Der Deutsche an sich scheint ein reinliches Wesen zu sein. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass wir nun, mit Eintritt in die zweite Welle der Pandemie, schon wieder über einen Mangel an Toilettenpapier klagen müssen. Mich hat es schon im März und April irritiert, dass die Deutschen sich mit diesem besonderen Papier so eindecken, obwohl es bei Covid-19 nicht um eine Durchfallerkrankung geht. Aber so ist das halt, da ist eine große Sorge in vielen Menschen, dass die Umstände einen überraschen könnten. Die meisten von uns möchten vorbereitet sein, wenn sie womöglich eine Quarantäne trifft oder sie über einen längeren Zeitraum wegen eines Lockdowns die Wohnung nicht verlassen dürfen.
Und so erlebe ich auch viele Mitmenschen von mir: Man möchte vorbereitet sein auf den Fall der Fälle, man möchte sein Leben planen und nicht überrascht werden, man hat die Dinge, die einen selbst betreffen, am liebsten alle auch selbst im Griff.
So fern ist mir das auch nicht. Ich gehöre nun auch zu den Menschen, die immer irgendetwas zu Hause zu essen haben. Ich habe immer Vorräte, nicht immer das, worauf ich Appetit habe, aber immer so viel, dass ich jederzeit zu Hause bleiben könnte ohne zu verhungern. Auch Seife und Shampoo und all diese Dinge finden sie jederzeit in ausreichender Menge in meiner Wohnung. Frank macht sich darüber immer lustig.
Aber so bin ich groß geworden. In meiner Familie hat man nie klein-klein eingekauft, sondern immer in großen Mengen. Früher, weil wir viele zu Hause waren, später hat mein Paps es gemacht, weil er nie genau wusste, wann mal wieder eine seiner Töchter mit ihm zusammen loslief. Das habe ich geerbt. Ich kaufe immer, als könnte ich die nächsten drei Wochen nicht raus. Ich bin gerne vorbereitet. Ich habe meine Sachen gern selbst im Griff. Ich bin nicht gern abhängig. Und wenn dieses Sicherheitsgefühl verletzt wird, dann bin ich auch über einen langen Zeitraum verunsichert.
So ist es mir z.B. gegangen, als man am helllichten Tag bei uns eingebrochen hat. Frank rief mich auf der Arbeit an, weil die Wohnungstür aufgebrochen war, unsere Wohnung durchwühlt, vieles fehlte… Das hat mich über Monate erschüttert. Ich hatte mich nämlich sicher gefühlt. Wir haben immer zweimal abgeschlossen (was man der Tür auch ansah!). Wir wohnen ganz oben. Einmal hat ein Polizist zu mir gesagt, dass man da nicht gern einbricht, weil die Einbrecher, wenn sie entdeckt werden, keine gute Fluchtmöglichkeit haben… Bei meinen Eltern, meiner Oma war schon so oft eingebrochen worden, wir hatten die Statistik erfüllt… und dann das. Es passte nicht in mein Lebenskonzept, es brachte mich durcheinander und viele Monate hatte ich Angst, nach Hause zu kommen und womöglich wieder so etwas zu erleben… Also: Ich bin eine bekennende „Ich-bin-gern-vorbereitet-Frau“, die es gar nicht mag, von bösen Dingen überrascht zu werden.
Wahrscheinlich trifft mich deshalb auch unser heutiger Predigttext bis ins Mark und ich muss noch einmal in mich gehen und mich ernsthaft fragen: Bin ich wirklich gut vorbereitet? Vielleicht fragen Sie es sich auch gleich. Der für den Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres vorgeschlagene Predigttext ist aufgeschrieben im 1. Thessalonicherbrief, dort heißt es:
Von den Zeiten aber und Stunden, Brüder und Schwestern, ist es nicht nötig, euch zu schreiben; denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht. Wenn sie sagen: „Friede und Sicherheit“, dann überfällt sie schnell das Verderben wie die Wehen eine schwangere Frau, und sie werden nicht entrinnen. Ihr aber seid nicht in der Finsternis, dass der Tag wie ein Dieb über euch komme. Denn ihr alle seid Kinder des Lichtes und Kinder des Tages. Wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis.
So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein. Denn die da schlafen, die schlafen des Nachts, und die da betrunken sind, die sind des Nachts betrunken. Wir aber, die wir Kinder des Tages sind, wollen nüchtern sein, angetan mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das Heil.
Denn Gott hat uns nicht bestimmt zum Zorn, sondern dazu, die Seligkeit zu besitzen durch unsern Herrn Jesus Christus, der für uns gestorben ist, damit, ob wir wachen oder schlafen, wir zugleich mit ihm leben. Darum tröstet euch untereinander und einer erbaue den andern, wie ihr auch tut. (1. Thessalonicher 5,1-11)
Ja, mich hat der Text getroffen. Bin ich wirklich vorbereitet? Rechne ich täglich, stündlich, sekündlich mit dem Tag des Herrn? Bin ich solch ein Kind des Lichts, des Tages, wie es hier beschrieben ist?
Nachdem bei uns eingebrochen war, habe ich aufgerüstet: Der nächste, der das bei uns in der Wohnung probiert, hat es auf jeden Fall schwerer – da habe ich vorgesorgt, aber bin ich auch auf das Kommen Christi vorbereitet oder auf mein Kommen zu ihm, meinen Tod? Ist mein Leben so in Ordnung, so in Habachtstellung, dass ich mich da sicher fühlen kann?
Ganz ehrlich? Nein, ich rechne nicht ständig mit der Wiederkunft Christi, ich rechne auch nicht ständig damit, dass ich sterbe, obwohl ich, die ich ja in einem Krankenhaus arbeite, sehr wohl weiß, wie zerbrechlich Leben ist, wie schnell man oder ich, um es mal mit den Worten des katholischen Kollegen meines Vaters zu beschreiben, vom Glauben zum Schauen kommen kann. Da war Paulus sicher völlig anders orientiert. Er hat ja noch zu seinen Lebzeiten damit gerechnet, Jesus ganz in echt zu begegnen, seine Wiederkunft zu erleben.
Was also macht dieser Briefabschnitt mit mir? Er ermahnt mich, er erinnert mich, er stärkt mich. Es geht in unser aller Leben nicht darum, ob wir ausreichend Toilettenpapier zu Hause haben und damit für alle Eventualitäten gerüstet sind, es geht in unserem Leben um mehr. Es geht darum, dass wir uns dessen bewusst sind, wer wir sind, und dass wir verinnerlichen, dass wir Kinder des Tages, Kinder des Lichts sind. Und das heißt, dass wir leuchten und Vorbild sind.
Paulus hat dafür ein wunderschönes Bild gewählt: Wir sind angezogen mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe, tragen den Helm der Hoffnung auf das Heil. Mein Herz und mein Kopf sind geschützt. Das heißt doch: Uns kann nichts passieren. Wir sind gewappnet. Wir müssen nicht mutlos oder verzagt sein, nein, wir sind hoffnungsvoll und an Gott glaubend.
Und konkret bedeutet das für mich: egal, was kommt, egal, was uns geschieht, ich bin, wir sind in Gottes Hand, nichts kann uns daraus entreißen. Wenn es hier zu Ende geht, dann gehe ich nicht hoffnungslos oder als Gescheiterte, sondern als eine, die Hoffnung auf das Heil, auf die Ewigkeit bei Gott hat.
Und anstatt Toilettenpapier zu horten, lebe ich Liebe immer und täglich – und da habe ich sicher noch viel Raum nach oben – und sammle mir auf diese Weise, wie Jesus es mal formuliert hat: Schätze im Himmel. Und dann, dann bin ich vorbereitet, gut vorbereitet auf alles, was kommt. Christus kann kommen. Amen.
Friederike Seeliger