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Geh aus, mein Herz, und suche…

Wohl keiner Jahreszeit sehen wir so sehnsuchtsvoll entgegen wie dem Sommer. Wer kann, begibt sich auf Reisen; die einen auf der Suche nach dem Fremden, nach Unterbrechung der Routinen, nach dem was inspiriert und beflügelt jenseits des gewohnten Trotts. Die anderen suchen Erholung, müssen und wollen den Akku aufladen für einen chronisch fordernden Alltag. Wer bewährte Orte kennen- und lieben gelernt hat, kehrt nicht selten dorthin zurück. „Da weiß ich, was mich erwartet. Da ist meine Seele zu Hause; da wird oder bleibt sie gesund.“

Nicht weniger sehnen sich die Daheimgebliebenen nach Wärme und Licht, dem Leben draußen: dösen und lesen draußen, essen draußen, bewegen sich und flanieren draußen, Menschen beobachten, Menschen treffen. Der Sommer verspricht Leben, verspricht Lebendigkeit; er ruft uns zu: habe Erwartungen, gib dich nicht mit zu wenig zufrieden, bleibe lebenshungrig. Gerade diese Jahreszeit ist besonders geeignet sich als einen sehnsuchtsvollen Menschen zu erleben und zu begreifen, das unstillbare Verlangen nach Sinn und Erfüllung, nach „Glück“ und innerem Frieden niemals aufzugeben.

„Geh aus mein Herz und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit“ dichtet Paul Gerhardt, Lieddichter aus dem 17. Jahrhundert, „I can get no satisfaction“ grölen die Rolling Stones gut dreihundert Jahre später und immer noch.

Der Sommer ist geradezu ein „Platzhalter“ dafür, dass wir uns nicht beruhigen und „unter Wert“ abspeisen lassen. Die Antworten darauf, wonach wir uns hoffnungs- und sehnsuchtsvoll strecken und ausrichten, mögen unterschiedlich sein; darüber lohnte ein Austausch, einander neugierig zugewandt und über den Sommer hinaus. Denn eins ist sicher: auch der kommende geht zu Ende, wir aber bleiben zurück mit unserem „Hunger“ nach Leben; oder mit Worten des ukrainischen Lyrikers Arsenij Tarkowski:

„Auch der Sommer verschwand, als hätt’s ihn nie gegeben. Sonne wärmt noch den Sand. Aber das ist zu wenig.“

Gott befohlen auf Ihren Sommerwegen; ich bin mit Ihnen gespannt, was Sie davon rüber retten in den Herbst.

Ulf Steidel