Seit 1913 hat die Apostelkirche im Essener Westen Geschichte geschrieben. Heute, im Jahr 2025, wird die Kirche entwidmet und dieses wertvolle Kapitel der Gemeindegeschichte geschlossen. Eine schmerzhafte Erfahrung für viele, die mit diesem Ort tief verbunden sind – während gleichzeitig ein neues hoffnungsvolles Kapitel der Gemeindegeschichte aufgeschlagen wird.
Verantwortungsvoll zieht die Frohnhauser Gemeinde Konsequenzen daraus, dass sie kleiner geworden ist und ihr weniger finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Zukunftsorientiert und mutig will sie sich auf den multifunktionalen Kirchraum der Apostel-Notkirche konzentrieren. Sie war ursprünglich nur als provisorischer Ersatz für die durch Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstörte große Apostelkirche gedacht. Doch seit ihrer Einweihung am Reformationstag 1949 bereichert die Apostel-Notkirche das Leben und den Alltag der Menschen im Stadtteil, indem sie durch Raumgestaltung und inhaltliche Profilierung Dialog und Begegnung ermöglicht.
Heute, bei Abschied und Neubeginn, erinnere ich an meine Festpredigt im Jahre 2013 in der Apostelkirche, anlässlich ihres 100-jährigen Jubiläums. Damals haben wir uns bewusst gemacht, dass wir als evangelische Christinnen und Christen bei keinem Kirchenjubiläum die Steine der Kirche feiern, sondern Gottes Wort, das Menschen in einer Gemeinde auf ganz unterschiedliche Weise anspricht. Nicht Steine, sondern Menschen sind der Schatz unserer Kirche! Mit Gottes Segen wird nun im Hören auf Gottes Worte ein neues Gemeindekapitel aufgeschlagen.
Wie kann dieses Hören auf Gottes Wort konkret werden? Indem wir achtsam hören auf das, was die Menschen in einem sich wandelnden Stadtteil Frohnhausen von uns als Kirche erwarten und brauchen. Indem wir uns bewusst Zeit nehmen für die Frage: Gott, wozu brauchst du uns in diesem Stadtteil? Indem Gemeinde und Bürgerschaft gemeinsam ausloten, was am alten Ort der Apostelkirche Neues gebraucht wird. Indem alte Gemeindegrenzen überwunden, neue Kooperationen aufgebaut und Kräfte gebündelt werden, in Zusammenarbeit mit Stadtteilakteur*innen und Christ*innen der Nachbargemeinden.
Nicht jede Gemeinde kann und muss aus eigenen Kräften alles vor Ort abdecken. Es gilt, eine gute Balance zu finden zwischen dem, was vor Ort nötig ist – und dem, was die Frohnhauser Gemeinde auch lassen darf und kann, weil es die Nachbargemeinde, einladend für alle in der Region, anbietet. Mit dieser Blickrichtung kann aus dem Verlust eine Lerngemeinschaft und Gestaltungskraft für unsere gesamte Kirche in Essen werden. Damit das Evangelium für möglichst viele Menschen und ihre diversen Lebenswelten zugänglich bleibt oder wird.
„Manche Leute glauben, Durchhalten macht uns stark. Doch manchmal stärkt uns gerade das Loslassen.“ Lasst uns diese Erkenntnis des Schriftstellers Hermann Hesse ernst nehmen: Loslassen (auch kirchliche Gebäude) bedeutet sowohl Aufgeben, Verlust und Trauer als auch, Energie und Handlungsspielräume für Neues zu gewinnen.
Als Superintendentin blicke ich dankbar auf die gelebte Geschichte der Apostelkirche. Auf die vielen Menschen, die hier ein- und ausgingen, die hier in unzähligen Predigten Trost und Zuversicht fanden oder spendeten, die hier Fürbitte hielten, sich in der Gemeinschaft geborgen fühlten und auf vielfältige Weise zur Begegnung mit Gott eingeladen haben. Und ich spüre, dass aus dieser Geschichte eine große Kraft für Veränderungen, für neue Wege in die Zukunft erwachsen kann – jenseits dieser Kirchenmauern, aber immer mit Gott.
Denn wenn es heute darum geht, unsere Ressourcen neu auszurichten, Vielfalt zu leben, neue Formen der Zusammenarbeit einzuüben und dabei unser Profil selbstbewusst einzubringen, wird Gott uns dabei weiter zur Seite stehen, so lautet sein Versprechen. Sein Wort ist die Brücke, über die wir aus der Vergangenheit in eine neue Zukunft gehen, auch heute:
„Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir. Hab keine Angst, denn ich bin dein Gott.“
(Jesaja 41,10)
In diesem Vertrauen suchen wir an allen kirchlichen Orten in Essen nach neuen Wegen, unterstützen einander, gestalten Räume der Begegnung, Seelsorge und Hilfe – auch über Gemeindegrenzen hinweg.
Marion Greve
Zitiert aus: Robert Welzel: Wenn Steine reden könnten… Die Geschichte der Apostelkirche in Essen-Frohnhausen 1913 bis 2025; mit einem Vorwort des Presbyteriums und einem Nachwort von Superintendentin Marion Greve; hrsg. von der Evangelischen Kirchengemeinde Essen-Frohnhausen anlässlich der Entwidmung der Apostelkirche im Oktober 2025; 108 Seiten mit zahlreichen Abbildungen.