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Damit der Mensch nicht Opfer des Menschen wird

Könnte ich doch hören, was Gott der Herr redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen, damit sie nicht in Torheit geraten. (Psalm 85,9)

Wir sind erschüttert. Wir sind entsetzt. Wir sind betroffen. Die Terroranschläge in Paris machen uns sprachlos und fassungslos: 129 Tote zum jetzigen Stand und hunderte Verletzte. Sprachlos geworden über das, was ge-schehen ist, gedenken wir der Toten, ihren Familien und Angehörigen, wir gedenken der Verletzen und den vielen Hilfskräften, die bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit das ihnen Mögliche getan haben.

Es ist unfassbar. So viele Leben zerstört, ausgelöscht, mitten aus dem Leben gerissen. Wieviel Hass, wieviel Gewaltpotenzial muss in Menschen wachsen, damit sie so etwas tun können und auch ihr eigenes Leben zerstören, um andere zu töten?

Heute, am Volkstrauertag gedenken wir der Opfer von Krieg und Bürgerkrieg, von Völkermord und Massenmord. Wir gedenken der Opfer von Terror und Gewalt, der Opfer von Folter, Verfolgung und Unrecht. Millionen und Abermillionen Opfer, und müssen nun heute auch der Opfer der Terroranschläge in Paris gedenken. Und wir erkennen und begreifen: wir sind verletzbar und verwundbar. Wir erkennen und begreifen: mit den Anschlägen von Paris sind wir alle getroffen. Unsere Art zu leben, unsere Maßstäbe und Werte sind das Ziel des menschenverachtenden Terrors. Und das Furchtbare: kein Argument wird sie umstimmen können. Eine Gewaltspirale, die sich immer weiter und immer schneller dreht. Wo wird das enden? Wir sind betroffen: die Angst, um die eigene Sicherheit, die Sorge vor weiteren terroristischen Anschlägen und die Befürchtung, dass das Miteinander der verschiedenen Kulturen und Religionen in unserer Stadt, in unserem Land und in Europa Schaden nehmen könnte.

Wir können nur hoffen, dass bei den Entscheidungen, die nun in der Politik getroffen werden und auch getroffen werden müssen, nicht Rache oder Vergeltung der Motor sind. Das sagt sich leicht, wenn man nicht direkt oder ganz persönlich betroffen ist. Aber wohin Rache und Vergeltung führen haben wir in Afghanistan und Irak gesehen: Gewalt gebiert Gewalt und kein Ende. Sicherlich: wir können und dürfen der Gewalt nicht tatenlos zusehen und müssen dem Rad der Gewalt in die Speichen greifen. Doch dabei ist es wichtig, dass wir die Opfer im Blick haben. Denn wenn wir uns nicht mahnen lassen durch die Opfer, dann wird es immer nur die furchtbare Wiederholung des Schreckens geben. Ja, es ist wichtig, dass wir der Opfer gedenken, damit der Mensch nicht wieder und wieder Opfer des Menschen wird.

Und das Wichtigste: Vor allem in Krisenzeiten müssen wir uns vergewissern, auf welchem Grund wir stehen, welche Werte wir haben, um richtige oder zumindest annähernd richtige Entscheidungen zu treffen. So möchte ich auf einen Abschnitt aus dem 85. Psalm hinweisen:

Könnte ich doch hören, was Gott, der Herr, redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen, damit sie nicht in Torheit geraten. Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fürchten, dass in unserm Lande Ehre wohne; dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen; dass Treue auf der Erde wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue; dass uns auch der Herr Gutes tue und unser Land seine Frucht gebe; dass Gerechtigkeit vor ihm her gehe und seinen Schritten folge. (Psalm 85,9-14)

Güte und Treue, Gerechtigkeit und Frieden sind die Grundpfeiler auf denen wir von Gott her unser Leben gründen. Und auf diesen Werten werden wir unser Denken und Handeln letztlich aufbauen müssen, wenn wir und die Welt leben wollen. Solange wir die Ursachen für den Nährboden von Unrecht, Gewalt, und Flucht nicht bekämpfen, wird sich die Spirale der Gewalt weiter drehen. Denn ohne Gerechtigkeit wird es keinen Frieden geben, und ohne Frieden keine Gerechtigkeit. Beides gehört unbedingt zusammen und wird in dem wunderbaren Bild ausgedrückt, in dem sich Gerechtigkeit und Frieden küssen. Wir müssen gegen die Ursachen von Gewalt und Flucht angehen, und nicht immer wieder den politischen und wirtschaftlichen Interessen den Vorrang geben. Wenn der Mensch nicht weiter Opfer des Menschen sein soll, müssen alle Entscheidungen auf diese Grundlage getroffen werden.

Für uns heißt das bei aller Betroffenheit und bei allen Ängsten und Sorgen: Wir dürfen der aufgrund der Anschläge sicherlich nun verstärkt aufkommenden Hetze gegen die Flüchtlinge keinen Raum geben und keinen Millimeter weichen. Für unsere Werte, die die Terroristen zerstören wollen, müssen wir klar und eindeutig eintreten, und das heißt in Bezug auf die Flüchtlinge: wir müssen sie schützen vor rechter Gewalt und vor der Gewalt derer, vor denen sie geflohen sind. Wir lassen unser Handeln nicht von dem Hass und der Gewalt der Terroristen bestimmen. Wir leben unsere Freiheit, unsere Toleranz, wir treten ein für die Menschenrechte und achten die Würde eines jeden Menschen, denn Gott hat sich auf immer mit dem Menschen verbunden.

Damit der Mensch nicht Opfer des Menschen wird, ist Gott in Jesus Christus selbst Mensch geworden. So haben wir auch keinen Grund, mutlos zu werden, denn Gott ist mit uns noch lange nicht am Ende. Das ist unser Glaube und unsere Hoffnung: es steht noch etwas aus. Dass uns bis dahin die Kräfte nicht verlassen, dafür hat uns Gott mit seiner weitreichenden Hoffnung beschenkt. Und er kommt, er wird seine Hütte unter uns aufrichten! Bis dahin erzählen und leben wir diese Hoffnung, wenn auch in aller Vorläufigkeit. Darauf wartet die Welt. Noch bleibt fast alles zu tun.

Christoph Ecker