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Wenn dein Kind dich morgen fragt…

Heute ist der 9. November – ein in vielfacher Hinsicht denkwürdiger Tag!

9. November 1989. Vielen unter uns noch ganz präsent: der 9. November 1989. Der Fall der Mauer. Ein sehr bewegender Tag für Menschen in Ost und West. Nicht nur dort, sondern weltweit, wo immer man von diesem Ereignis hörte. Menschen weinen vor Freude, liegen sich in den Armen, klettern über die Mauer und strömen durch das Brandenburger Tor. Es war das Ende der Diktatur durch eine friedliche Revolution.

9. November 1938. Dieser Tag ist in die Geschichte eingegangen als Reichspogromnacht. Jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger wurden durch das Nazi-Regime systematisch verfolgt. Unvorstellbar, was dort geschah. Allein die Zahlen geben etwas davon wieder: 8.000 jüdische Geschäfte wurden zerstört, 1.200 Synagogen niedergebrannt, zahllose Wohnungen verwüstet, 30.000 jüdische Männer verhaftet und in Konzentrationslager gebracht. Unermesslich das Leid!

9. November 1918. Noch ein weiterer Schritt zurück in unsere deutsche Geschichte: der 9. November 1918 markiert das Ende des Kaiserreiches. Philipp Scheidemann, Vorstandsmitglied der SPD, verkündete aus einem Fenster des Berliner Reichstages das Ende des Kaiserreichs. „Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue; es lebe die deutsche Republik!“ Das war der Beginn der Weimarer Republik.

Der 9. November, ein denkwürdiger Tag in unserer deutschen Geschichte. Er erinnert an Gelungenes, Großartiges, er erinnert an Vernichtung und unvorstellbares Leid. Die Frage ist: wie gehen wir damit um? Nur an das Schöne denken, das Schreckliche vergessen, die Augen davor verschließen?

Unsere Aufgabe als Christinnen und Christen ist es: wahrzunehmen, was war und dafür Verantwortung zu übernehmen. Ja, ich bin Deutscher – und beides gehört zu meiner Geschichte. Nur so kann ich aus der Geschichte lernen, verhindern, dass sich Schlimmes wiederholt, erreichen, dass Gelungenes zum Vorbild wird. Erinnern, um Zukunft zu planen und zu gestalten. Erinnern als Kraftquelle, als Antrieb für gelingendes, würdevolles Leben. Ein Erinnern, das auch deutlich macht, woher ich komme und wohin ich gehe.

Ein guter Lehrmeister für die Erinnerungskultur ist die jüdische Tradition. Im 5. Buch Mose (6,20f.) heißt es:

„Was soll das alles, diese ganzen Vorschriften, Gesetze, Bestimmungen? Warum hat der Herr, unser Gott, sie uns befohlen?“ Wenn dein Kind so fragt, sollst du ihm antworten: Wir waren Sklaven in Ägypten und mussten für den Pharao arbeiten. Aber der Herr hat uns aus Ägypten geführt mit seiner starken Hand…“

Jüdische Eltern erzählen ihren Kindern die Befreiungsgeschichte ihres Volkes. Frei sein von Schlägen der Mächtigen. Frei sein von ohrenbetäubenden Kommandotönen. Frei sein von Angst und Schrecken. Uralte Erinnerungen werden lebendig. Eltern erzählen ihren Kindern, wie Gott sie durch das Schilfmeer geführt hat. Geschichte wird Gegenwart. Jüdische Menschen identifizieren sich in besonderer Weise mit ihrer Geschichte, machen sie sich zu eigen und werden ein Teil davon. So ist auch Jesus von frühester Kindheit an von dieser Geschichte der Freiheit geprägt.

Als Christinnen und Christen gehört uns diese Erinnerung an die Freiheit nicht. Doch sie gehört zu unserer Wurzel, die uns trägt. Sie ist die Erinnerung an Gott, der das Leben und unsere Freiheit will.

Der 9. November – Tag der Erinnerung. Er lädt uns ein
– innezuhalten,
– sich unserer selbst und unserer Geschichte zu vergewissern,
– nach vorne zu schauen.

Gedenktage haben keinen Selbstzweck. Sie dienen dazu, Zukunft zu gestalten.

Heiner Mausehund

Ein Gedanke zu „Wenn dein Kind dich morgen fragt…

  1. An diesem hellsten Tag unserer Nachkriegsgeschichte sind wir von Beginn an in meiner Berliner Heimat gewesen.
    Herzlichen Dank, lieber Heiner, für diesen Beitrag und Gottes Segen für Eure Zukunft.
    Dr.Eckhard Schendel, Essen-Heisingen

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