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Gottes Angebot ist inklusiv! | In Zeiten von Corona #15

Jene, die fern sind, werden kommen und am Tempel des Herrn bauen. (Sacharja 6,15) – Durch Jesus Christus werdet auch ihr mit erbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist. (Epheser 2,22) | Herrnhuter Tageslosung für den 31. März 2020

Wenn die Ressourcen knapp werden, für wen lohnt sich dann noch der Einsatz? In Zeiten des Mitgliederschwunds und der wegbrechenden Kirchensteuermittel ruft unsere Kirche eine „Zeit fürs Wesentliche“ aus. Nützlich auch, um Nachwuchs fürs Pfarramt anzuwerben, denn die Generation Y verlangt neben Leistung und Sinn auch nach Spaß und Selbstverwirklichung. Da macht es sich gut, den verlangten Arbeitsaufwand für Pfarrer*innen auf 41 Wochenstunden begrenzen zu können. Nahe liegt es dann, die Kräfte zuerst einmal für die zu verwenden, die dazugehören. 41 Wochenstunden Pfarrdienst sind schnell verbraucht für die pastoralen Basics zur Versorgung der Kerngemeinde – und die Frage unserer Tageslosung nach denen, die ferne sind, wird virulent.

Aber auch in der Pfarrergeneration Babyboomer, in der viele Kolleg*innen bereit sind, ihr Privatleben zugunsten des Jobs zurückzustellen, wird die Frage gestellt, ob kirchenferne Mitglieder größeren Aufwand überhaut wert sind. Unwahrscheinlich, dass sie – durch welches Angebot auch immer – motiviert würden, regelmäßig zum Gottesdienst zu kommen. Warum also um sie werben? Sollte man das Geld für den teuren Gemeindebrief, von dem 80 Prozent der Exemplare in Hausfluren ungelesen herumliegen oder gleich entsorgt werden, nicht besser sparen? Wie frustrierend ist die Tauffamilie, bei der der Vater längst aus der Kirche ausgetreten ist und die Mutter (in Elternzeit) nur noch so lange Mitglied bleibt, bis die Kindergartenfrage geklärt ist.

Es gibt Gemeindemitglieder, die wegen des Engagements für die Fernen verärgert sind, wie der Mann, der mich extra anrief, um die Gründe für seinen Austritt zu nennen: zu viel Getue um die Flüchtlinge in der Evangelischen Kirche im Rheinland. Jetzt reiche es ihm mit diesem Verein. Oder: Konfirmandeneltern forderten uns kürzlich auf, nicht mehr um Spenden für die JVA-Seelsorge zu bitten, denn die, die im Gefängnis säßen, hätten keine Zuwendung verdient. Fürs Kinderhospiz würde man aber gerne spenden.

Die Tageslosung lässt uns jedoch keine Wahl. Gott sei Dank. Die Wohnstatt Gottes unter den Menschen ist kein Separee für Zusammenkünfte Gleichgesinnter, und wo eine Closed-Shop-Mentalität herrscht, nimmt Gottes Geist nicht Zuflucht. Was Gott erbaut, damit seine Liebe Raum hat in der Welt, ist ein absolut inklusives Angebot, und der Auftrag an uns ist es, es allen zugänglich zu machen. Denn Gott wirbt um die Fernen. Und auch wir können Gott nur da nahe sein, wo wir unsere Heimstatt offen halten für die, die noch nicht bei uns angekommen sind.

Auch brauchen wir es dringend, dass der uns nahe Gott in seinem Herzen Platz hat für die Fernen. Als junges Mädchen in meiner evangelikalen Zeit machte ich mir große Sorgen, ob meine für den Glauben an Jesus Christus so gar nicht zu gewinnenden Eltern nach ihrem Tod von Gott überhaupt aufgenommen würden. Ähnlich geht es vielen Großeltern, die bekümmert sind über die Entscheidung ihrer Kinder, der Kirche den Rücken zu kehren und nicht einmal zuzustimmen, die Enkel taufen zu lassen.

Gut ist es, dann zu wissen, dass „Herzlich willkommen“ am Himmelstor steht und für alle gilt, egal wie weit ihre Reise war, egal welchen Anmarschweg sie gewählt haben. Ich bin sicher, dass – einmal eingetreten – Gott alle überzeugen wird, dass sie hier richtig sind. Das ist gut zu wissen auch für mich, wenn ich erkenne, wie viel Gottvergessenheit selbst noch in den frömmsten Winkeln meiner Seele wohnt.

Immer schon wird Gott mit dem Zusammenkommen und Zusammenfinden in Verbindung gebracht. Vom Friedensreich Gottes, auf das alle Hoffnung letztlich hinläuft, wird erzählt, dass hierzu die Menschen von allen Enden der Welt anreisen, um das Leben gemeinsam zu feiern. Sogar Tiere gehören dazu, auch sie friedlich und gesellig beieinander, Wolf neben Schaf, Löwe gemeinsam mit Rind, und sogar die Schlange darf dabei sein. Und wir werden dann endlich wissen, dass unsere Zuversicht in den Sieg des Lebens wirklich begründet ist. Jesus war übrigens überzeugt, dass wir – wenn wir uns dieser Vision für die Welt nicht verschließen – heute schon ganz viel zu fassen kriegen davon, wer Gott ist.

Der „große Brückenbauer“ wird Jesus im Hebräerbrief genannt. Denn immer wieder haben Menschen die Erfahrung gemacht, dass Gott in Jesus in ganz besonderer Weise auf uns zugegangen ist. Es waren die Fernen, die Jesus aufgesucht hat: Kollaborateure wie die Zöllner, leichte Mädchen und Straßengesindel, psychisch Kranke und andere Ausgesetzte. Aber auch die, deren Gesinnungen uns ferne sein sollten – Judas Iskarioth, der Verräter, und der verurteilte Verbrecher am Nachbarkreuz Jesu – sind richtig nahe an ihn herangekommen. Bis zuletzt. Mit dem einen teilte Jesus sein letztes Mahl, mit dem anderen den letzten Atemzug. Begründet ist also meine Hoffnung, dass am Ende alle Distanz aufgehoben ist in Gottes alles vereinender Liebe.

Dass ich keine Kirche will, in der versucht wird, die letzten Reste bürgerlicher Weltanschauung gegen die Stürme der Postmoderne zu verbarrikadieren, habe ich deutlich gemacht.

Der spezifische Beitrag in Zeiten von Corona ist nun, dass wir auch keine Welt wollen sollten, die vom Abhalten des und der Fernen träumt. Das Virus lehrt uns, dass solches Unterfangen vollkommen unmöglich ist, und dass es nur Rettung gibt, wenn sich Menschen fern und nah ihrer gemeinsamen Verantwortung bewusst sind. Das gilt auch für alle Versuche der Reichen, sich in Wohnburgen gegen die Empörung der Marginalisierten abzuschotten, ebenso wie für das Errichten von Zäunen und Grenzwällen und Seebarrikaden, die die Opfer unser Weltwirtschaftsordnung abhalten sollen, uns zu nahe zu kommen. All das wird scheitern.

Wollen sollten wir vielmehr, dass der Traum von der absoluten Inklusion alles Lebendigen endlich Wirklichkeit wird. An uns ist es, daran mutig und tatkräftig mitzuarbeiten, dass Gott Stein für Stein sein Haus bauen kann in unserer Welt. Das geschieht, wo wir Jesu Lebenswerk so glaubwürdig nachvollziehbar machen, dass die unterwegs Abhandengekommenen wieder mitgenommen werden von der Idee, dabei zu sein. Wenn wir unseren Glauben anschlussfähig machen für das aktuelle Lebensgefühl unserer Mitmenschen, wenn wir uns bewusst den sperrigen Fragen stellen, auf die wir keine leichten Antworten haben, und die Nestbeschmutzer*innen als Prophet*innen willkommen heißen in unseren Reihen, dann wird das auch Skeptiker*innen und Zyniker*innen ansprechen und abgestumpfte und medial übersättigte Zeitgenoss*innen aufhorchen lassen. Da bin ich mir sicher. Auf dass alle nah und fern von unserer Begeisterung für das Leben mitgerissen werden.

Bleiben Sie gut behütet.

Anke Augustin