Dieser Beitrag wurde 1.494 mal aufgerufen

Lebensregeln

Lasst uns nicht nach eitler Ehre trachten, einander nicht herausfordern und beneiden … Wenn ein Mensch etwa von einer Verfehlung ereilt wird, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist… und sieh auf dich selbst, dass du nicht auch versucht werdest. Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen… Irret euch nicht! Gott lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten. (Galater 5,25-26; 6,1-2; 6.7)

Na, ich weiß nicht, wie ist es Ihnen ergeht, wenn Sie diese Lebensregeln lesen, die der Apostel Paulus in seinem Brief an die Galater aufstellt: Ob Sie innerlich nicken, das eine oder andere wohlwollend zur Kenntnis nehmen, oder ob sie verständnislos den Kopf schütteln und denken: Mensch, das kann doch keiner schaffen. Klingt zwar schön, aber ist doch meilenweit von uns und unserer Welt entfernt.

Ich selbst war verunsichert, als ich das gelesen habe. Lediglich meinen eigenen Trauspruch habe ich sofort freudig zur Kenntnis genommen: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ Bei diesem Vers kann ich mitreden, das ist meiner oder besser unserer, diesen Vers leben mein Mann Frank und ich – bilde ich mir jedenfalls ein. Vielleicht nicht in der großen Welt, aber doch in unserem kleinen Kosmos. Eigentlich gleich zu Beginn haben wir versucht, einander zu stützen und zu unterstützen, haben wir versucht, Dinge gemeinsam zu tragen oder sogar dem anderen/der anderen abzunehmen, wollten wir ein Team sein, das zusammengehört – und es funktioniert. Ich behaupte, wir sind glücklich, allerdings wohl auch nur, weil es im Gleichgewicht ist. Also nicht nur einer von uns trägt, sondern mal der eine, mal die andere, mal gemeinsam. Und wir so etwas wie eine gemeinsame Richtung haben.

Aber nun hat Paulus ja nicht unsere Ehe vor Augen gehabt, als er all die Regeln des Zusammenlebens aufgestellt hat. Er hat an das Gemeindeleben gedacht, das Miteinander in der großen christlichen Familie – wie sieht es da aus? Ich kann kein Urteil über die große christliche Gemeinde fällen, ich kann noch nicht einmal sagen, wie es im Einzelnen aussieht, was ich aber kann, ist, ein paar Schlaglichter zu werfen, zu schauen, was das eine oder das andere bewirkt. Das vorher allerdings noch als Nachbemerkung: Unser Trauspruch funktioniert nicht nur in Zweierbeziehungen, sondern natürlich auch in großen Gruppen, in Familien jeglicher Couleur, gerade auch bei Christen. Wichtig immer hier: tragen und tragen lassen.

Nun wissen die, die mich kennen ja, dass ich gern mal nach rechts oder links schiele, um zu sehen, wie andere ihr Leben regeln, nicht um neidisch zu werden, sondern um zu lernen:

Er ist schon über zehn Jahre tot, kennengelernt hatte ich ihn im Krankenhaus. Anfang Dreißig war er, schwer krank war er und unglaublich freundlich und geduldig. Als seine Krankheit schon weit fortgeschritten war, er nur noch im Bett liegen konnte, seinen geliebten Computer auf der Bettdecke, da hat er mal zu mir gesagt: „Man soll nicht versuchen glücklicher zu sein als man ist!“ Mir hat dieser Satz damals die Tränen in die Augen getrieben, weil ich ihm so sehr etwas anderes gewünscht habe, aber er strahlte größte Zufriedenheit aus. Und das ist das, was ich nie vergessen werde – hoffentlich, und was zu unserem Text ganz wunderbar passt: da war einer, dem Neid völlig fremd war.

Ganz dankbar war er für alles, was ihm bereits zuteil geworden war. Er erzählte voller Freude von seinem Beruf als Programmierer, er strahlte, wenn er von seinen Reisen in die USA erzählte, er war so zufrieden mit seinem Leben, dass er diese Dankbarkeit ausstrahlte. Und er nahm sehr wach war, was um ihn herum passierte. Er sprach mit dem Pflegepersonal und wusste mehr über sie als ich. Er hörte manche Sorge, besorgte Computerzeitschriften für den Sohn eines Pflegers, hatte viele freundliche Worte für die Menschen, die sich um ihn kümmerten. Er war ohne Neid den Gesunden gegenüber, er trug manches mit und ließ sich tragen, durch sein freundliches Wesen wurde man selbst ganz sanftmütig.

Und ich glaube, das ist das, was Paulus uns hier einprägen möchte: Wir können die Welt verändern, durch uns selbst. Menschen, die nicht nach anderen schielen, um sich zu vergleichen, Menschen, die keinen Neid und dadurch auch keine Missgunst kennen, in deren Gegenwart lässt es sich leicht freuen, an eigenen Erfolgen, an dem, was man hat, über das, was einem zuteilwird und vielleicht auch darüber, was sie, die anderen, bekommen oder haben.

Ja, von Menschen, die keinen Neid kennen, kann man sich auch manches sagen lassen, kann man sich sanftmütig zurechtweisen lassen, weil sie einem ja nur Gutes wollen, einem nichts wegnehmen möchten, sondern gönnen können. Und wenn man selbst ganz neidlos ist, funktioniert es natürlich auch in die andere Richtung. Ich soll mich im Blick haben, sagt Paulus. Mich selbst immer wieder prüfen, mich nicht in Versuchung führen lassen – und die Versuchungen sind so vielfältig, da heißt es: aufgepasst. Ich soll sein und nicht scheinen, keinen anderen spielen, sondern ich selbst sein – und darin liegt ja am Ende auch das Vertrauen darauf, dass Gott mich gut geschaffen hat, dass ich genauso sein darf, wie ich bin.

Aber es gibt auch eine Stelle in unserem Text, die ich nicht einfach unter den Tisch kehren möchte: „Irret euch nicht! Gott lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten.“ Es wird also am Ende so sein, dass wir gerade stehen müssen für das, was wir getan haben. Gott wird sich von uns nicht hinters Licht führen lassen. Können wir Menschen vielleicht blenden, können wir anderen vielleicht etwas vormachen, sie täuschen und betrügen, vielleicht können wir ja sogar uns selbst etwas vormachen aber bei Gott funktioniert das nicht. Er erkennt uns, er weiß, wo wir mehr Schein als Sein sind, wo wir uns und anderen etwas vormachen, er sieht, wo wir fehlen. Ihm können wir nichts vormachen.

Angst muss uns das aber nicht machen, auch wenn es im ersten Moment bedrohlich klingt. Wir haben es mit einem liebenden und wissenden Gott zu tun, der um das Herz der Menschen weiß. Gott weiß, dass wir versagen, dass wir schuldig werden, dass wir nicht immer das tun, was gut für uns wäre. Dass wir versagen, manchmal sogar auf der ganzen Linie, das ist schlimm, aber nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist, wenn wir so tun als sei das nichts, wenn wir versuchen uns selbst, den anderen und Gott etwas vorzumachen. Das ist wirklich schlimm, denn dann können die anderen uns nicht mit sanftmütigem Geist wieder zurechtbringen, wie es Paulus formuliert, und wir können Gott auch nicht um Vergebung bitten, und also auch nicht erlöst werden.

Also, dann lassen Sie uns Gutes tun, einander sanftmütig ermahnen und nicht den Schein wahren, sondern sein, wie Gott will,  dass wir sind: denn so hat er uns geschaffen.

Amen.

Friederike Seeliger

2 Gedanken zu „Lebensregeln

  1. Wunderbarer, berührender Beitrag, vielen Dank. 2011 ist mein Mann im Uniklinikum gestorben, schade dass ich damals noch nicht wusste, dass Sie dort Seelsorgerin sind, gerne hätte ich mit Ihnen gesprochen und mein Mann sicher auch. Gut dass es Krankenhausseelsorger gibt. Ich wünsche Ihnen weiterhin Gottes Segen für Ihre Aufgabe. Herzliche Grüße Marita Raßmann

    • Liebe Frau Raßmann, vielleicht lernen zumindest wir zwei uns einmal kennen. Ich würde mich freuen.
      Das ist mir oft arg, dass wir als SeelsorgerInnen nicht immer da sind, wo wir vielleicht gebraucht werden.
      Von Herzen wünsche auch ich Ihnen alles Gute und Gottes Segen, Ihre Friederike Seeliger.

Kommentare sind geschlossen.