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Die Macht der Bilder

Künstler mussten sterben, weil sie mit spitzer Feder Karikaturen zeichneten und veröffentlichten. Entsetzen und Ratlosigkeit machen sich breit. Dann aber auch Trauer und Solidarität für die Ermordeten. Sie sind gestorben für die Werte der Demokratie, die da sind Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit, Menschenrechte und auch Religionsfreiheit. Gezielt haben diese von Hass und Gewalt geprägten Terroristen sich Künstler des Zeichenstiftes ausgesucht. Warum? Weil sie mit ihren Karikaturen der Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Karikaturen sind Spottbilder und damit auch Nachdenkbilder. Wir kennen sie aus Tageszeitungen, Zeitschriften und den neuen Medien. Diese mit bissigem Spott gezeichneten Bilder öffnen den Blick für die Gemengelage einer Gesellschaft. Sie zeigen auf, wo es im Gesellschaftsgefüge knirscht. Über alles Mächtige und Autoritäre stellen Karikaturen ein großes Fragezeichen. Das trifft auf die Politik zu, auf die Religionen und auf die Gesellschaft als Ganzes. Bilder haben also Macht.

Bilder haben in unserem Kunstraum Notkirche in Frohnhausen seit vielen Jahren ein Heimrecht. Anfangs bin ich gefragt worden: Was hat Kunst mit der Kirche zu tun? Mit den Jahren hat sich ein offener und manchmal auch streitfreudiger Dialog zwischen beiden selbständigen Größen der Kunst und der Kirche ergeben. Künstlerinnen und Künstler haben den Raum der Notkirche mit ihren kreativen Werken wie Bildern, Installationen und Skulpturen entdeckt und gestalterisch inszeniert. Oft sind ganz neue Arbeiten für diesen Raum entstanden. Die ganze Bandbreite der Themen von Gott und der Welt, von Himmel, Erde und Hölle sind dort visuell und sinnbildlich zur Sprache gekommen.

Im Kunstraum gab es einmal eine Ausstellung, in der der Künstler Alfred Grimm, ein Schüler von Joseph Beuys, Kruzifixe so sehr entstellte und in einen neuen Rahmen setzte, das gläubige Besucher und Besucherinnen sich in ihrem religiösen Gefühl verletzt fühlten und von Blasphemie sprachen. Es waren Arbeiten, die den Gekreuzigten in der Gosse fanden, oder eine Arbeit, die ein Kruzifix durch eine Brotmaschine trieb. Und die kontroversen Debatten um diese Ausstellung machten das Thema „Kreuz“ wieder lebendig und aktuell. Das Kreuz wurde wieder mit Leben erfüllt. Es war nicht mehr nur ein Zeichen der christlichen Kirche, sondern bewegte den Einzelnen persönlich.

Zwischen Aschermittwoch und Ostern erinnern die christlichen Kirchen an das Leiden Jesu und das Leiden der Welt. In der Passionszeit zeigt der Kunstraum Notkirche eine besondere Ausstellung des Berliner Malers Albert Merz. Inspiriert wurde sein Bilderzyklus „Salome“ durch ein mittelalterliches Gemälde von Lucas Cranachs dem Älteren: „Salome mit dem Haupt Johannes des Täufers“. Dieses alte Bild hatte ihn entsetzt und erschüttert. Die kindliche Unschuld der Salome auf der einen Seite und andrerseits die Brutalität der Enthauptung des Johannes. Der Künstler reagierte mit Abscheu und Wut über die schreiende Ungerechtigkeit, der Johannes der Täufer zum Opfer fiel. Diese Darstellung in einem 500 Jahre alten Gemälde ist bis heute in seiner Wirkung aktueller denn je. Dafür sprechen die Enthauptungen unschuldiger Geiseln. Albert Merz hat diesen ergreifenden mythologischen Impuls in eine neue Werkserie mit dem Titel „Salome oder Anatomie eines Tanzes“, bestehend aus sieben Diptychen und einer einzelnen Bildtafel, versinnbildlicht. Er schreibt damit den Mythos der Salome fort und verleiht ihm so eine zeitgenössische und allgemeingültige Präsenz.

Werner Sonnenberg