Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. (Matthäus 17,2)
Im vergangenen Jahr haben Frank und ich Urlaub in Tirol gemacht und weil es so schön war, wollen wir das auch wiederholen. Wir zwei waren völlig fasziniert von dieser Bergwelt. Die Wiesen waren alle viel bunter und lebendiger als hier, der Himmel wirkte blauer, die Luft klarer… und es hat uns immer in die Höhe gezogen. In der Nähe von Kitzbühel bleibt einem eigentlich auch gar nichts anderes übrig, als sich ordentliche Schuhe anzuziehen, die Butterbrote und ein bisschen was zu trinken einzupacken und dann los.
Obwohl es auch anstrengend war: irgendwie wollten wir nie richtig aufgeben. Stattdessen haben wir uns selbst immer wieder angestachelt: Ach, lass doch mal schauen, was da hinter der nächsten Kurve ist. Wenigstens bis zu diesem Baum da, was mag da hinten, wenn man auf die andere Seite schauen kann, noch alles zu sehen sein? So ging es eigentlich in einer Tour. Manchmal waren wir mächtig traurig, dass wir nicht doch noch… aber der Weg nach unten, zum Auto, wurde ja auch nicht kürzer.
Was ich sagen möchte: es ist ganz schön erhebend, auf einen Berg zu wandern, dort oben die Weite zu genießen – und sonst nichts. Und dieses „nichts“ sage ich jetzt lächelnd. Denn da oben war nichts – andererseits aber auch alles. Wir waren oft allein unterwegs, die Nachrichten aus der normalen Welt konnten uns dort nicht erreichen und vor allem interessierten sie uns nicht. Wir waren eigentlich nur mit Staunen beschäftigt, und ein Gefühl von Dankbarkeit hat uns erfüllt. Wir haben alles in uns aufgesogen und genossen… ich kann es gar nicht richtig beschreiben. Es war wunderschön Am liebsten wären wir dort auch viel länger geblieben.
Ich lerne immer dazu, nicht nur, wenn ich Predigten schreibe. Sondern überhaupt. Und so habe ich neulich in einem Buch entdeckt, dass das, was Frank und ich in diesem Urlaub erlebt haben, im ganz Kleinen genau das ist, was auch Astronauten erleben, wenn sie ins All geschossen werden und plötzlich unsere Erde von oben sehen. Overview-Effekt nennt man das, was dann mit den Astronauten passiert: es ist die Erfahrung, dass die Perspektive, also der Blick auf den Planeten Erde und die darauf lebende Menschheit, einen selbst verändert. Grundlegende Merkmale sind ein Gefühl der Ehrfurcht, ein tiefes Verstehen der Verbundenheit allen Lebens auf der Erde und ein neues Empfinden der Verantwortung für unsere Umwelt. So wird es zumindest im Online-Lexikon Wikipedia erklärt.
Und auch wir standen oder saßen dort oben, konnten zwar nicht die ganze Erde sehen, aber eben doch ein kleines bisschen, waren aus dem Normalen irgendwie herausgehoben und empfanden auch plötzlich Ehrfurcht und Liebe. Wenn wir oben angekommen waren, womöglich noch eine Bank zum Sitzen hatten, dann wollten wir dort auch bleiben. Wollten nicht mehr zurück ins normale Leben. Am liebsten nur dasitzen, abends eine Flasche Bier in der Hand und satt – und dann nur gucken und staunen und dankbar sein und Stille leben. Alle Probleme dieser Welt, auch die eigenen, wurden dann ganz winzig und unbedeutend.
Insofern verstehe ich die drei Jünger gut, um die es im folgenden Text aus dem Matthäusevangelium geht. Obwohl ihnen noch viel mehr – und vor allem Unerklärliches – passiert:
Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht.
Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. Petrus aber antwortete und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!
Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und fürchteten sich sehr. Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist. (Matthäus 17,1-9).
Ja, da machen sich die vier Männer auf den Weg, ersteigen, erwandern oder erklimmen einen Berg, einen hohen Berg, wird extra gesagt; und ich ahne, wie sie da oben angekommen sind: ein bisschen kurzatmig, weil es ja doch anstrengend ist, glücklich, weil sie es geschafft haben; und noch ehe die drei Jünger sich der Aussicht hingeben können, also auch so etwas wie den Overview-Effekt erleben können, wird Jesus vor ihren Augen verklärt. Ich könnte auch sagen, wird Jesus vor ihren Augen verwandelt, er verändert sein Aussehen. Er leuchtet wie die Sonne und seine Kleider werden weiß. Das erinnert an eine Art Lichtgestalt. Und als sei das an Außergewöhnlichem noch nicht genug, erscheinen nun auch noch – offenbar sofort erkennbar – Mose und Elia.
Ich will vorsichtig zugeben, dass meine Seele das nicht hätte fassen können. Ich hätte sicher ganz – ich weiß auch nicht – still dort gestanden, hätte geguckt und wahrscheinlich nicht geglaubt, was ich sehe. Verunsichert wäre ich gewesen, durcheinander, das waren die Jünger vielleicht auch, bis auf einen.
Petrus begreift sofort: hier ist gut sein. Hier sind gute Menschen versammelt, sein Meister, Elia, Mose, alles herausragende Persönlichkeiten, auf solchen Bergen ist ja auch gut sein – ich hatte es eben erzählt, weil ich es auch so empfunden hatte – und da ist er ganz pragmatisch. Wer bleibt, braucht nicht eine Bank wie ich, sondern ein Zelt. Und besondere Menschen brauchen eigene Zelte, also vielleicht gleich drei bauen… das ist übrigens sehr lieb gedacht. Petrus will nur für andere bauen, ihm selbst reichen der nackte Boden und der Himmel direkt über ihm, und das unterstellt er auch seinen Mitbrüdern. Doch noch ehe irgendwer überhaupt reagieren kann, mischt sich Gott in das Geschehen ein. Und das ist nun auch für diesen Jünger zu viel.
Ob sie gehört haben, was Gott sagt? Dass das, dass Jesus sein lieber Sohn ist, an dem er Wohlgefallen hat? Und dass sie ihn hören sollen? Ich hoffe es! Ich hoffe, dass sie es gehört haben. Dass es in ihnen nachklingt, immer wieder mitschwingt, wenn sie an Jesus denken. Dass es sie stärkt, Mut macht und ihnen eben auch versichert, dass sie auf dem richtigen Weg sind.
Und Jesus ist ganz fürsorglich. Er rührt sie an. Er berührt sie, bringt sie dadurch vorsichtig wieder zurück in die – ja, ich weiß gar nicht, Realität ist ja das falsche Wort. Das, was die Jünger da erlebt haben, das war real für sie. Jesus weckt sie auch nicht auf, denn es war ja kein Traum. Vielleicht kann ich sagen: er versichert sie seiner Nähe, er holt sie ganz behutsam aus ihrem Schrecken wieder heraus.
Fürchtet euch nicht! Irgendwie ist die Furcht nie weit, wenn es Gottesbegegnungen gibt. Und es ist gut zu wissen, dass wir uns nicht fürchten müssen, wenn wir ihm begegnen. So haben wir es vor einem Montag auch in der Weihnachtsgeschichte gehört. Fürchtet euch nicht!
Es ist immer gewaltig, Gott zu hören, ihm nahe zu sein, aber er ist eben auch ganz beschützend zu allen, die in seine Nähe kommen. Die Jünger, kaum dass sie sich vom Schrecken erholt, diese Achterbahn der Gefühle hinter sich gebracht haben, sie dürfen wohl von ihrer Begegnung zehren, sie aber nicht den anderen erzählen. Manches kann man nicht sofort erzählen. Manches muss man erst in sich behüten, verwahren, im Herzen bewegen wie Maria, ehe man damit in die Öffentlichkeit gehen kann. Aber irgendwann darf es dann doch erzählt und soll auch erzählt und muss auch erzählt werden, weil Gottesbegegnungen unseren Glauben lebendig erhalten.
Wichtig ist zu wissen: Man kann in diesen Situationen nicht verharren. Man muss wieder vom Berg hinunter, ins Leben zurück. Gestärkt, wie man es durch diese Gottesbegegnung wurde, kann man weiter, ist man den kommenden Aufgaben und Herausforderungen besser gewachsen.
Wir alle brauchen solche Erlebnisse: besondere Augenblicke, in denen wir innehalten, in denen unsere Seele genährt wird, in denen wir Gott begegnen. Nicht immer hören wir dann Gottes Stimme, aber begegnen können wir ihm. Vielleicht nicht bei jedem Bergerlebnis. Aber wenn wir uns öffnen, unsere Seele für Gott bereithalten, wird er sich uns auch zeigen. Er wird uns auf dem Weg begegnen, auf dem wir gehen, ganz individuell. Er macht das. Amen.
Friederike Seeliger