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Klima hin oder her

Reden wir zunächst nicht über das Klima, für dessen Bewusstmachung die jungen Leute auf die Straße gehen. Ich denke zuerst mal an gesellschaftlich-mentale Befindlichkeiten, die uns zu schaffen machen. Und dann sind da ein paar Fragen:

Tagtäglich werden wir als Mitglieder dieser Gesellschaft mit ihnen konfrontiert: In welchem „Klima“ leben wir? Aber kann man das überhaupt beantworten? Ist „Klima“ nicht etwas Gefühltes, im Grunde Ungreifbares, das man mit Worten nicht einfangen kann? Es gibt ein „Klima der Angst“, ein „Klima der Unsicherheit“, ein „Klima der zunehmenden Aggression“. Wo soll man da bei einer genaueren Betrachtung anfangen? Wo hat man etwas Sicheres in der Hand?

Fangen wir mal damit an: Wie kommt es denn, dass die „Alternative für Deutschland“, die AfD, so erfolgreich ist? Nach den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg wird die Partei im Herbst 2019 noch erfolgreicher sein als jetzt schon. Warum wählen viele Menschen diese Partei? Und wieder schauen wir auf die Gesellschaft. Sie driftet auseinander. Dazu nur zwei Bereiche:

Finanziell: Die Quandt-Erben, denen ein großer Teil der BMW-Aktien gehört, bekommen im Jahr eine Dividendenausschüttung von einer halben Milliarde Euro. Das Durchschnittseinkommen aller Beschäftigten in der Bundesrepublik betrug 2018 2.860 Euro brutto und 1.890 Euro netto nach allen Abzügen.

Mental: Da sind die Eliten in den großen Städten und in international tätigen Firmen und Banken. Sie sind Globalisierungs-Profiteure. Da sind die Befürworter von Homoehe und Patchwork-Familien, von Inklusions-Schulen und „Flüchtlinge sind willkommen“, und auf der anderen Seite die Befürworter und Bewahrer alter bürgerlicher Ordnungen mit hergebrachten Regeln und lange eingelebten Traditionen, die um diese Lebensregeln besorgt sind und traditionelle soziale Normen in Gefahr sehen. Für die Eliten, oder die Weltbürger, stehen Fortschritt und persönliche Freiheit an erster Stelle, die anderen, die Sesshaften, sorgen sich um ihre Sicherheit.

Eine Partei, die angesichts einer fundamentalen und beunruhigenden Umbruchzeit unserer Gesellschaft einfache, vereinfachende, traditionsbewahrende und „deutsche“ Lösungen verspricht, hat in einer solchen Situation Erfolg. Viele Menschen flüchten zu den einfachen Lösungsvorschlägen, weil sie zutiefst verunsichert sind. Der Erfolg allerdings beseitigt gesellschaftliche Spannungen nicht, sondern vertieft sie noch, denn die Globalisierungs- und Differenzierungsprozesse werden sich nicht aufhalten lassen.

Was hat unsere Kirche mit dem Thema „Klima“ zu tun?

Die Gesellschaft ist mit sich selbst beschäftigt. Die Eliten haben sich in ihrer Komfortzone über den Wolken eingerichtet, die Sesshaften bleiben furchtsam für sich oder suchen Schutz in den Gruppen der Gleichgesinnten. Und doch gibt es den Kirchentag, gibt es unsere Kindergärten, Jugendgruppen, Taufen, Konfirmationen – und Gottesdienste. Und damit sind wir beim Anfang dieses Textes, bei denen, die freitags auf die Straße gehen. Nur unterlegen wir diesen Aktionen einen anderen Sinn als sicherlich viele, die für die Erhaltung einer bewohnbaren Welt demonstrieren. Für uns ist es die Schöpfung unseres Gottes, in der wir leben und weiter leben wollen. Und davon ist in jedem Gottesdienst die Rede.

Zum Gottesdienst kommen wir aus unserem Alltag. Mit den Problemen und Sorgen, die wir haben. Und wir singen „Gott liebt diese Welt, und wir sind sein eigen. Wohin er uns stellt, sollen wir es zeigen: Gott liebt diese Welt.“ Und dann gibt es die Predigt der Pfarrerin oder des Pfarrers. Und jede Predigt spricht von der Wärme, dem Licht und der Fürsorge Gottes. Und die Pfarrerin legt uns das aus, und durch ihr Wort, ihre Sprache und ihre Zuwendung gibt es Berührungen, Trost und gute Nahrung für unsere Herzen. Und dieses „Klima“ der alle, die da versammelt sind, umfassenden Auslegung ist aufgehoben in dem Vertrauen und der Zuversicht, dass Gott auf seine Erde schaut und „nicht fahren lässt das Werk seiner Hände.“

Auch wenn die Gemeinden kleiner werden, wenn das Geld für Ämter und Aufgaben knapper wird, wenn die Bedeutung der Kirchen für die Gesellschaft schwindet: Es wird immer genügend Menschen geben, die die Botschaft des Evangeliums für ihr Leben bewahren und weitergeben. Klima hin oder her.

Hans Erlinger