Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Zukunft hat. (Hebräer 10,35)
Müde sein, müde werden gehört zu unserem Menschsein. Abends werden wir müde, legen unsere Arbeit aus den Händen und legen uns hin, um im Schlaf wieder Kraft für einen neuen Tag zu sammeln. Müde sein ist normal, ist schöpfungsgemäß, und erschöpft darf ich mich voll Vertrauen in die Hände Gottes legen.
Aber es gibt neben der schöpfungsgemäßen Müdigkeit auch eine tiefe Lebens- und Glaubensmüdigkeit, die zur Folge hat, unser Vertrauen in Gott wegzuwerfen. Oder erst gar nicht damit zu beginnen.
Die Christinnen und Christen, an die sich der Hebräerbrief richtete, sind müde geworden. Sind verzagt. Am Anfang, ja, da war die Begeisterung, die Leidenschaft für Jesus Christus ganz groß. Sie waren in der Gemeinde, in der Kirche engagiert. Mit Herz und Händen haben sie begeistert am Aufbau der Gemeinde gearbeitet.
Doch einige Jahre später ist das Feuer erloschen. Manche haben die Gemeinde verlassen. Viele kommen nicht mehr zum Gottesdienst. Der Grund ist enttäuschte Erwartung. Die Christen und Christinnen dieser Zeit waren sich sicher: Jesus Christus kommt wieder. Bald. Bald bricht eine neue Zeit an, in der Frieden wird sein und Gerechtigkeit für alle. Darauf setzen sie ihr Vertrauen und ihre Hoffnung.
Sie hatten bald das Gefühl, dass da nichts vorwärts ging. Sahen sich in der Verantwortung, den kirchlichen Betrieb aufrechterhalten zu müssen. Das ist vielleicht das Schlimmste, was einer Kirche passieren kann: Nicht Geldknappheit und auch nicht der Druck von außen, sondern der Eindruck, dass wir, die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden, Gottes Sache allein vertreten müssen, dass es aus sein wird mit dem Christentum, wenn wir nichts tun, um den Laden einigermaßen am Laufen zu halten.
Das Vertrauen in Gottes Wort und in das eigene Tun schwand. Mehr und mehr wurde man des Wartens und der Arbeit am Reiche Gottes müde und richtete sich im Alltag ein, in dem so vieles – Arbeit, Familie, Sorge um das tägliche Brot – nach Aufmerksamkeit rief. In dieser Situation hören sie: Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Zukunft hat. Wie wunderbar und wohltuend könnte das sein: aus Vertrauen leben! Zu schön, um wahr zu sein?
Doch es ist genau das, was nicht nur Kirche und Gemeinden brauchen, sondern auch unsere ganze Gesellschaft, in der zunehmend das Vertrauen weggeworfen und durch Misstrauen, Resignation und immer öfter durch Aggression ersetzt wird. Politiker, Institutionen, Menschen, die als moralische Instanzen galten, verspielen seit geraumer Zeit bei vielen Bürgerinnen und Bürgern mehr und mehr Vertrauen.
Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Zukunft hat. Wie kommen wir zu neuem Vertrauen, das uns Zukunft eröffnet?
Die EINE Antwort wird es nicht geben. Und ein Patentrezept habe ich nicht. Ich denke, wir brauchen eine neue, eine andere Sichtweise und sollten die Blickrichtung wechseln. Wir neigen dazu, zuerst das zu sehen, was NICHT ist oder NICHT MEHR ist, wie es mal war. Wir neigen dazu, zu sehen, was NICHT gelungen ist, wo wir NICHT erfolgreich waren. Und selbst, wenn wir etwas als gelungen ansehen, lauert irgendwo ein „aber“.
Lauter enttäuschte Erwartungen. Das ermüdet, das erschöpft, das lässt uns resignieren – und irgendwann ist auch das Vertrauen weg.
Zukunftweisend wäre, wenn wir hervorheben, was uns gelungen ist, weitererzählen, wann und wo wir wohltuende Gemeinschaft erfahren durften, uns erinnern, wann Gottes Wort Menschen aufgerichtet, weitergebracht, Freude gemacht, Zukunft eröffnet hat.
Da sind die Frauen und Männer, die eine Musik, ein alter Choral durch die Woche trägt. Da sind die Konfirmanden und Konfirmandinnen sowie die Mitarbeitenden in der Konfirmandenarbeit, die sich engagieren im Gottesdienst, bei Festen und Feiern und durchaus in ihrem Alltag an Gottes Wort denken, wenn sie entscheiden müssen, was richtig und falsch ist.
Da sind die vielen Familien, die sich entscheiden, ihre Kinder taufen zu lassen und Zukunft eröffnen, sich mit eigenen Beiträgen im Taufgottesdienst einbringen und verkündigen. Da sind die Menschen im Altenzentrum, die sich im realen Sinn an Leib und Seele gestärkt fühlen, wenn wir Abendmahl feiern.
Und da sind die, die Trauer tragen, wenn wir auf dem Friedhof von einem geliebten Menschen Abschied nehmen, und die von Gottes Versprechen auf ein Leben bei ihm getröstet und aufgerichtet weiter durchs Leben gehen.
Also: Werft eurer Vertrauen nicht weg, welches eine große Zukunft hat! Denn, so heißt es einige Verse weiter, Glauben besteht darin, dass ein Stück des Erhofften als geheime Kraft schon Wirklichkeit ist. Ein Stück des Erhofften ist als geheime Kraft also schon in uns wirklich und wirksam. Das ist doch wunderbar!
Mit unserer kleinen Kraft sind und werden wir sein: Mitarbeitende am Reiche Gottes.
Vertrauen in Gott setzt voraus, dass Menschen ihn kennenlernen. Diese Aufgabe traut er uns zu. Nicht nur, aber auch, damit andere Menschen ihr Vertrauen nicht wegwerfen und Zukunft haben.
Bärbel Wilmschen