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Vom Splitter und vom Balken

Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge? (Matthäus 7,3)

Vor fünf Wochen haben wir Weihnachten gefeiert. Kommt es Ihnen auch schon länger vor? Trotzdem ist es schön, sich noch einmal bewusst an Weihnachten zu erinnern. An das, was wir den ganzen Dezember über, ja eigentlich immer, herbeisehnen – Jesu Ankunft in dieser Welt, den Frieden, der damit einhergeht. Das alles erwarten wir und vielleicht finden wir es auch für einen kurzen Moment.

Aber jetzt? Sind Sie noch in weihnachtlicher Stimmung? Wenn ich mich umschaue, dann sehe ich eher Frust und steigende Ungeduld. „Hätte der oder die doch mal besser gearbeitet, dann wären wir jetzt schon viel weiter!“ In Matthäus 7 denkt Jesus konsequent weiter, wie ein gutes Zusammenleben aussehen sollte.

Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet. Denn mit welcherlei Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen werden. Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge? Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan. (Matthäus 7,1-9)

Für Jesus macht ein großer Teil eines friedlichen Zusammenlebens aus, wie ich anderen Menschen begegne. Verurteile ich sie und sehe nur ihre Fehler? Oder sehe ich sie als Ganzes und mir selbst gar nicht unähnlich? Im Moment habe ich oft das Gefühl, dass viele von uns sehr gut darin sind, den Splitter im Auge ihrer Mitmenschen zu erkennen. Das wird gerade jetzt während der Corona-Pandemie ganz deutlich.

Ich nenne es gerne das „Fußballtrainer-Syndrom“. Kennen Sie nicht? Das ist, wenn Sie mit einem fußballbegeisterten Menschen ein Spiel im Fernsehen anschauen und er oder sie die Rolle des Trainers bzw. der Trainerin vor dem Bildschirm übernimmt. „Schieß doch!“ Ich bin zwar nicht in der Situation, Fußballtrainer oder Fußballtrainerin zu sein, weiß es aber trotzdem viel besser als er oder sie.

Na? Fällt Ihnen auch gerade eine vergleichbare Situation in Ihrem Alltag ein? Vielleicht der eine oder andere Politiker? Wir sind alle nicht in der Situation, Entscheidungen treffen zu müssen oder über Dinge nachzudenken, die keiner vorher erahnt hat. Aber viele von uns würden es auf jeden Fall besser machen! Anstatt anzuerkennen, dass die meisten von uns eben nicht in der Position sind, schnell überaus schicksalsschwere Entscheidungen treffen zu müssen, fluchen und wüten viele Menschen lieber, als das zu tun, was sie wirklich könnten: Rücksicht aufeinander zu nehmen, geduldig zu bleiben und auch über vermeintliche oder reale Fehler hinwegzusehen.

Ich weiß, das ist schwer. Ich spreche mich von alledem auch selbst nicht frei. Und sicherlich ist in das eine oder andere Gebet der Wunsch nach Normalität eingeflossen. Und damit wäre ich beim zweiten Teil unseres Predigttextes: dem Bitten und Beten, dem Suchen und Finden. Zum einen muss der Mensch aktiv werden – wer nicht sucht, findet auch nicht. Wir dürfen Gott also ruhig mit unseren Anliegen „behelligen“; zum anderen aber ist nicht klar, was ich finde, wenn ich gesucht habe oder was ich empfange, wenn ich bitte.

Es ist die Rede von Gottes offener Tür – nicht aber von der automatischen Erfüllung aller Wünsche. Gott bietet sich vielmehr als Zuhörer an: Sich die Wut und die Ohnmacht vom Herzen zu reden, hilft manchmal schon enorm! Und noch etwas passiert, wenn wir bitten und suchen: Vielleicht wird zwar nicht genau diese eine, vermeintlich wichtigste unserer Bitten erfüllt – aber wir finden etwas ganz anderes und merken dann, dass es eigentlich doch genau das war, wonach wir immer gesucht haben.

Möglicherweise handelt es sich dabei ja sogar um das weihnachtliche Gefühl, das uns durch den Alltag begleitet.

Wir beten:

Guter Gott, die gegenwärtige Situation ängstigt uns, aber wir haben Hoffnung auf ein normales und gesundes Leben ohne Corona und darauf, dass bald genug Impfstoff für alle da sein wird. Ich vertraue auf dich, dass wir in Frieden leben können. Lass uns auch in dieser schweren Situation sehen, dass wir nicht alleine sind, sondern umgeben von Menschen, die uns lieben. Wir danken dir für die Liebe, die das größte Geschenk ist. Amen

Rebecca Lackmann