Dieser Beitrag wurde 3.606 mal aufgerufen

Auf den Flügeln der Morgenröte

Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten. (Psalm 139,9)

Ich erinnere mich noch daran, wie mein kleiner Sohn am Nordseestrand eine Feder fand, einer Möwe am Himmel hinterher sah und zu mir sagte: „Ich möchte auch fliegen können!“ Ja, Fliegen ist ein alter Traum der Menschheit. Wir können es als Menschen zwar immer noch nicht selbst, wir haben aber die Möglichkeit, in ein Flugzeug zu steigen und in ferne Länder zu fliegen. Diesen Traum haben wir uns wahr gemacht. Seit Beginn der Sommerferien hoben und heben unzählige Flieger vom Boden ab und bringen Sonnenhungrige und Erholungssuchende nach Mallorca, zu den Kanaren, nach Übersee oder an andere weit entfernte Orte.

Der Psalm 139 nimmt diesen Traum vom Fliegen auch auf, und er benutzt weitere Bilder, die unsere Sehnsüchte, aber auch dunkle Erfahrungen und Zweifel, denen wir in unserem Leben begegnen, ausdrücken. Sätze wie: „Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; ich liege oder gehe, so bist du um mich.“ Und wir lesen „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“ Aber eben auch: „Wohin soll ich gehen vor deinem Geist? Bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.“

Der Psalmbeter kennt also nicht nur das „abgehobene Schöne“, sondern spricht auch das Dunkle an, das wir manchmal erfahren. Aber er lässt dort Licht aufflackern: „Finsternis ist nicht finster bei dir.“

Unsere Fragen hindern uns oft am Fliegen. Es gibt Zeiten, in denen ich das nicht spüren kann: wenn ich krank bin, meine Kraft nachlässt und ich mich frage, wie viel davon wiederkommen wird oder wenn ich Abschied nehmen musste von einem Menschen, der mir lieb und vertraut war.

Gerade in solchen Zeiten ist es gut, wenn ich auf das vertrauen kann, was man nicht sieht. Das, was ganz anders ist als meine Erfahrungen im Leben. Dass ich mir sagen lasse, was mir gut tut:

Nähme ich Flügel der Morgenröte und
bliebe am äußersten Meer, so würde
auch dort deine Hand mich führen und
deine Rechte mich halten.

So soll es sein: dass bei allem, was war, es am Ende gut wird und leicht und schwebend, als flögen wir zu Gott in den Himmel. Ich hoffe aber, dass so eine Reise auf den Flügeln der Morgenröte uns allen neue Kraft gibt. Eine Ahnung davon, wie es bei Gott sein wird; ein Gefühl in uns von dem Frieden, den Gott für uns bereithält. Wir können uns der Liebe Gottes anvertrauen und uns von ihr tragen lassen, ob wir nun in diesen Sommerferien in einen Flieger steigen oder hier in Essen bleiben.

Thomas Nawrocik