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Es kommt noch etwas nach

Schon lange war die Mutter erkrankt, schwer erkrankt; und die Kinder kümmerten sich wirklich gut um sie. Sie musste nicht mehr selber einkaufen oder die Wohnung putzen, nach der Arbeit kam die Tochter und kümmerte sich um alles, half mit dem Sauerstoffgerät und der Bruder und sie überlegten immer wieder, wie sie der Mutter eine Freude machen konnten.

Und dann kam das, womit alle schon gerechnet hatten, was bei dieser Erkrankung auch nicht aufzuhalten war, die Mutter musste ins Krankenhaus, lag auf der Intensivstation und die Ärzte machten keine Hoffnung. Entscheidungen standen an, die die Familie im Vorfeld schon miteinander besprochen hatte, aber es fiel schwer, sehr schwer. So am Rande des Lebens, so mit der Endgültigkeit konfrontiert, trotz ärztlicher Begleitung und Freunden an der Seite, dem Wissen dass, egal was man jetzt noch macht, es der Mutter nicht besser gehen wird, man nicht helfen kann, dass die Mutter es auch so wollte, wenn es keine Hoffnung auf Besserung gibt.

Es war schwer, damals. Und jetzt ist es auch schwer. Die Mutter fehlt. Keine mehr da, zu der man nach der Arbeit geht, um aufzuräumen, einzukaufen, zu erzählen, da zu sein. Keine mehr da, mit der man die Erinnerungen austauschen kann, die so viel über einen weiß wie sonst niemand. Keine mehr da. Oder richtiger: Sie nicht mehr da.

Es ist schwer. Und es hilft nur wenig, dass die Tochter weiß, dass die Mutter keine Kraft mehr hatte, dass die Krankheit nicht aufzuhalten war, dass der Mutter zuletzt im wahrsten Sinn des Wortes die Luft zum Leben fehlte. Kein Trost. Oder nur ein ganz, ganz schwacher, weil… weil sie so fehlt. Weil alles so anders ist als man sich das hat vorstellen können; weil die Trauer einen immer wieder wie ein Hammer trifft, weil es so schwer ist. Wohin soll man gehen? Wer kann da trösten? Was könnte da helfen?

Das Reden der anderen hört sie wohl. Sie weiß, dass niemand ihr die Erinnerungen nehmen kann, dass das Gute bleibt, viel mehr als alles, was getrennt, aufgeregt oder geschmerzt hat, sie weiß, dass der Schmerz manchmal schon erträglich ist, weil die Zeit zwar nicht alles heilt, aber eine dünne Kruste über die Wunde wachsen lässt; sie weiß, die Mutter wollte es so, hatte keine Kraft mehr, aber… Manchmal trifft sie dieses „Aber“ noch so heftig, dass sie gar nicht vorbereitet ist, dass sie sich gar nicht zu helfen weiß. Aber…

Ob unser Bibeltext eine Antwort auf diese Frage, auf dieses „Aber“ ist, weiß ich gar nicht so genau. Ich weiß aber, dass er mich immer tröstet, dass er mir Halt und Hoffnung gibt, dass er mir Zuversicht schenkt in Zeiten, in denen auch ich vom Abschiedsschmerz erfasst werde, in denen ich so traurig bin, weil Menschen, die ich liebe, nein liebte, nicht mehr da sind.

Der für den Ewigkeitssonntag vorgeschlagene Predigttext ist aufgeschrieben im Buch der Offenbarung, 21. Kapitel, Verse 1-7. Der Seher Johannes schreibt:

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.

Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss! Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Wer überwindet, der wird dies ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein.

Ja, der Seher Johannes sieht, sieht in die Zukunft, in eine andere Welt, und das, was er sieht, lässt mich glücklich werden. Ja, einmal wird alles anders, so prophezeit er uns, einmal wird das, was wir hier sehen und erleben, nicht mehr sein, einmal wird alles neu. Da wird das Dunkle, das Schwere diesen Lebens verschwinden, da wird es die Trauer über Gewesenes, den Schmerz wegen der Abschiede, überhaupt Schmerzen und Leid und Kummer und Traurigkeit, nicht mehr geben, denn dann wird alles neu, licht und hell. Selbst der Tod wird verschwunden sein.

Und Gott, zu dem ich mich hier auf Erden zwar auch schon flüchten kann, zu dem ich mit allem, was mich beschäftigt, freut und belastet kommen darf, den ich wohl spüren, aber nicht sehen kann, der wird mir dann ganz nah sein, mein Nachbar werden, denn er wird bei den Menschen wohnen, er wird seine Hütte bei den Menschen – bei Ihnen und mir – haben.

Ist diese Vision des Johannes nur ein Vertrösten auf bessere Zeiten, damit ich mein Leben hier aushalte, damit die Menschen zu seiner Zeit es besser aushielten, die Verfolgungen damals besser ertrugen? Ist diese Vorausschau nur ein Hinhalten bis das Vergessen einsetzt, damit ich still bin und mich ruhig verhalte? Nein, das glaube ich nicht! In dieser Hoffnung auf ein neues Leben bündelt sich mein ganzer Glaube. Jetzt ist es nicht mehr lange, und wir feiern Weihnachten. Und Weihnachten, die Geburt Jesu im Stall von Bethlehem hat schon einen Vorgeschmack darauf gegeben, wie das ist, wie das werden kann, wenn Gott mein Nachbar wird.

Ganz nah kam Gott durch Jesus den Menschen, hat ihr Leben geteilt, ihre Armut, ihren Reichtum, ihre Freude, ihr Leid – hat geholfen und heilgemacht und damit schon gezeigt, wie es werden kann, wenn… Und dann Ostern, der Sieg über den Tod. Auch das Zeichen, wie das ist, wie das werden wird, wenn…

Ja, der Seher Johannes sieht, er sieht einen neuen Himmel und eine neue Erde, er sieht das neue Jerusalem, er sieht das Reich Gottes, er sieht, was Christinnen und Christen verheißen ist.

Und das ist es, was mich wirklich tröstet: Das hier auf Erden ist noch nicht das Letzte, es kommt noch etwas nach, ein neues Leben ohne Schmerz, ein neues Leben mit Gott, der seine Hütte bei uns Menschen baut, der meine Tränen trocknet, die dann nicht mehr sein müssen, der den Schmerz fernhält und den Tod besiegt hat.

Ob es jetzt am Ende, nein – an diesem Neuanfang genauso aussehen wird, wie Johannes es hier beschreibt, das weiß ich nicht und das ist – glaube ich – auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass es weitergehen wird, dass das hier nicht alles ist, dass es schöner und froher wird und dass Gott sich zu mir als seinem Kind bekennen wird. „…der wird dies ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein“ – sagt Johannes. Ich ergänze: meine Tochter.

Jesus ist uns diesen Weg vorausgegangen, wir Christinnen und Christen werden ihm nachfolgen, die uns vorausgegangen sind, sind schon weiter auf dem Weg, das tröstet mich und das lässt mich hoffen gegen jeden Trauerschmerz an. Amen.

Friederike Seeliger