Noch liegt mir kein Wort auf meiner Zunge, schon weißt Du, Gott, was ich sagen will. (Psalm 139,4)
Vor ein paar Wochen wurde es meinem Sohn an unserem vollen Abendessenstisch zu laut. Genervt stand er auf, ging in sein Zimmer und holte sich von dort einen gelben Kinderlärmschutzkopfhörer, den wir mal für eine Renovierungsaktion gekauft hatten. Mit seinem riesigen Schutz auf den Ohren setzte er sich wieder zu uns und aß schmunzelnd sein Brot weiter.
Wir alle mussten lachen und einigten uns dann aber darauf, dass wir einfach etwas leiser sein würden – was dann immerhin für eine kleine Weile funktionierte. Eine gute Idee war das von ihm, um uns zu signalisieren, dass sich etwas ändern muss, damit er sich bei unseren Gesprächen wohlfühlen kann. Wenn alle auf einmal reden, ist es schwer, sich auf das zu konzentrieren, was die Einzelnen sagen.
In der indianischen Kultur gibt es für Diskussionsrunden deswegen einen sogenannten Redestab. Ein schön geschmücktes Wurzelholz, das reihum gegeben wird. Wer dieses Holz gerade in der Hand hält, bekommt die uneingeschränkte Aufmerksamkeit aller Anwesenden in der Runde. Der Stab macht deutlich, dass es einen Unterschied zwischen dem bloßen Hören und dem Zuhören gibt. Wenn ich zuhöre, nehme ich mich selbst für eine Weile zurück und versuche zu verstehen, was genau mein Gegenüber mir sagen will. Ich werde still und lasse mein Herz mithören.
In der Bibel wird Gott als eine geduldige Zuhörerin, als ein achtsames Gegenüber für uns beschrieben: „Noch liegt mir kein Wort auf meiner Zunge, schon weißt Du, Gott, was ich sagen will“ (Psalm 139,4). Ich darf mich daran halten, dass mir uneingeschränkte Aufmerksamkeit zuteilwird, wann immer ich sie brauche. Dass da jemand sogar schon auf mich wartet, bevor ich selbst überhaupt daran denke, mich mitzuteilen. Meine Stimme, meine Fragen oder Klagen werden gehört. Tag und Nacht wacht Gott über mich und wartet auf mein Erzählen.
Und nachdem ich gesagt habe, was mich beschäftigt, tut es auch gut, selbst still zu werden und Gott meine ganze Aufmerksamkeit zu schenken. Den Redestab weiterzugeben und mein Herz für das zu öffnen, was mir entgegenkommt. Manchen hilft es, sich dafür auf den Atem zu konzentrieren, um sich von nichts anderem ablenken zu lassen. Andere suchen z.B. schöne Plätze in der Natur auf, um sich innerlich zu sammeln.
Was auch immer Ihnen hilft, sich Gutes zusprechen zu lassen: Ich wünsche Ihnen, dass Sie in diesem Jahr noch viele solcher Orte oder Momente für sich finden. Dass Sie jeden Tag spüren, dass Ihnen Gottes unbegrenztes Interesse gilt und Sie im Erzählen und Zuhören Trost, Zuversicht und Kraft für das finden, was Sie gerade beschäftigt.
Julia Olmesdahl