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Achtzig Jahre nach Kriegsende: Erinnerung an das Massaker der SS in Sant’Anna di Stazzema

Viele gute und nachdenkliche Veranstaltungen wird es zum 8. Mai geben. Wenn ich noch könnte, hätte ich gerne eine Veranstaltung gemacht mit einem schrecklichen Inhalt. Es handelt sich um das Massaker, das SS-Einheiten zum Kriegende im toskanischen Bergdorf Sant’Anna di Stazzema durchführten.

Dieser Wunsch ist vielleicht typisch für mein Lebensalter. Ich habe ja den Krieg und sein Ende und den Einmarsch der Sieger miterlebt, war knapp acht Jahre alt damals. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus wurde dann für mich ein Lebensthema. Ich habe viele Konzentrationslager besucht, und jetzt in den letzten Wochen vor Kriegsende die jeweiligen Befreiungstage mitverfolgt – beginnend mit Auschwitz.

Das schreckliche Ereignis in Sant’Anna war am 12. August 1944, und auch dort war ich einmal im Rahmen eines Festaktes. In dem Dorf richteten Einheiten der 16. SS-Panzergrenadierdivision „Reichsführer SS“ ein Blutbad an. Sie trieben die Bewohnerinnen und Bewohner auf den Kirchplatz und erschossen sie. Sie warfen Handgranaten in die Häuser und zündeten die zerfetzten Leiber an.

Die meisten Opfer waren Frauen und Kinder. Drei von ihnen waren keine zwei Jahre alt, das jüngste gerade war vor zwanzig Tagen zur Welt gekommen. Im Jahre 2000 wurde dort ein Museum gegründet, das den Opfern gewidmet ist. Die Kirche von Sant’Anna mit dem Vorplatz wurde zum „Nationalpark für den Frieden“ erklärt.

Mein Traum war es, eine Veranstaltung zu machen im Rahmen der Billebrinkhöher Nachtgebete, zu denen immer viele Menschen von weither gekommen sind. Und dazu einzuladen den einzig noch lebenden Überlebenden des Massakers, Enio Mancini, der genau so alt ist wie ich, und vielleicht auch den sehr aktiven Bürgermeister von Sant’Anna, Mauricio Verona.

Aber: die politischen Nachtgebete auf der Billebrinkhöhe gibt es seit der Corona-Pandemie nicht mehr, und Enio hatte einen Schlaganfall. Also: das geht nicht. Nun ja, man kann ja mal träumen. Nun gibt es aber doch einiges Schönes zu berichten von der Verbindung zwischen Essen und Sant’Anna. Kein Traum, sondern Wirklichkeit.

Friedensorgel

Das Musikerehepaar Maren und Horst Westermann aus Essen hat Geld gesammelt für die Orgel von Sant’Anna. Die alte war komplett zerstört worden und ein italienischer Orgelbauer wurde von ihnen beauftragt, eine neue zu bauen. Zur Einweihung der „Friedensorgel“ am 29. Juli 2007 kamen ein Chor und ein Orchester, die Mitglieder vor allem aus Essen, zu einem offiziellen Festakt.

Seit der Orgeleinweihung veranstaltet die Gesellschaft „Freunde der Friedensorgel“ jedes Jahr im Juli und August eine Konzertreihe mit internationalen Musikerinnen und Musiker, bei der Auftragswerke, die Sant’Anna gewidmet sind, uraufgeführt werden.

Junge Auszubildende im Berufskolleg Ost

…haben eine „Ausstellung gegen das Vergessen“ gestaltet, bei der die jungen Mediengestalter eine große Plakatausstellung in der Kundenhalle der Essener Sparkassenzentrale präsentierten. „Im Juni 2024 besuchten wir im Rahmen einer Studienfahrt Sant’Anna di Stazzema. Die bewegenden Eindrücke haben wir in einem Projekt verarbeitet.“ Ihr Anliegen war es, „die Erinnerung an die Opfer wachzuhalten und zum Nachdenken über Demokratie und Freiheit anzuregen“.

Essener Bürgerinnen und Bürger von Sant’Anna

Maren und Horst Westermann sind seit 2016 Ehrenbürger von Stazzema. Und dann gibt es hier noch eine digitale „Cittadina“ (Bürgerin). Und das kam so: Der Bürgermeister Mauricio Verona wollte ein Zeichen setzen gegen Hass, Rassismus und Faschismus. Er gründete eine virtuelle Stadt, in der jeder Mensch online Mitbürgerin bzw. Mitbürger werden kann.

Damit bekennen sie sich zu einer „Welt ohne Krieg, Terror und Unterdrückung“. Antifaschisten sind sie damit ebenfalls, „weil sie sich nicht gründet auf Instinkt, Gewalt, Diskriminierung, Unterdrückung noch Rassismus“. 18.000 Bürgerinnen und Bürger hat diese virtuelle Stadt mittlerweile, und eine Cittadina, die regelmäßig die „Antifaschistischen Briefe“ erhält, ist meine Frau.

Dieter Schermeier

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