Im digitalen musikalischen Adventskalender unserer Kirchengemeinde Haarzopf erklang am 7. Dezember die Tatort-Melodie. Und es wurde gefragt: was hat denn ein Krimi mit Weihnachten zu tun? Wie sich herausstellt: eine ganze Menge. Weihnachten ist nämlich auch ein Krimi: das Licht ermittelt gegen die Dunkelheit. Die Liebe versucht das Böse im Zaum zu halten. Das ist spannend wie ein Krimi bis auf den heutigen Tag. Und spannend ist es schon ziemlich lange: In keiner uns bekannten Zeit fand dieser Krimi nicht statt.
Bevor es unser christliches Weihnachtsfest gab, wurde in den Tagen um den 21. Dezember die Wintersonnenwende gefeiert. Schon unsere Vorfahren, die germanischen und keltischen Menschen, feierten die Geburt des Winterlichts. Wir blicken oft etwas abschätzig auf diese Menschen, aber sie waren klüger als wir denken. Sie beobachteten den Himmel sehr genau und sie nahmen die Veränderungen im Jahreslauf viel sensibler wahr als wir es heute tun.
Die Wintersonnenwende – also der kürzeste Tag im Jahr – auf den dann langsam wieder die längeren folgen – diese Wende war begleitet von einer großen Angst: Was machen wir, wenn die Dunkelheit siegt? Was machen wir, wenn es nicht mehr hell wird? WIE dunkel es damals war im Winter – das können wir uns schlicht nicht mehr vorstellen: Ohne künstliches Licht waren die Nächte lang und die Tage düster.
Von daher ist die große Angst verständlich: Was ist, wenn die Finsternis siegt? Und so war die Feier der Wintersonnenwende verbunden mit dem Bewusstsein: wir Menschen sehen da nicht nur zu. Wir unterstützen das Licht, damit die Finsternis nicht siegt. Wir sind ein Teil der Kraft, die das Licht hervorbringt und verbinden uns mit ihr. Unsere Rituale, unser Feiern stärken das Licht.
Als das Christentum nach Europa kam, verband sich die Geschichte von der Geburt des Erlösers aufs Beste mit den alten Traditionen der Sonnenwende. Diese alten Traditionen leben in unseren Weihnachtsbräuchen fort. Das Christentum brachte auch ein neues Versprechen mit: Es wird nicht immer dunkel sein. Gegeben wird es uns von Gott selbst: Sichtbar in der wunderbaren Geburt des göttlichen Kindes.
Dieses Versprechen schuf eine neue Hoffnung: Es nahm der Angst immerwährender Finsternis ihren Schrecken. Und noch mehr: Es versprach, dass nicht nur die Winter-Dunkelheit nicht siegen würde. Sondern, dass überhaupt all das, was wir mit Finsternis umschreiben – das Elend, die Gewalt, das Böse in der Welt – dass all dies am Ende nicht das letzte Wort haben würde. Die Botschaft von der Geburt des Erlösers weckte die Hoffnung, dass die Welt sich zum Guten wenden kann. Und so können wir sagen: Seit Jahrtausenden verfolgen wir den Krimi zwischen Licht und Finsternis.
Wir: Das sind in diesem Fall diejenigen, die sich nicht abfinden mit dem Zustand unserer Welt – mit all der Finsternis weltweit. Und da Sie heute Abend hier sind, gehe ich davon aus, dass uns alle diese elementare Hoffnung verbindet: das Licht möge siegen. Und die Finsternis verlieren. Mehr noch – ich denke: wir, die wir heute hier sind, wir möchten Licht sein in dieser Welt, in der Bedrohung durch die Finsternis.
Ja, lasst uns Licht sein! Lasst uns die Mächte des Lichts unterstützen, die so beharrlich und über die Zeiten hinweg gegen die Finsternis kämpfen: Das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst. Ein zentraler Satz des Neuen Testaments.
Dazu haben wir in der deutschen Sprache noch ein kleines Wunder, das es so in anderen Sprachen nicht gibt: Das Wort „Finsternis“ enthält das Wort „Stern“: Sie müssen nur vorn das „Fin“ und hinten das „is“ streichen – dann steckt der Stern schon in der Finsternis drin: Fin-STERN-is. Das funktioniert nur auf Deutsch – mit dem englischen „Darkness“ oder dem lateinischen „Tenebris“ geht es nicht. Aber für uns ist der STERN schon in der Finsternis enthalten und verspricht uns: ich halte durch.
Wie stark die Kraft des Sterns ist, davon erzählt uns eine Person in der Bibel. Sie wird Titus genannt, aber wir wissen nicht wirklich, wie sie hieß. Sie könnte eine Frau sein oder ein Mann oder etwas dazwischen. Sie kann schwarz, braun oder weiß sein – jung oder alt. In Europa oder im Orient. Wir wissen NICHTS. Wir haben nur ihre Worte. Sie wurden weitergesagt und aufgeschrieben – für alle, die das Licht lieben und nicht die Finsternis. Für alle, die an die Kraft des Sterns glauben – also auch für uns, für Sie und für mich. So spricht die Stimme, die wir Titus nennen:
Da aber erscheint unsere Rettung: Die göttliche Freundlichkeit, Großzügigkeit – Anteilnahme, die uns zuteil wird. Ja, Gott ist Zugewandtheit und Liebenswürdigkeit. Denn so ist Gott: voller Menschenliebe. Diese Liebe rettet uns aus der Verstrickung, keineswegs aufgrund großartiger Taten, die wir vollbracht hätten – oh nein. Das geschieht allein, weil Gott Mitgefühl mit uns hat. (vgl. Titus 3,4-7)
In letzter Zeit hatte ich etliche Gespräche mit Menschen, die zu mir sagten: Aber wissen Sie, mir wurde von Gott immer anders erzählt. Eine böse Gewalt, die unser Schicksal in den Händen hält, die uns bewertet und bestraft und die schlimmsten Dinge zulässt. Ein kleinlicher Erbsenzähler, der noch die geringste Verfehlung festhält – wie ein schlecht gelaunter Buchhalter. Ich weiß, dass diese Vorstellung von Gott sehr weit verbreitet ist und in vielen Köpfen das Denken bestimmt.
Aber das ist es nicht, was die religiöse Kraft des Christentums ausmacht. Mit diesem göttlichen Miesepeter wäre das Christentum keine Weltreligion geworden. Ehrlich gesagt: ich würde für so jemand auch nicht arbeiten wollen. Nein – etwas ganz Anderes ist das Herz unseres Glaubens: Die große, umfassende Liebe, aus der heraus alles geschaffen wurde, was existiert – und die uns Menschen so zugewandt ist. Diese umfassende Liebe bringt Jesus von Nazareth uns auf überwältigende Weise nahe. Deshalb sagen wir: in Jesus erkennen wir Gott.
Davon also spricht die Stimme, die wir Titus nennen: Mitgefühl, Verständnis, tiefe Liebe.
Zugewandtheit, Liebenswürdigkeit. Großartig! Und wie erfahren oder erleben wir das, Titus? Die Antwort lautet: Gott rettet uns gleichsam durch ein Bad. In diesem Bad werden wir wie neugeboren.
Wir werden neu geschaffen, unser Innerstes kommt zum Vorschein, unser Eigentliches tritt hervor. Wir sind, wie wir sind. Wer wir sind. Es ist kein Bad, das uns in eine Richtung drängt oder etwas Bestimmtes aus uns machen will. Im Gegenteil: Das Bad stärkt unser Selbst. So manche Verrenkung, die das Leben uns abfordert – sie könnte in den Hintergrund treten. Pflichten, die uns auferlegt sind, an Gewicht verlieren. Und die Frage tritt in den Vordergrund: was will ich eigentlich in diesem Leben? Wie will ich leben – und: folge ich dem wirklich? Das Eigentliche tritt nach vorne, ins Licht, ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Mühen und Begrenzungen des Alltags bewegen sich weg, in den Schatten.
Das geschieht, so sagt uns Titus – das geschieht durch die heilige Geistkraft. Die nämlich gießt Gott reichlich und großzügig über uns aus.
Mich erinnert das an meine Kindheit – wie meine Mutter mir in der Badewanne die Haare wusch und mir dann mit einer Kanne das warme Wasser über den Kopf schüttete, um das Shampoo auszuwaschen. Oder an eine Dusche.
Ein warmer Strahl der Liebe und der Freude regnet auf uns nieder: Liebe, Wohlwollen, Verständnis, Freundlichkeit, Mitgefühl – zusammengefasst könnte man sagen: alles, worüber wir uns nur irgendwie freuen können – alles, was uns in tiefster Seele guttut – es wird uns geschenkt. Einfach so. Und wenn wir wollen, dann können wir förmlich darin baden. Uns erneuern. Die Wärme genießen. Das Gefühl auskosten: ich bin ein geliebter Mensch. Gott schaut mir auf den Grund der Seele und sagt nicht, was ich alles falsch mache. Was alles an mir falsch ist. Es ist einfach in Ordnung, wie es ist – es ist in Ordnung, wie ich bin. Denn Gott versteht. Selbst das, was ich nicht auszusprechen wage. Es ist alles mit eingepreist. Und trotzdem werden wir in Liebe gebadet.
Ich würde sagen: Es ist ein Sternenregen. Ein Sternenregen geht an diesem Weihnachtsabend auf uns nieder. Er geht nieder, sagt Titus, durch Jesus, den Christus, unser Retter. Seine Geburt im Stall von Bethlehem lässt den Sternenregen sprudeln. Denn in ihm erscheint alles, was Gott ausmacht: Liebe, Wohlwollen, Verständnis, Freundlichkeit, Mitgefühl. Damit wir, sagt Titus, durch dieses Geschenk des Bades verändert, Anteil erhalten an der Hoffnung auf das ewige Leben. Und dann heißt es noch: Auf dieses Wort ist verlass
Also dann: Lassen Sie uns dieser Stimme folgen! Sehen Sie sich die erste Seite des Liedblatts an – der Sternenregen. Und stellen Sie sich vor, wie der Sternenregen über Sie fließt: leuchtend, wärmend, Liebe-voll. Nehmen Sie das Licht der Sterne in sich auf!
Wir brauchen das, um die Finsternis zu ertragen. Sie ist noch immer gewaltig, und sie tritt auf in immer neuen Gestalten. Allzu oft bestimmt sie unseren Alltag und besetzt unsere Aufmerksamkeit. Ein bisschen sind wir auch selbst Teil des Krimis zwischen Licht und Finsternis.
Wird Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, so bleibst du doch verloren (Angelus Silesius, Epigramm Nr. 61). So lautet ein alter Spruch. Die Weihnacht mit ihren Bräuchen und Symbolen, mit den vertrauten Liedern, sie hat EIN Ziel, das wichtiger ist als alles andere: Unser Herz. Unser Innerstes. Auch der Sternenregen verfolgt dieses Ziel.
Der Sternenregen macht die Finsternis nicht ungeschehen. Aber er hilft uns, mit ihr klar zu kommen. Denn er stärkt das Licht in uns. Und wir sind der Finsternis nicht ausgeliefert. Wir hocken nicht vor ihr wie das Kaninchen vor der Schlange. Nein, wir sehen den STERN zwischen „Fin“ und „is“ und verstehen: der Kampf dauert zwar an und ist nicht zu Ende. Aber das heißt auch: er ist nicht entschieden. Der Ausgang des Krimis ist offen.
So facht der Sternenregen das Licht in unserer Seele an. Und lässt das Wunder der Weihnacht in uns Gestalt annehmen. Damit wir nicht verloren sind in der Finsternis. Sondern in ihr bestehen. Gesegnete Weihnachten!
Elisabeth Müller
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Anmerkungen der Autorin
Ihre Weihnachtspredigt hielt Pfarrerin Elisabeth Müller an Heiligabend, 24. Dezember, um 18 Uhr in der Christvesper in der Kirche Haarzopf.
Für die Fachleute: Die genaue Bedeutung der zentralen griechischen Begriffe chrestotes, philantropia und, vor allem, palingenesia hat Elisabeth Müller in einer Predigtmeditation zu diesem Text ausgeführt: GottesdienstPraxis, II. Perikopenreihe, Band 1, Gütersloh 2025.
Die Entdeckung des STERNs in der FinSTERNis verdankt Elisabeth Müller der Theologin, Poetin und Autorin Christina Brudereck.