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Nah – Näher – der Nächste

Nähe ist komplex. Wirklich? Nähe ist, wenn man sich nicht fern ist – Nähe ist also das Gegenteil zu Distanz. Aber wie genau definieren wir Nähe und Distanz? Und was bewirkt die Nähe? Wo erlebe ich Nähe oder auch Distanz? Hier tun sich einige Fragen auf, die zeigen: Es ist doch komplexer als gedacht.

Nähe wird unterschiedlich definiert. Für den einen ist ein Abstand von 2 Metern nah, für eine andere ist erst 50 cm nah. Man sieht das, wenn sich zwei Menschen unterhalten. Sie stehen dabei in der Regel nah beieinander, um sich gut verstehen zu können. Immer wieder passiert es aber, dass sich dieses Duo in Bewegung setzt – der eine geht zurück, die andere rückt hinterher – am Ende des Gesprächs stellt man fest, dass einige Meter zurückgelegt wurden. Der Grund ist: Beide haben unterschiedliche Bedürfnisse von Nähe und Distanz. Das gilt im Allgemeinen, aber unterscheidet sich auch je nach Umfeld. Im familiären Umfeld wird Nähe anders interpretiert als bei der Arbeit. Mit einer Bekannten anders als mit einem Partner. Der Abstand ist unterschiedlich, aber trotzdem kann man in mehr Situationen von Nähe sprechen.

Nähe ist nicht nur räumlich zu verstehen. Im vorherigen Abschnitt ging es um messbare Entfernungen – aber das allein reicht nicht um Nähe zu beschreiben. Denn es gibt eine „innere“ Ebene von Nähe. Nur weil ich mich in der Nähe einer anderen Person aufhalte, heißt das noch lange nicht, dass ich der Person nah bin. Gleichzeitig kann ich einer Person nah sein, die weit weg ist – Familienangehörige, die weit weg wohnen, Fernbeziehung, Freundschaften, die auf Distanz gelebt werden. SMS, WhatsApp, Telefonate, Videokonferenzen und Ähnliches helfen uns Menschen trotz Distanz nah zu sein. Manchen fällt das einfacher, manchen schwerer. Auf jeden Fall gut, dass Nähe in der aktuellen Zeit auf diesen vielfältigen Wegen möglich ist. Und manchen Menschen fühlt man sich auch ohne viel Kontakt nah….

Nähe-Empfinden ist geprägt. Viel hat mit Erfahrung zu tun – wie habe ich in meinem Leben bisher Nähe erlebt? Verbinde ich etwas positives damit, oder wurde Nähe verletzt, oder durch sie enttäuscht? Eindrücklich wird es an Kindern, die in Corona-Zeiten aufwachsen: Einige Eltern erzählen, dass ihre Kinder insgesamt sehr offen für Menschen sind, aber Panik bekommen, sobald sich neue Menschen in den „Sicherheitsabstand“ von 1,5 Metern begeben. Manche sind es eher gewohnt vielen Menschen nah zu sein, andere mögen es etwas distanzierter, was aber auch nah sein kann.

Nähe ist gut. Insbesondere aktuell, wo viele sie so sehr vermissen. Personen in der Nähe tun gut. Sie helfen, unterstützen, sind füreinander da. Nähe verhindert Einsamkeit. Menschliches Leben ohne Nähe ist nicht vollständig – wir brauchen Nähe, weil wir als Menschen auf Beziehung ausgelegt sind. Manche brauchen mehr, andere weniger, aber kein Mensch kommt ohne Nähe aus.

Nähe kann aber auch schwierig sein. Wenn mir jemand zu nah kommt, den ich nicht in meiner Nähe haben will, ist das schwierig. Gerade jetzt kann Nähe die Gefahr einer Ansteckung nach sich ziehen – da ist Abstand wichtig. Vielen Familien fällt in dieser Zeit die Decke auf den Kopf, wenn „Homeoffice“ auf „Homeschooling“ treffen, Kindergärten geschlossen sind. Da wird Nähe anstrengend, weil sie nicht durch gelegentlichen Abstand ausgeglichen wird. Abstand ist wichtig und nötig, wenn Streit, Verletzung, schwierige Beziehung da ist. Er kann schützen und manchmal auch neue Nähe ermöglichen.

Nähe macht verletzbar. Eine andere Person kommt mir nah – sie erfährt mehr über mich, kennt mich besser und weiß Dinge, die andere Personen, die mir nicht so nah sind, nicht wissen. Dabei brauche ich Vertrauen, dass diese Nähe nicht ausgenutzt wird. Also jemand etwas weitererzählt, das Wissen benutzt, um mich zu hintergehen. Räumliche Nähe birgt die Gefahr von Ansteckung, wie wir gerade Tag für Tag feststellen müssen.

Nähe führt zu Verantwortung. Die Verantwortung die Nähe nicht auszunutzen, aber auch der uns nahen Person Gutes zu tun. Sie wird zum Nächsten für uns, Jesus sagt: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Das ist eine große Verantwortung – aus der Nähe erwächst die Aufgabe, dem Nächsten Gutes zu tun.

Nähe wird von Gott gewollt. Gott ist nicht fern, sondern ein Gott, der Nähe sucht und sich uns Menschen nähert. Er könnte ja auch weit wegbleiben, stattdessen hat er sich in der Geschichte immer wieder gezeigt und erlebbar gemacht. Vor allem in Person von Jesus Christus lebt Gott Nähe. Aber auch heute will Gott uns nah sein. Viele erleben das im Gottesdienst, im Gebet, in persönlicher Stille, im Lesen der Bibel, dem Buch, das Zeugnis von ihm gibt.

Nähe zu Gott brauchen wir. Gott sucht die Nähe, aber viel wichtiger ist diese Nähe für uns. Weil in der Gegenwart Gottes Kaputtes wieder ganz wird, Wunden geheilt werden. Hoffnungslosigkeit in Hoffnung verwandelt wird. Manche Menschen merken das mehr, andere weniger. Gerade in der Situation, in der sonst keiner da ist, spüren wir aber, wir sind auf jemanden angewiesen, der uns nah kommt.

Nähe zu Gott fordert heraus. Und gleichzeitig ist das so ein Ding mit der Nähe zu Gott. Denn Gottes Nähe kann auch herausfordernd werden: Wenn sie mir zeigt, wo mein Leben nicht in Ordnung ist, wo es Veränderung braucht. Nähe zu Gott kann weh tun, wenn wir sie nicht aushalten. In Zeiten, in denen wir klagen und Gott nicht verstehen. Manchmal ist es gut, zumindest für kurze Zeit, ein bisschen Abstand zu Gott zu haben. Das geht, weil Gott die Nähe wieder suchen wird. Nähe zu Gott kann auch schwierig werden, weil wir versuchen sie uns selbst zu machen. Denn das funktioniert nicht, stattdessen bleibt sie immer abhängig von Gott selbst.

Nähe – grundsätzlich positiv, in manchen Fällen schwierig oder sogar gefährlich. Aber lebensnotwendig. Wir sind darauf angewiesen. Wie gut, dass es jemanden gibt, der uns nah sein will und es ist – egal ob uns das mehr oder weniger bewusst ist.

Simon Westphal