Wer nichts über Paulus weiß, wird sich die Frage stellen, was denn der Apostel mit den Winden auf Kreta zu tun hat. Lasst uns also in die Texte und in Vergangenheit und Gegenwart schauen. Sie werden als erstes fragen: Wie kam der Apostel dorthin? Bei dieser Frage müssen wir weit ausholen.
Teil I
Paulus hatte ein wichtiges Versprechen abgegeben. Wann und wo? In Jerusalem, Mitte des 1. Jahrhunderts. Dort fand im Jahr 48 oder 49 der „Apostelkonvent“ statt. Paulus spricht davon in Galater, Kapitel 2, und Lukas in seiner Apostelgeschichte (Apg.), Kapitel 15. Welche Leute kamen dort zusammen und worum ging es? Der Anlass war folgender: Judenchristen strengster Observanz aus Jerusalem waren in die christliche Gemeinde in Antiochien eingebrochen und hatten die Beschneidung der Heidenchristen gefordert.
Wir wissen alle, dass seit dem energischen Einsatz des Apostels Paulus die Beschneidung nicht mehr vollzogen werden muss. Doch die anderen Entscheidungen auf diesem Treffen waren nicht weniger wichtig. Dabei ging es in erster Linie um die Christus-Verkündigung und das Sammeln von Geld, lateinisch Kollekte, für die christliche Urgemeinde in Jerusalem.
Wir wissen aus dem Römerbrief, unter welchen Gewitterwolken Paulus die Fahrt nach Jerusalem angetreten hat, wohin er persönlich die ihm so wichtige Kollekte in Säcken voller Münzen zusammen mit seinen Mitarbeitern bringen wollte. Er schreibt:
„Ich ermahne euch, dass ihr mir kämpfen helft durch eure Gebete zu Gott, dass ich errettet werde von den Ungläubigen in Judäa und mein Dienst, den ich für Jerusalem tue, den Heiligen willkommen sei, damit ich mit Freuden zu euch komme nach Gottes Willen und ich mich mit euch erquicke. Der Gott des Friedens sei mit euch. Amen.“ (Apg. 15,30)
Wir wissen, wie seine Fahrt ausging. Paulus kam als Gefangener nach Rom und nicht als freier Mann. Seine Sorge vor Jerusalem war begründet. Die Juden in der Stadt sahen in Paulus den Abtrünnigen, den Zerstörer der Thorá durch seine Ablehnung der Beschneidung, wie bereits erwähnt. Schon in Korinth waren die Juden hinter ihm her. Daher nahm er nicht das Schiff, sondern den Landweg über Nordgriechenland (vgl. Apg. 20,3). Dann über Kos, Rhodos, an Zypern vorbei nach Syrien. Von dort nach Ptolemais (heute Haifa).
In Caesarea am Meer, wo Paulus später vor Gericht stehen wird, sind Paulus und seine Begleiter zu Gast bei dem bekannten Missionar Philippus (Apg. 6/8). Und dann ziehen sie weiter, landeinwärts „hinauf gen Jerusalem“, wie es so schön in Luthers Übersetzung heißt. Hier gab laut der Apostelgeschichte der Herrenbruder Jakobus, der eine „Säule der Jerusalemer Gemeinde“ ist, dem Apostel den Rat, mögliches Misstrauen der judenchristlichen Gemeinde auf folgende Weise, die manchem unbekannt sein dürfte, zu zerstreuen:
Paulus soll die rituelle Handlung auf sich nehmen, das heißt, er solle an der Auslösungszeremonie von vier jungen, unbemittelten Nasiräern, frommer Eidesleister für Gott, teilnehmen und dabei die Kosten für die darzubringenden Opfer im Tempel übernehmen. Es geht also auch hier um Geld. Paulus solle, so Jakobus, damit jüdisches Misstrauen zerstreuen (vgl. Apg. 21,15ff.). Mit dieser Geschichte ist vorausschauend das Ende des Paulus beschieden.
Diasporá-Juden, die aus dem Ausland kamen, sind in Jerusalem genau beobachtet worden. Solche begegneten natürlich dem Apostel, die ihn aus dem Ausland kannten. So wurde Paulus fälschlich bezichtigt, er habe einen Nichtjuden, einen Heiden mit Namen Trophimos aus Ephesos, mit in den Tempel gebracht. Das aber war ein Sakrileg, das sogar die heidnischen römischen Besatzer achteten. Darauf stand die Todesstrafe.
Die Juden entfesselten einen Tumult gegen Paulus, sodass die römische Wache eingriff und ihn in Schutz nahm. Man wollte ihn der jüdischen Lynchjustiz entziehen (Apg. 21,27ff). Seitdem ist Paulus ein Gefangener der Römer gewesen, zunächst ein Schutz-Häftling, dann ein Untersuchungsgefangener.
Für das weitere Schicksal des Paulus bietet Lukas Dramatisches: zum Beispiel die Rede, die der soeben der tobenden Menge entrissene Paulus mit römischer Erlaubnis auf der Tempeltreppe an das Volk richten darf (vgl. Apg. 21,15ff. – bitte lesen!). In dieser Rede schildert Lukas die Berufung des Paulus vor Damaskus.
Der Apostel weiß sich dem wütenden Mob zu schützen. Wie? Indem er sich auf sein römisches Bürgerrecht (civis Romanus) beruft. Ist es euch erlaubt, einen solchen ohne Urteil zu geißeln? (vgl. Apg. 22,25). Den römischen Hauptmann (centurio) überrascht das sehr. Er teilt es sofort seinem Vorgesetzten, dem Oberst (chiliarchus) mit.
So steht nun Paulus, wie sein Herr Jesus Christus, vor dem Hohen Rat (Apg. 22,20-23,11). Die Dramatik spitzt sich zu (vgl. Apg. 23,12 ff.). 40 jüdische Verschwörer trachten dem Apostel nach dem Leben; sie wünschen sich ihn tot. Der römische Oberst zieht ihn daher aus dem Verkehr, wenn ich so sagen darf. Er lässt ihn aus Jerusalem nach Caesarea am Meer überführen (Apg. 23,23-35).
Die beiden damaligen Prokuratoren, Nachfolger von Pontius Pilatus, Marcus Antonius und Felix (52-60) und deren Nachfolger Porcius Festus (60-62) werden von Lukas sehr farbig dargestellt. Paulus beschreibt in seinen lukanischen Reden jeweils seine Berufung vor Damaskus (Apg. 26). Am Ende sagt er:
„Gottes Hilfe habe ich erfahren bis zum heutigen Tage und stehe nun hier und bin Zeuge bei Groß und Klein und sage nichts als was Mose und die Propheten vorausgesagt haben: Christus müsse leiden und als erster auferstehen von den Toten und [ich muss – Ergänzung von mir] verkündigen das Licht seinem Volk und den Heiden.“ (Apg. 26,22f.).
Als er dies zu seiner Verteidigung sagte, sprach Prokurator Festus mit lauter Stimme: „Paule, du rasest [bist verrückt – griech. Máine]. Das große Wissen macht dich wahnsinnig!“ (Apg. 24). Ganz schön drastisch!
Paulus aber sprach: „Lieber Festus! Ich bin nicht von Sinnen, sondern rede wahre und vernünftige Worte“ (Apg. 25). Und in Apg. Vers 28: „Agrippa [der jüdische Vasallenkönig] aber sprach zu Paulus: Es fehlt nicht viel, dass du mich überredest und mich zu einem Christen machst. Paulus aber sprach: Ich wünschte vor Gott, dass über kurz oder lang nicht allein du, sondern alle, die mich heute hören, das würde, was ich bin, ausgenommen diese Fesseln.“
Aber den Weg zum Freispruch hatte sich Apostel selbst verbaut. Denn als ihm der Procurator Porcius Festus Jerusalem als Gerichtsort vorgeschlagen hatte, appellierte Paulus an das Gericht des Kaisers in Rom als civis Romanus, als römischer Bürger (Apg. 32). Dieser hatte das Appellationsrecht (vgl. Apg. 25,9ff). Damit war die letzte Reise in zweifachem Sinne für Paulus eröffnet.
Teil II
Der Evangelist Lukas verarbeitet Informationen aus erster, zweiter und dritter Hand. Er hat also nicht alles hat er selbst miterlebt. Das ist wichtig zu wissen! Das „wir“ können Mitarbeiter des Apostels wie Timotheos, Titos oder Silas (Silvanos) sein oder auch andere. Lukas war jedenfalls der am besten Informierte.
Die Überführung des Völkerapostels wird nun Wirklichkeit. Paulus kennt die Schifffahrt in seiner Zeit zur Genüge. Er schreibt selbst im großen Leidenskatalog: „Dreimal hatte ich Schiffbruch erlitten, einen Tag und eine Nacht trieb ich auf dem tiefen Meer“ (vgl. 2. Korinther 11). Wir dürfen hier an Odysseus denken. Doch wo das gewesen ist, sagt er nicht.
Die beiden letzten Kapitel der Apostelgeschichte des Evangelisten Lukas gehören zu den spannendsten Kapiteln. Paulus letzte Reise im zweifachen Sinne. Lukas konnte aus den Missionszentren Jerusalem, Antiochia und Ephesos Wissenswertes und Interessantes erfahren. Es kursierten ja eine Fülle von Mitteilungen, Gerüchten und Anklagen, Nachreden über den berühmt-berüchtigten Apostel Paulus. Lesen Sie bitte in Ihrer Bibel diese Kapitel neuerlich mit!
Der Prokurator Porcius Festus hatte also die „Überführung des Apostels“ nach Italien beschlossen. Wer wir alles waren, wird nicht gesagt. Jedenfalls alles Mitgefangene. Vielleicht gehörte außer Paulus‘ Mitarbeitern auch Aristarch aus Thessalonich zu diesen. Alle werden von einem römischen Hauptmann (centurio) namens Julius aus der kaiserlichen Cohorte (600 Mann) Augusta bewacht, der sich später in Rom als Philanthrop erweisen wird.
Ein Handelsschiff, vollgeladen, einer von tausenden Einmastseglern ohne Ruderer, die im 1. Jahrhundert nach Christus auf dem mare nostrum (unserem Mittelmeer) unterwegs gewesen sind. Am folgenden Tag legen sie in der alten phönizischen Handelsstadt Sidon an, die uns aus Matthäus 15,21ff. bekannt ist. Heute ist es die viertgrößte Stadt im Libanon. Dann geht es an Zypern vorbei, weil sie Windschatten im Gegenwind hatten. Doch die Winde sind im November bei den Inseln Zypern und Kreta höchst gefährlich.
In Myra, heute Denre, an der türkischen Südküste, wo der heilige Nikólaos herstammt, wechselten sie das Schiff. Ägypten ist die Kornkammer Roms gewesen. Die Kornladungen verlangten größere Einmastsegelschiffe. Ein Umschlagplatz dafür war Myra.
Der Wind war stark und so kamen sie mit Mühe an der Halbinsel von Knidos vorbei. Wo das sogenannte Salmòne, die nächste mögliche Station genau liegt, weiß man nicht, möglicherweise an der Nordostspitze Kretas.
Ungefähr zehn Kilometer südlich vom antiken Gortýs oder Gortýn liegt ein von Luther übersetzter Ort Guthafen (kalóus liménes), nahe der Stadt Lasáia, deren Existenz heute belegt ist. Aber von Guthafen kann keine Rede sein, denn es ist nur eine nach Osten hin schützende Bucht, die für unsern Kontext nicht unwichtig ist. Eines war für die antike Seefahrt klar: Vom 15. September an war eine Fahrt über das offene Meer riskant. In der Zeit vom 1. November bis 10. März war die Seefahrt eingestellt. Die Häfen befanden sich, außer für Depeschen usw., im Winterschlaf.
Aber auch im Sommer herrscht natürlich noch intensiver die nördliche Windrichtung, nordwestlich, doch mehr noch nordöstlich. Im Tyrrhenischen und Ionischen Meer kommt der Wind meist aus Nordwest. Im Sommer, aber vornehmlich im Winter haben die Winde aus Nordost, Passat-Winde (unser unangenehmstes türkisches Wort – Meltemi), oft eine derartige Kraft, dass vornehmlich natürlich im Norden Kretas wegen der hohen Wellen und des Drecks, der angeschwemmt wird, an Schwimmen nicht zu denken ist. So ist die ganze Ägäis, ob nördlich oder südlich, ein höchst gefährlicher Teil des mare nostrum, wie die Römer „ihr“ Meer nannten.
Es war eine unsichere Zeit; das wusste der in Seereisen sehr erfahrene Apostel sehr wohl. Paulus bringt eine Warnung zuvor, die durchaus als Prophetie zu verstehen Eine solche Fahrt ist eine Hybris (hýbris). Sie wird Schaden bringen nicht nur für das Schiff und seine Ladung, sondern vor allem für das Leben der Besatzung und der Mitfahrenden. Paulus erkannte in voraus, was geschehen wird. Aber er findet keinen Glauben. Weder beim römischen Transportoffizier noch beim Kapitän. Der Offizier steht unter Druck. Er muss die Gefangenen nach Rom bringen. Etwas überraschend heißt es hier, dass der „Hafen“ (kálí liménes) zum Überwintern nicht geeignet sei. Wenn sie auf Paulus gehört hätten, hätten sie dort überwintert. Jetzt nennt Lukas einen wenig westlich liegenden Ortsnamen: Phönix (phóinika). Er ist nur vom Meer aus zu erreichen. Ausgrabungsort; heute heißt er Lutró und ist in der kleinen Bucht ein schöner, kleiner Badeort.
Und jetzt kommt´s – die Winde auf Kreta. Das sind die gefährlichsten Winde aus dem Nordosten. Der Wind heißt efroklýdon, der heftige, breite, große Wellen (klýdon) macht – der bei den Türken meltémi heißt. Dieses Wort haben die Griechen von ihren Erzfeinden übernommen, das alle Touristen an der Nordküste, noch mehr an der Südküste, sehr fürchten. Bei Paulus brachte er im Süden die totale Seenot (heftig bedrängt) als Fallwind, der über die über zweitausend Meter hohen Berge heruntersaust. Paulus wurde in dieser Not der Mutmacher und Prophet schlechthin.
Jetzt werfen sie große Teile der Weizenladung, nicht alles, ins Meer. Am dritten Tag wird die ganze Takelage ins Meer geworfen. Ohne Sonne am Tage und ohne Sterne in der Nacht (total opalfarben hat es unser Kirchenkünstler Joachim Klos auf dem Apsisfenster der Pauluskirche in Heisingen dargestellt), schwindet bei der Besatzung und den Gefangenen jede Hoffnung dahin.
Doch Paulus, mit seinem sehr kräftigen Stimmorgan, ergreift jetzt das Wort. Er erinnert sie an seine Mahnungen, Kreta nicht zu verlassen. Seine Worte haben Autorität. Jetzt ermahnt er sie guten Mutes zu sein. Seine Ermahnungen haben guten Grund. Ein Engel Gottes hat ihn Traum gesagt: „Fürchte dich nicht.“ Der Gott Israels, nicht ein griechischer oder römischer Gott, will Paulus zum Kaiser nach Rom führen! „Daher werden wir auf einer Insel stranden!“
Gegen Mitternacht vermuten die Seeleute Land in der Nähe, nachdem sie aufgegeben haben sich vom Wind treiben lassen. Da taucht eine im Südwesten liegende Insel mit Namen Kláuda auf, heute Gafdós, die südlichste Spitze Europas. Sie retten mit Mühe das Beiboot und hiefen es auf Deck. Aber sie befürchten die Syrte, die gefährlichen Sandbänke Libyens, und lassen die Treibanker heraus, um die Fahrt zu verlangsamen.
Paulus ist kein Asket, sondern Realist. Er ermahnt sie alle, Nahrung aufzunehmen und sagt die noch heute gültige Hoffnung, dass niemandem ein Haar von seinem Kopf verloren gehen wird. Sie essen alle, Paulus geht, Brot brechend, voran. Vom Trinken ist nicht die Rede, muss aber vorausgesetzt werden. Jetzt erfahren wir auch , wie viele hungrige Seelen auf diesem großen Segelschiff, jetzt ohne Segel, an Bord sind: 276! Das gibt uns eine konkrete Vorstellung von der Größe. Unvernünftigerweise wirft man wieder Weizen ins Meer.
Wohin man getrieben wird, weiß man nicht. Alles ist verdeckt an dem grauen, opalfarbenen Himmel. Doch man entdeckt eine Bucht mit flachem Strand. Kann man hier auflaufen lassen?? Das noch vorhandene Bram-Vordersegel bringt das Schiff in Fahrt, das auf den Strand zuhält.
Jetzt wird es richtig dramatisch. Das Schiff, der Bug, rammt sich im Sand fest und „sitzt nun fest“. Das Heck zerbricht. Paulus‘ Warnung wird nun real. Der Untergang ist nah. Die Soldateska, die für den Transport verantwortlich ist, befürchtet die Flucht der Gefangenen. Sie beschließen sie zu töten. Der der Offizier hindert sie daran, denn er will Paulus retten und ihn nach Rom bringen. So befiehlt er: „Rette sich, wer kann!“
Alle schwimmen (?). An dieser Stelle daher ein kleiner Exkurs zum Thema Schwimmen in der Antike: Man glaubt es kaum. Platon gibt als Ziel der paidéia, der Bildung an: Lesen und Schwimmen lernen, was die Römer liebend gern übernommen haben. Ob der Apostel schwimmen konnte, wissen wir nicht. Auf jeden Fall hat er sich wie die anderen Schiffbrüchigen, wie früher schon auch Odysseus, an eine Schiffsplanke geklammert und konnte sich wie alle anderen retten. Der durch Aristoteles hochgelehrte Alexander der Große konnte übrigens nicht schwimmen!
Teil III
„Er predigte das Reich Gottes und lehrte von dem Herrn Jesus Christus mit allem Freimut [parrhesías – die berühmte griechische Redefreiheit] ungehindert“ (Apg. 28,31b).
So endet die Apostelgeschichte des Evangelisten Lukas mit einem kurzen, zentralen Satz der Hoffnung. Gottes eigener Plan war ja, Paulus nach Rom gelangen zu lassen. In seinem Schutz weiß sich der Apostel geborgen. Dagegen vermögen auch Schlangenbisse nichts. Das Schlangenwunder bringt ihm die Verehrung bei den Heiden ein. Das lässt Lukas in der freundlichen Haltung des Gouverneurs von Melita/Malta zum Ausdruck kommen.
Sonst hat Lukas für die römischen Behörden nichts übrig. Nüchtern und kurz fasst Lukas den Weg des Apostels stichwortartig zusammen: in Puteoli lässt er ihn mit einigen Christen zusammenkommen, auch Christen außerhalb von Rom begegnen ihm. In Rom wird er in leichter Haft gehalten. Lukas könnte hier Augenzeuge sein.
Wesentlich wichtig scheint dem Evangelisten die Auseinandersetzung des Paulus mit den Juden in der millionenstarken Hauptstadt des römischen Reiches zu sein. Er zeigt zudem auf, dass die Verheißung Jesu an seine Jünger: „Ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem, ganz Judäa und Samaria bis ans Ende der Erde [finis terrae]!“ (vgl. Apg. 1,8). „finis terrae“ war antikem Wissen zufolge Spanien. Das wusste der Apostel sicher.
Von der Appellation an das kaiserliche Gericht und von dem Prozess gegen Paulus lässt Lukas nichts verlauten, geschweige denn von seinem Tod. Der Zweck seines Berichts ist es, die Gemeinschaft der Kirche aus Juden und Heiden darzustellen. „So ist es euch kundgetan, dass den Heiden dies Heil Gottes gesandt ist und sie werden es hören“ (Apg. 28,28). So bleibt der Tod des Apostels Paulus Gottes Geheimnis.
Die Theologen möchten immer mehr wissen. Am 8. Oktober 2009 fand in der Orthodoxen Akademie Kreta die Uraufführung eines Oratoriums unter dem Titel „Der Apostel Paulus, die Winde auf Kreta und die Ökumene“ statt, verfasst von dem früheren, langjährigen Generaldirektor Dr. Aléxandros Papaderós, unter Mitwirkung von griechischen und deutschen Musikern. Dr. Papaderós unternimmt den interessanten Versuch, die Winde Kreta metaphorisch zu verstehen mit Blick auf die Winde, die die Ökumene umtosen.
Der von den Griechen hochgeschätzte Titus, der erste Bischof Kretas, schreibt in seinem Brief (Kapitel 2,13): „Freut euch alle in Hoffnung! Freut euch Brüder (inklusive Schwestern), wartend auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes Jesus Christus“ – das singt der griechische Chor, endend mit dem „Ehre sei dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist. Alleluja! Amen!“
Der deutsche Professor em. Dr. Jörg Theissen schreibt einen ganzen historischen Roman „Der Anwalt des Paulus“, erschienen 2018, und lässt ihn mit den Worten enden: „Ich bin nun alt. Der Tod wird mich bald in sein Schweigen hineinnehmen. Aber ich habe im Leben etwas erfahren, das so wertvoll ist, dass es durch nichts mehr in Frage gestellt werden kann. Der Tod ist für mich ein Schattenriss Gottes. In seinen Händen bin ich im Leben und im Tod.“ (Seite 299)
Ich erlaube mir, Jesu Verheißung aus seinen Abschiedsworten hinzuzufügen, die von Johannes Brahms in seinem Requiem so wunderbar in der Sopranarie vertont worden ist: „Und auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen“ (Johannes 16,22).
Eckhard Schendel