außergewöhnliches aus waren. Er nimmt sich Zeit für ihn, für ihn allein. Und macht damit deutlich: ich habe Zeit für dich. Du bist mir nicht gleichgültig, sondern deine Gefühle sind wichtig für mich, deine Hoffnungen, deine Ängste, deine Einsamkeit, deine Fragen, deine Verzweiflung. Was auch immer.

Jesus schaut zum Himmel und seufzt – in dieser Geste liegt die ganze frohe Botschaft. Die entstandene Nähe, die einander entgegengebrachte Menschlichkeit wird vor Gott getragen. Und so scheint es, als wäre in diesem Blick und diesem Seufzer alles Bedrückende und Beängstigende aufgehoben in die Hoffnung auf Gott, der zu uns steht. Und es geschieht das Wunder, dass wir getragen und angenommen sind. Zu allen Zeiten.

Auch wir können miteinander zum Himmel aufblicken und miteinander aus vollem Herzen seufzen. Und alles in der Hoffnung, getragen zu sein in allem, was auch kommt.

‚Hefata, tu dich auf.‘

So lädt uns unsere Geschichte ein, uns einander zuzuwenden. Sie lädt ein, die Augen offen zu halten für diese Menschenfreundlichkeit Gottes, die gerade dort ihre Früchte treiben kann, wo Menschen ihr Leben und deshalb auch ihr Leid miteinander teilen.

‚Er hat alles wohl gemacht‘ – so bringen es die Anwesenden auf den Punkt. Es ist sicherlich nicht zufällig, dass sie wörtlich den Satz aus der Schöpfungsgeschichte wiederholen: es ist alles gut. Gott schafft neuen Lebensraum – für dich und für mich, für diese Welt.

Vielleicht wird dabei nicht immer die ganze Welt auf den Kopf gestellt. Aber auf jeden Fall kommen Menschen wieder auf die Beine, ihnen wächst Mut und Zuversicht zu, es eröffnen sich neue Wege.

‚Hefata, tu dich auf.‘

Wir beten:

Du, unser Gott, wir danken di r für jeden neuen Tag, an dem wir spüren können, wie nah du uns bist. Schenke uns den Geist der Aufmerksamkeit. Lass uns die Menschen, die uns auf unserem Weg begleiten, nicht aus den Augen und nicht aus dem Sinn verlieren. Schenke uns den Geist des Mutes und der Gewissheit.

Lass uns in deinem Namen Dinge angehen, die segensreich wirken unter uns und in dieser Welt. Schenke uns den Geist der Gemeinschaft. Lass uns darauf achten, dass niemand unter uns mit Sorgen, Fragen und Problemen allein gelassen ist. Schenke uns den Geist des Vertrauens. Bewahre und bestärke uns in der Gewissheit, dass du unsere Wege begleitest. Tag für Tag. Amen.

Jörg Herrmann