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#Stadtradeln 1: Was gibt Halt?

Was gibt Halt? – Soweit ich mich erinnern kann, habe ich mir diese Frage zum ersten Mal bewusst gestellt, als ich das Radfahren gelernt habe. Es war auf der kleinen Straße vor dem Haus meiner Eltern. Der Opa hatte mein nagelneues Kinderrad aus der Garage geholt und mitten auf die Fahrbahn gestellt. Ich habe die beiden Lenkerenden ergriffen, mein rechtes Bein (noch etwas ungelenk) über das Rahmenrohr gehoben und meinen Fuß auf die Pedale gestellt. Ein kurzer Blick nach vorn … und dann eben die bange Frage: Was gibt Halt?

Seitdem begleitet mich diese Frage. Sie ist zu einer zentralen Frage meines Lebens geworden. Und sie stellt sich mir gerade heute, da so vieles im Umbruch ist – in unserer Gesellschaft, in der Kirche und auch im eigenen Leben – wieder mal mit einer großen Dringlichkeit. Was gibt Halt?

Meine ersten Versuche mit dem Fahrrad haben mich vor allem eines gelehrt: Es gibt keine letzte Sicherheit, es kann auch schief gehen. Das mag ein wenig fatalistisch klingen, ist meiner Erfahrung nach aber ganz das Gegenteil: eine wichtige Voraussetzung für das Haltfinden. Denn die Einsicht, dass es auch schief gehen kann, lässt mich vorsichtiger werden, schärft meine Sinne, schützt mich vor überhastetem Handeln und hilft mir nicht zuletzt gefährliche Scheinlösungen zu entlarven. Beim Radfahren liegt das auf der Hand. In unserer Gesellschaft scheint es mir dagegen ein wenig in Vergessenheit geraten zu sein.

Wir leben in einem Land, das seit 80 Jahren nicht mehr von einem Krieg erschüttert worden ist, dessen Wirtschaft sich prächtig entwickelt hat und dessen Freiheit und Freizügigkeit in der Welt ihresgleichen sucht. Das ist alles andere als selbstverständlich. Und dennoch führt schon allein der Gedanke daran, dass in der näheren Zukunft auch mal etwas schief gehen könnte (in Bezug auf unsere Sicherheit, unseren Wohlstand und die gewohnten Freiheitsrechte), bei nicht wenigen zu einer enormen „emotionalen Gleichgewichtsstörung“[1]. Was gibt Halt?

Mein Opa hat mir damals drei Dinge mit auf den Weg gegeben. Erstens: Bleib in Bewegung! Beim Radfahren bedeutet das: Hör nicht auf zu treten. Im übertragenen Sinn: Setz dich mit dem Zeitgeschehen auseinander. Ruh dich nicht auf den Antworten von gestern aus. Bleib flexibel in deinem Denken. Meide die Extreme. Und trau dich etwas auszuprobieren. Das alles wird nicht zu einer letzten Sicherheit führen, aber es wird dich im Gleichgewicht halten.

Der zweite Rat meines Opas: Achte auf deine Haltung! Gemeint hat er, dass ich nicht irgendwie auf dem Fahrrad sitzen, sondern mich auf ein Ziel hin ausrichten sollte. Und auch wenn das zunächst einmal nur die nächste Toreinfahrt war: Es hat mich in eine gute Haltung gebracht und mir ein Gefühl von Sicherheit gegeben. Im übertragenen Sinn: Überlass es nicht dem Zufall, wo du landest, keinem anderen Menschen und schon gar nicht irgendeiner Ideologie. Schau, was du erreichen willst, was dir wichtig ist und wozu du mit einem guten Gewissen stehen kannst. Denn das wird Deinem Leben Sinn und Richtung geben – auch, wenn Dir der Wind mal entgegen bläst.

Und ein letztes noch hat mir mein Opa mit auf den Weg gegeben: Da ist eine Hand, die dich hält. Damals, auf der Straße vor meinem Elternhaus, war es ganz konkret seine Hand. Er hat sie schützend über meinen Rücken gehalten, um mich im Falle des Falles vor einem allzu heftigen Aufprall zu schützen. Mittlerweile ist aus dieser (für mich nicht sichtbaren, aber doch spürbaren) Hand ein Sinnbild geworden. Denn genau so erlebe ich Gottes Schutz und Geleit. Er ist keiner, der mein Leben lenkt. Keiner, der dauernd eingreift, um mich in diese oder jene Richtung zu drängen. Er achtet meine Freiheit und lässt mich meine Erfahrungen machen. Aber er ist da und steht mir zu Seite. Und wenn wirklich mal etwas schief geht, dann weiß ich: Ich kann nicht tiefer fallen als in seine Hand. Und das vor allem stärkt meine Zuversicht und gibt mir Halt.

Gereon Alter

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[1] Ein Büchlein, dass ich in diesem Zusammenhang sehr empfehle: Jürgen Wiebicke, Emotionale Gleichgewichtsstörung. Kleine Philosophie für verrückte Zeiten, Köln 2023.

Der Gastbeitrag „Was gibt Halt?“ erschien zuerst am 30. April 2025 im Blog „Radweh“ von Gereon Alter. Er ist eine von drei Andachten, die die diesjährige Aktion „Stadtradeln für ein gutes Klima“ in Essen (3. bis 23. Mai) begleiten. Wir danken dem Autor für die Genehmigung, ihn hier unverändert wiederzugeben.

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