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Welch ein Trost!

Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. (Jesaja 66,13)

Manchmal ist das so, manchmal ist man trostbedürftig, so richtig, mit allem, was dazugehört: sich anlehnen oder ankuscheln, nicht viel reden, festgehalten werden, Nähe spüren und vor allen Dingen: nicht in Frage gestellt werden – einfach sein zu dürfen und alles an Zuwendung zu bekommen, was geht: von Schokolade angefangen über Streicheleinheiten bis hin zu: keine Ahnung. Manchmal ist das so. manchmal will man die Welt nicht mehr sehen, braucht man Trost um durchzuhalten.

Anlässe gibt es viele. Trauer über Verluste, Liebeskummer, Scheitern, enttäuschte Hoffnungen, leere Versprechungen, schmerzhafte Diagnosen… Als Kind scheint es mir fast einfacher zu sein, an Trost zu kommen, vielleicht liegt es daran, dass Kinder viel schützenswerter, viel zerbrechlicher wirken als Erwachsene.

Wenn ich an Kinder und an Trost denke, dann fällt mir als allererstes mein ältester Neffe ein. Er war noch nicht ganz so lang auf der Welt, seine Mutter aber wollte nicht auf alles verzichten und ich hatte Zeit. Kein Problem, habe ich gesagt, ich pass schon auf… doch mit dieser Not des kleinen Mannes hatte ich nicht gerechnet. Seine Mutter verließ mit ihrem Mann die Wohnung, ich hatte noch den Auftrag, aufzupassen, dass er sich nicht zu oft am Kopf kratzt, sein Milchschorf quälte ihn wohl, aber da war eigentlich schon alles zu spät. Die Tür fiel ins Schloss und dann dauerte es nicht sehr lange und der Kleine schrie aus Leibeskräften.

Ich kann Ihnen sagen! Ich nahm ihn auf den Arm, wiegte ihn, er schrie. Ich summte leise vor mich hin, schnitt Grimassen, redete sanft auf ihn ein… er schrie. Nichts half! Noch nicht einmal die Zeit half. Er schlief einfach nicht ein, er vergaß nicht, dass seine Mutter weg war, und ich war in seinen Augen einfach kein Ersatz. Schließlich griff ich doch zum Telefonhörer und beorderte seine Mutter zurück, weil mir das Herz fast brach ob dieser Not. Seine Mutter kam sofort, sie war nicht weit weg, legte sich den kleinen Kerl auf den Bauch und ans Herz und – er verstummte!

Das Anlehnen an die Mutter, der vertraute Herzton, das Anschmiegen an den Körper: es half sofort. Der Trost, den er empfand, er war greifbar. Ich habe das später übrigens mit allen meinen Neffen erlebt. Mütterliche Nähe scheint bei großer Not durch nichts oder wenigstens fast nichts ersetzbar zu sein.

Warum ich Sie sozusagen an Mutters Brust heranführe? Um die geht es in unserem Bibeltext, aufgeschrieben beim Propheten Jesaja im 66. Kapitel, Verse 10 bis 14:

Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid. Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Trostes; denn nun dürft ihr reichlich trinken und euch erfreuen an ihrer vollen Mutterbrust.

Denn so spricht der HERR: Siehe, ich breite aus bei ihr den Frieden wie einen Strom und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach. Da werdet ihr saugen, auf dem Arm wird man euch tragen und auf den Knien euch liebkosen.

Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet; ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden. Ihr werdet’s sehen und euer Herz wird sich freuen, und euer Gebein soll grünen wie Gras. Dann wird man erkennen die Hand des HERRN an seinen Knechten und den Zorn an seinen Feinden.

Manchmal ist man trostbedürftig, das geht nicht nur mir oder meinen Neffen so, das geht wohl jedem im Laufe seines Lebens mal so. Und nicht anders ergeht es dem Volk Israel. Zurückgekehrt aus dem Exil, ist nun doch nicht gleich alles so, wie man es sich gewünscht hat. Man muss sich erst einmal wieder zurechtruckeln, miteinander klarkommen, sich tatsächlich auch auf unterschiedliche Volksgruppen und Schichten, andere Religionen einstellen. Viele Fremde mussten integriert werden, und es stellten sich die Fragen, nach dem Ob und dem Wie.

Es gab Auseinandersetzungen mit den Daheimgebliebenen, einige von Ihnen konnten den Religionseifer der Heimkehrer nicht nachvollziehen, hatten sich zwischenzeitlich mit dem Götzendienst der Nachbarvölker arrangiert; es gab soziale Probleme; eigentlich, wenn ich es mir recht überlege, dann traf hier das ganz normale Leben auf Hoffnungen und Erwartungen, auf enttäuschte Versprechen. Kein Wunder, dass da mancher und manche enttäuscht ist, dass es zu Konflikten und Verletzungen kommt.

Vielleicht sind das auch die Momente, wo wir am allermeisten auf Trost angewiesen sind: wenn wir feststellen, dass alles, worauf wir gesetzt haben, nicht unsere Erwartungen trifft, wir zu erkennen meinen, dass unsere Träume nur Schäume sind, wir irgendwie ganz allein auf dieser Welt sind. Vielleicht fühlen wir uns dann so wie mein kleiner Neffe, allein und im Stich gelassen, von aller Welt verlassen, weil die Tante, die da ist, kein Ersatz ist für die Mutter, die durch ihr Verhalten doch versprochen hatte, immer da zu sein, zu kommen wenn sie gerufen wird.

In diese Not der Heimkehrer spricht der Prophet, der in der Tradition und im Namen des Jesajas spricht, der vor dem Exil gewirkt hat. Vielleicht ist in diesem Fall auch gar nicht wichtig, wer die Botschaft Gottes weitergibt, sondern einzig und allein, was gesagt wird. Und da finde ich es schon ganz besonders, dass die Not der Heimkehrer so bewusst wahrgenommen wird. Gott nimmt wahr, dass da enttäuschte Hoffnungen sind, Gott sieht, dass die Heimkehrer sich nicht freundlich empfangen fühlen, dass es Konkurrenz und Ablehnung gibt, Gott sieht, dass da Not ist, obwohl er doch schon sein Versprechen gehalten hat und die Menschen zurückgebracht hat.

Und auch wenn das Volk Israel nicht mein kleiner Neffe ist, die Dimensionen der Not scheinen für den einzelnen ähnlich zu sein, die Lebenserfahrungen, die Trosterfahrungen scheinen gleich zu sein. Und so darf der Prophet zum Volk in Bildern sprechen, die die Menschen gleich verstehen und die die Liebe Gottes  und den versprochen Trost und die Zukunftsaussichten zeigen:

Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.

Was für ein Versprechen! Was Muttertrost ist, das wissen hoffentlich die meisten von uns. Zur Mutter kann man sich flüchten, selbst wenn man im Unrecht ist, sie wird da sein und zu helfen versuchen. Zur Mutter kann man in der allergrößten Not kommen. Und meistens kommt die Mutter in der allergrößten Not selbst zu einem – oft ganz von allein, ohne dass sie gerufen wird. Mütter trösten und sind einfach da, sie stillen nicht nur den leiblichen Hunger, sondern auch den seelischen. Sie spenden Wärme und Kraft, sie stärken einem den Rücken und glauben an einen, sie sind da.

Und genau so will auch Gott da sein! Trösten und stärken. Ein offenes Ohr haben und Streicheleinheiten. Zum Leben helfen und die Versprechen halten und ausbauen; ja, Gott will zu einer glorreichen Zukunft verhelfen. Frieden und Reichtum sagt Gott zu, die Stadt Jerusalem wird wieder erblühen, den Menschen, die dort leben soll es gut gehen, aber in meinen Ohren ist das eigentlich entscheidende Versprechen, dass Gott da sein will, dass er ins Leben helfen möchte.

Da werdet ihr saugen, auf dem Arm wird man euch tragen und auf den Knien euch liebkosen. Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.

Und tatsächlich hat Gott sein Versprechen wahr gemacht. Er war immer für sein Volk erreichbar, er war da und hat getröstet, er hat sein Versprechen durch seinen Sohn Jesus Christus ausgedehnt auf alle Menschen, die zu ihm gehören möchten.

Das heißt jetzt nicht, dass Menschen, die zu Gott rufen, vor allem bewahrt werden, dass sie sich keine blau geschlagenen Knie holen, nie Kummer aushalten müssen, keine Schmerzen erleiden müssen, keine Verluste, keine Schrecken. Nein, so ist es nicht. Aber Menschen, die zu Gott gehören, können sich mit allem Kummer an ihn wenden, dürfen mit allem zu ihm kommen und Gott verspricht:

Da werdet ihr saugen, auf dem Arm wird man euch tragen und auf den Knien euch liebkosen. Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.

Amen.

Friederike Seeliger