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Johannes Bugenhagen, der Mann in Luthers Schatten

2017: Dr. Martin Luther in aller Munde – Dr. Johannes Bugenhagen dagegen sehr viel weniger. Zu Unrecht. Dabei war er einer der Ersten, die sich für Luther interessierten. Schon 1523 war „Dr. Pomeranus“, das heißt „der Doktor aus Pommern“, Pfarrer an der Stadtkirche in Wittenberg und Professor an der Universität. Er wurde der „Familienpfarrer“ von Katharina und Martin Luther. Der frisch verheiratete Mönch Bugenhagen traute die Luthers 1525 und taufte alle sechs Kinder der Familie. 1546 musste er die Trauerpredigt für seinen berühmten „Beicht-Sohn“ Martin halten.

Bugenhagen war der Reformator der Kirchenordnungen – naja, werden Sie vielleicht sagen, was ist das schon. Doch halt: das ist viel! Die Kirchenordnungen hatten damals Verfassungsrang, sie waren Staatsverträge. Sie regelten mehr als heutige Kirchenordnungen, die ja weitgehend innerkirchliche Angelegenheiten ordnen. Der gesamte Bereich des Gottesdienstlichen stand an erster Stelle. Es folgten die Bildung und der Bereich der Diakonie. Alles ist heute so aktuell wie vor 500 Jahren.

Dr. Pomeranus war – aus dem Norden kommend – der Reformator des Nordens. Er entwickelte neue Kirchenordnungen für Braunschweig-Wolfenbüttel, für Hamburg, Schleswig-Holstein, Lübeck, Hildesheim, für Pommern und nicht zuletzt für Dänemark und Norwegen – enorm!

Als Lehrer in der Prämonstratenser-Klosterschule in Belbuck entwickelte er schon das Lehr- und Lernprogramm:  „…lehren soll man Grammatica, Logica, Rhetorica, Hebräisch, Griechisch und Latein, Poeten, Oratores, Historien, dass man gelehrte, vernünftige, verständige Leute aufziehe. Am Mittwoch sollen die Kinder nachmittags spielen; sie sollen singen lernen, dass man fröhliche, lustige Leute mache.“

Wie kam Bugenhagen in Berührung mit Martin Luther? Bei einem Abendessen mit der Treptower Geistlichkeit in Pommern im Hause des Pfarrers Otto Slutow hat dieser Bugenhagen Luthers Schrift „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ vorgelegt. Bei einem ersten oberflächlichen Blick soll Bugenhagen diese Schrift als „Ketzerei“ abgetan haben. Doch nach späterem, genauem Studium war er so angetan, dass er dem Reformator geschrieben hat. Luther antwortete ihm freundlich und schickte ihm die reformatorische Grundschrift „Tractatus de libertate Christiana“ („Von der Freiheit eines Christenmenschen“, 1520). Von dieser fühlte sich der Mönch überwältigt. Schon im Frühjahr 1521 verließ er Treptow und Belbuk und reiste nach Wittenberg.

Schnell wurde er Luthers Freund und Seelsorger. 1525 traute er Katharina und Martin – nicht in der Kirche, sondern in Luthers Wohnung im Schwarzen Kloster. Trauzeuge war der berühmte Maler und Apotheker Lucas Cranach der Ältere. Bugenhagen hatte schon drei Jahre vor Luther Walburga geheiratet. Ihr Familienname ist eigentümlicherweise nicht bekannt. Viel wissen wir von dieser tollen Frau nicht, welche die Priesterehe mit einem ehemaligen Mönch nicht gescheut hat. Das ist keineswegs ohne Risiko gewesen. Wer sie getraut hat, ist nicht bekannt. Doch Walburga hat ihren Mann, oft gemeinsam mit ihren vier Kindern und Sack und Pack auf seinen häufigen Dienstreisen – bis nach Dänemark! – begleitet und ihn ungeheuer unterstützt.

In Wittenberg haben sie in einem schönen, großen Pfarrhaus gewohnt, das später die Superintendentur geworden ist. Mutig waren die beiden Freundes-Ehepaare Luther und Bugenhagen: Als im Sommer 1527 eine Pestzeit Wittenberg heimsuchte, wohnten beide Familien in Luthers Haus, dem Schwarzen Kloster, und versorgten Pestkranke, ohne dem Aufruf des Kurfürsten zu folgen, die Stadt zu verlassen.

Bereits 1524 hatte die Nicolaikirche in Hamburg Bugenhagen zum Pfarrer gewählt. Doch der Ratlehnte ab. Warum? Weil er verheiratet war. Das hat ihn mächtig geärgert. Vier Jahre später haben ihn Rat u und Bürgerschaft in Braunschweig gebeten, das Kirchenwesen im evangelischen Sinne zu ordnen.

Die Kirchenordnung, die er entworfen hat, ist zum Vorbild für den nordeuropäischen Raum geworden. Das überzeugte auch Hamburg. Am 23.Mai 1529 wurde in Hamburg die neue Kirchenordnung von allen Kanzeln verkündet. Am 24. Mai wurde nach genauen Vorgaben Bugenhagens im Johanneskloster das Johanneum, eine neue Lateinschule, eröffnet. Dem war vier Jahre zuvor Philipp Melanchthon mit der Gründung eines humanistischen Gymnasiums in Nürnberg vorangegangen. Die Hamburger zeigten sich sehr dankbar. Er, Johannes, erhielt 100, sie, Walburga, 20 Gulden – eine Menge Geld.

Über Braunschweig wollte die Familie Bugenhagen zurück nach Wittenberg. Auch dort gab es noch vieles zu regeln, und Dr. Pomeranus war auch hier erfolgreich. Am 24. Juni 1529 erreichten sie Wittenberg und sind dort herzlich mit einem Willkommensgruß empfangen worden. Am großen Abendmahlsgespräch zwischen Luther, Zwingli und anderen in Marburg 1529 hat Bugenhagen nicht teilgenommen.

Im Sommer kamen zwei Vertreter aus der großen Hansestadt Lübeck und baten ihn, eine Kirchenordnung für ihre Stadt zu erstellen. So brach er im Oktober 1530 allein dorthin auf.

Die Situation in Lübeck war schwierig. Der Rat war gegen die Reformation und gegen Bugenhagen, die Opposition dafür. Dass am 31. Mai 1531 eine Kirchenordnung rechtskräftig beschlossen und eingeführt wurde, ist Dr. Pomeranus Meisterstück gewesen. Wie schon in Hamburg, richtete man im ehemaligen Franziskaner-Katharinenkloster eine Lateinschule, das Katharineum, ein. Bildung stand, wie wir ja wissen, neben dem Gottesdienst ganz oben an. Neben all seinen Tätigkeiten arbeitete er mit anderen zusammen an der ersten niederdeutschen Vollbibel (Altes und Neues Testament), die, prächtig ausgestattet, in den Jahren 1532 bis 1534 gedruckt und veröffentlicht worden ist. 1534 kehrte Bugenhagen nach Wittenberg zurück.

Bugenhagen ist im Gegensatz zu Luther ein „Reformator unterwegs“ zu nennen. Doch auch fürseine Heimatstadt Wittenberg erarbeitete er eine Kirchenordnung; sie besaß noch keine. Neugegenüber den vorhandenen Kirchenordnungen ist die Errichtung von Mädchenschulen. Unterwegs war er in seiner Heimatstadt Treptow, in Stolp, Pyritz und Stralsund. Die Pommerschen Herzöge proklamierten die Kirchenordnung, die Dr. Pomeranus für ihre Region konzipiert hatte, im Jahre 1535.

Ein Jahr drauf gelangte der Kirchenordnungs-Reformator zum Höhepunkt seines Wirkens. Am 4. Juli 1534 war Christian III. zum dänischen König gewählt worden. Er gewann damit die Oberhand über die katholischen Bischöfe, die sich der Reformation widersetzten. Am 30. Oktober 1536 wurde die Reformation auf dem Reichstag zu Kopenhagen proklamiert. Christian III. hatte 1521 dem Reichstag zu Worms beigewohnt und war von Luther unauslöschlich beeindruckt. Dr. Pomeranus hatte er 1529 bei einer Disputation in Flensburg kennengelernt. So bat er den sächsischen Kurfürsten, Johann Friedrich Bugenhagen zu beurlauben und nach Dänemark zu schicken – zur Ordnung des Kirchenwesens in Dänemark und Norwegen und damit indirekt auch in Island. Und so kam es dann auch.

Am 5. Juli 1537 traf er mit seiner Familie und einem Neffen in Kopenhagen ein. Für die Krönungs-Feierlichkeiten am folgenden 12. August entwarf er ein umfangreiches Ritual, das alle Einzelheiten genau festlegte.

Zum Abschluss dieses kurzen Textes noch drei Bemerkungen: Zur Kirchenmusik, zur Diakonie und zum Todes Martin Luthers:

Ad 1) Die neugegründeten Lateinschulen wurden in Norwegen, in Trondheim, Oslo und Bergen, in Dänemark wie in Deutschland die Basis für die Kirchenmusik. Warum? Die Lateinschüler bekamen Gesangs-und Instrumentalunterricht. Das ist die Keimzelle der Kirchenmusik. Die Domherren mussten einen Chorknaben mit einem Stipendium unterhalten. Der Kantor war, wie es bei ohann Sebastian Bach der Fall gewesen ist, in das Schulwesen eingegliedert. Die Gregorianik, die lutherischen Messgesänge und Choräle, aber auch die calvinistischen Psalmlieder standen auf dem Lehrprogramm. Schulchor, geistliche Konzerte, Kantaten, Oratorienmusik bestimmten das 17. und 18. Jahrhundert. Die Zusammenarbeit der Kantoren, Organisten und Stadtmusikanten war gefordert! Später ersetzten – ganz modern – die Mädchenchöre und die „Gesangsfrauen“ die fehlenden Lateinschülder.

Ad 2) Von der Bedeutung der Diakonie, des Armenwesens, wie diese Aufgabe im 16. Jahrhundert genannt wurde, als Teil der Kirchenordnung habe ich oben bereits gesprochen. Auf der Basis der Kollekte aus der jüdisch-christlichen Tradition ist der Armenkasten gegründet worden. Hierin wurden Spenden, auch kleinste, gesammelt (vgl. das Scherflein der Witwe bei Lukas 21,1-4). Die Verwaltung der Armenkästen war einem mehrköpfigen Ausschuss übertragen, zwei Mitglieder stammten aus der Kirchengemeinde, zwei aus dem Stadtrat.

Ad 3) Am 18. Febuar.1546 ist Martin Luther in seiner Geburtsstadt Eisleben gestorben. Die Glocken läuteten im ganzen Land. Der Familienpfarrer Johannes Bugenhagen hielt seinem Freunde die Trauerpredigt („Eine christliche Predigt, bei der Leiche und Begräbnis des Ehrwürdigen Herrn D. Martinus Luther am 22. Februar 1546, gehalten von D. Johannes Bugenhagen, Pomerano, Doctor und Pfarrherrn zu Wittenberg“).

Ich zitiere abschließend einige, zentrale Sätze Bugenhagens und Luthers: „Unser lieber Vater, D. Martinus Luther, hat nun erlanget, das er offte begehret hat, und wenn er jetzt wieder zu uns sollte kommen, so würde er unser Trauern und Zagen strafen mit dem Wort Christi Johann 16. So ihr mich lieb hättet, würdet ihr euch freuen, denn ich gehe zum Vater, und würdet mir gönnen die ewige Ruhe und Freude. Christus hat den Tod für uns überwunden, was zagen wir denn? Der Tod des Leibes ist ein Anfang des ewigen Lebens durch Jesum Christum, unsern Herrn, der für uns ein edel, theuer Opffer worden ist.“

Eckhard Schendel