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Wer die Weisheit sucht, findet das Leben – und Gott

Wer mich findet, der findet das Leben und erlangt Wohlgefallen vom HERRN. Wer aber mich verfehlt, zerstört sein Leben; alle, die mich hassen, lieben den Tod. (Sprüche, 35-36)

Wenn in meiner Familie jemandem der Satz um die Ohren gehauen wurde: Du hast wohl die Weisheit mit Löffeln gefressen, dann war das beileibe keine Auszeichnung, sondern ein Höchstmaß an Kritik. Du hast doch gar keine Ahnung! Was mischst du dich in Angelegenheiten, die dich nichts angehen?! Glaubst du, du bist schlauer als ich?! Besserwisser, Alleskönner, Möchtegern, wie auch immer, die Weisheit mit Löffeln zu futtern, in diese Verlegenheit wollte man nicht kommen, stritt alles ab oder war bemüht, diesen Eindruck erst gar nicht aufkommen zu lassen.

Dabei – wenn ich es recht überlege, schaden würde es ja nicht, wenn das möglich wäre. Wie gern würde ich selbst manchmal Weisheit futtern, immer im rechten Moment das Richtige sagen, hilfsbereit zur Seite stehen, Ratschläge erteilen, die tragen und weiterhelfen, wissen, wie man unsere Welt retten kann, Konflikte lösen und vor allem vermeiden, das eigene Leben so richtig im Griff haben, wissen, wo es lang geht. Ach, wie schön wäre das!

Und ja, ich würde auch unsere Jugend mit Weisheit füttern! Löffelweise – sehr gern! Was für eine schöne Vorstellung! Der Torheit der Welt entgegenzuwirken, indem jeder und jede nicht einen Löffel Lebertran bekommt, wie früher einmal, sondern – Weisheit eben. Morgens nach dem Aufstehen und Zähne putzen, direkt verabreichen – wunderbar!

Denn an Weisheit mangelt es in unserer Welt, im Großen und im Kleinen. Um das zu sehen, muss ich nur unseren Müllkeller betreten und eine Altpapiertonne öffnen. Gehen die einen im Moment auf die Straße, um für ihre Zukunft zu protestieren und zu werben, so bestellen ihre vielleicht zehn Jahre älteren Kolleginnen und Kollegen alles im Internet. Nicht nur, dass sie in meinen Augen zu faul sind, sich auf den Weg in ein Geschäft zu machen, nein, sie ruinieren die Innenstädte, indem der Einzelhandel nach und nach zugrunde gerichtet wird, sie schädigen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, indem durch dieses Bestellsystem schlechte Arbeitsbedingungen gefördert werden, sie tun mal gar nichts für unsere Umwelt, weil mittlerweile jedes sechste Paket wieder zurückgeschickt wird; und zu guter Letzt nerven sie mich, weil sie noch nicht einmal in der Lage sind, eine Altpapiertonne richtig zu befüllen. Denn am liebsten werden die Kartons unzerkleinert, hochkant und mit der Öffnung nach unten – damit man sie auf gar keinen Fall mehr befüllen kann – in die Tonnen gestellt…

Wie war das noch mit der Weisheit, die man löffelweise zu sich nehmen kann? Was soll ich sagen? Ich fühle mich mit zunehmendem Alter immer spießiger und sehne mich mehr und mehr nach Weisheit. Und weil das so ist, freue ich mich richtig über den Predigttext, der für den heutigen Sonntag Jubilate vorgeschlagen ist. Wir finden ihn im Buch der Sprüche, im 8. Kapitel, die Verse 22-36. Hier geht es um die Weisheit – ja, die Weisheit selbst stellt sich uns vor, gibt einen Einblick in ihr Leben und einen Ausblick auf unser Leben, hören Sie selbst:

Der HERR hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her. Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her, im Anfang, ehe die Erde war. Als die Tiefe noch nicht war, ward ich geboren, als die Quellen noch nicht waren, die von Wasser fließen. Ehe denn die Berge eingesenkt waren, vor den Hügeln ward ich geboren, als er die Erde noch nicht gemacht hatte noch die Fluren darauf noch die Schollen des Erdbodens.

Als er die Himmel bereitete, war ich da, als er den Kreis zog über der Tiefe, als er die Wolken droben mächtig machte, als er stark machte die Quellen der Tiefe, als er dem Meer seine Grenze setzte und den Wassern, dass sie nicht überschreiten seinen Befehl; als er die Grundfesten der Erde legte, da war ich beständig bei ihm; ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit; ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Lust an den Menschenkindern.

So hört nun auf mich, meine Söhne! Wohl denen, die meine Wege einhalten! Hört die Zucht und werdet weise und schlagt sie nicht in den Wind! Wohl dem Menschen, der mir gehorcht, dass er wache an meiner Tür täglich, dass er hüte die Pfosten meiner Tore! Wer mich findet, der findet das Leben und erlangt Wohlgefallen vom HERRN. Wer aber mich verfehlt, zerstört sein Leben; alle, die mich hassen, lieben den Tod.

Ja, da ist sie, die Weisheit. Ich kann sie richtig sehen, wie sie da steht, diese – ich glaube wirklich, sie ist noch eine junge – Frau, vielleicht wippt sie sogar ein wenig vor sich hin, wenn sie ein bisschen selbstverliebt erzählt, dass sie immer schon da war, alles miterlebt hat, wie es wurde, wie die Erde weise geordnet und geschaffen wurde.

Immer war die Weisheit um Gott herum, spielte vor ihm und wenn sie so erzählt, kann ich eine Leichtigkeit spüren, die ich in der Schöpfung Gottes manchmal wirklich wieder entdecke. Wie gut ist wirklich alles eingerichtet, wo der Mensch noch nicht eingegriffen hat. Wie passt manchmal alles so leicht ineinander, das Gleichgewicht bezaubert, das Ineinandergreifen mancher Naturphänomene fasziniert.

Tag und Nacht; Flut und Ebbe; Frühling, Sommer, Herbst und Winter; Sonne und Regen – wie die Natur erwacht und wieder vergeht, wie Leben in der Wüste möglich ist, wie Tiere einander helfen und beistehen, füreinander da sind und retten, auch voneinander leben…

Wer sich hinsetzt und einfach nur schaut, wie das Leben in einem einfachen Tümpel vor sich geht, oder Dokumentationen über die Wildnis sieht – ich spüre sie, die Weisheit, mit der alles so schön geordnet wurde, ich spüre sie, die Weisheit, die manches so spielerisch angelegt hat, dass man denken könnte, es sei Zufall.

Ja, ich kann ihr gut zuhören, der Frau Weisheit, ich sehe sie vor mir: spielend wie ein Kind, lockend wie eine junge Frau, lächelnd und liebevoll, werbend für sich und wissend, wer sie ist und was sie wert ist. Und wenn ich sie so höre, dann wird meine Sehnsucht nach ihr noch größer, dann möchte ich mich in ihre Nähe begeben, bei ihr sein, sie finden und festhalten – und ja, und eine Verbindung durch sie zu Gott haben. Denn das sagt sie doch ganz deutlich, wer sie findet, der findet das Leben und erlangt Wohlgefallen vom Herrn.

Und so ist das doch auch, in der Nähe von weisen Menschen blüht das Leben, da wo weise gehandelt wird, da kann etwas wachsen und gedeihen, da geht es einem gut, da blüht man auf.

Menschen, die weise handeln, also zum Beispiel gut mit Ressourcen umgehen, die Gerechtigkeit lieben, die freundlich mit ihren Mitmenschen umgehen, gütig sind, ihr Wissen einbringen, die Liebe leben, die finden doch wirklich das Leben; und dass solche Menschen das Wohlgefallen Gottes erlangen, das leuchtet mir sofort ein, denn: auch Gott will das Leben. Und wenn man sich die Gegenspielerin der Weisheit anschaut, die Torheit, dann versteht man doch direkt, warum die Weisheit so für sich wirbt.

Törichte Menschen machen kaputt, sehen nur auf das Eigene und das Jetzt, schauen nicht in die Zukunft, sind sich selbst der Nächste. Auch wenn es ihnen selbst oft nicht so bewusst ist, so zerstören törichte Menschen Lebensgrundlagen, oft nicht nur die eigenen und lieben so am Ende den Tod – wie das die Weisheit selbst im Bibeltext, siehe oben, formuliert.

Vielleicht nicht gleich so drastisch, aber irgendwie am Ende doch so wie in meinen Altpapiertonnen – das ausschließliche Bestellen im Internet zerstört, zerstört den Einzelhandel und Arbeitsplätze, zerstört gute Arbeitsbedingungen, zerstört die Umwelt, zerstört am Ende auch die eigenen Lebensgrundlagen und ist damit wirklich reif für die Tonne, bzw. man kann es nur töricht nennen, finde ich.

Und nicht dass Sie jetzt denken, ich hätte die Weisheit mit Löffeln gefressen, nein, leider nicht. Auch ich bin manchmal, möglicherweise oft: töricht und so gar nicht weise. Und deshalb wünsche ich mir, wenn ich die Weisheit schon nicht löffelweise zu mir nehmen kann, dass die Weisheit mich lockt und ruft, dass mein Herz weise wird und weit, für die Welt, für uns, für mich.

Friederike Seeliger

Ein Gedanke zu „Wer die Weisheit sucht, findet das Leben – und Gott

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