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Zweite Meinung

So spricht der HERR Zebaoth: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch; sie verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des HERRN. (Jeremia 23,16)

Vor einiger Zeit ist mir ein – wie ich finde – wunderschöner Cartoon von Marunde ins Auge gefallen. Im Predigtforum bei facebook war er zu finden. Einer der Kollegen hatte ihn dort eingestellt. Zu sehen ist: Der Blick in eine gut gefüllte Kirche – aus dem Altarraum heraus mit Sicht auf die Kanzel, die Gottesdienstbesucher und die Orgel. Eine schöne Kirche übrigens. Gezeichnet mit viel Liebe zum Detail. Oben auf der Kanzel ein älterer evangelischer Pfarrer, er ist schwarz gewandet. Im Mittelgang der Kirche ein Ehepaar, das im Gehen begriffen ist. Der Pfarrer unterbricht seine Predigt, lehnt sich etwas vor auf der erhöhten Kanzel, blickt das Ehepaar an und fragt: Darf ich fragen, warum Sie den Gottesdienst mitten in der Predigt verlassen? Die Frau schaut hoch und antwortet: Wir gehen in eine andere Kirche. Wir möchten eine zweite Meinung einholen.

Ich habe gelacht, als ich das gelesen hatte, habe dieses Bild gleich an meinen netten katholischen Kollegen weitergeleitet, der mir ebenfalls prompt ein lachendes Gesicht zurückschickte und dazu vermerkte: recht so!

Nun gut. Wer im Krankenhaus arbeitet, der weiß: eine Zweitmeinung schadet nie. Aber ich gestehe auch, als ich etwas länger über den Cartoon nachdachte, da wurde das mit dem Lächeln zumindest etwas verhaltener. Wie ginge es denn mir, wenn mitten in der Predigt jemand ginge?

Hier bei uns, in der Klinikkapelle, passiert das ja sogar manchmal, und ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Es verunsichert immer – manchmal mehr, manchmal weniger. Denn die Frage: Warum gehen Sie mitten in der Predigt? – sie drängt sich mir dann auch immer auf.

Geht man:
weil es nicht gefällt,
weil man anderer Meinung ist,
weil man es nicht hören will,
weil man betroffen ist
oder schlicht noch woanders hin muss?

Wie gehen wir als Pfarrerinnen und Pfarrer, aber auch als Hörerinnen und Hörer um mit Gottes Wort, mit den Auslegungen seines Wortes? Hören wir und richten unser Leben danach aus? Hören wir nur mit einem Ohr und lassen es gleich zum anderen wieder heraus? Oder gehen wir nur zu denen, die wir mögen, die unsere Meinung teilen, wo uns nichts passieren, also nichts erschüttern kann? Lassen wir uns gern hinterfragen, kritisieren, zurechtweisen? Mich treiben diese Fragen um, seit ich diesen Cartoon und anschließend auch den Bibeltext für meine Predigt an diesem Sonntag gelesen habe. Das hat mich tatsächlich verunsichert.

Im Predigttext geht es um einen Propheten, mit dem ich nicht hätte tauschen wollen: Jeremia. In jungen Jahren von Gott berufen, dazu aufgefordert, nicht zu heiraten und keine Kinder zu bekommen, um das anzudrohende Unheil, das er verkünden musste, auch zeichenhaft zu unterstützen.

Jeremia hat gelitten. Er hat gelitten unter der Botschaft, die er verkündigen musste und dass er sie verkündigen musste und dass er das Unheil damit doch nicht aufhalten konnte. Er hat Gott geliebt, aber eben auch sein Volk.

Ein Mensch, der es wahrhaft schwer hatte in seinem Leben. Der sicher gern nur Gutes und Hoffnungsvolles verkündigt hätte und der stattdessen so oft drohen musste und natürlich deshalb gar nicht gern gehört wurde. Aus seiner Botschaft stammt der folgende Bibeltext – aufgeschrieben beim Propheten Jeremia – Kapitel 23, Verse 16-29:

So spricht der HERR Zebaoth: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch; sie verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des HERRN.
Sie sagen denen, die des HERRN Wort verachten: Es wird euch wohlgehen –, und allen, die im Starrsinn ihres Herzen wandeln, sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen.
Aber wer hat im Rat des HERRN gestanden, dass er sein Wort gesehen und gehört hätte? Wer hat sein Wort vernommen und gehört?
Siehe, es wird ein Wetter des HERRN kommen voll Grimm und ein schreckliches Ungewitter auf den Kopf der Gottlosen niedergehen.
Und des HERRN Zorn wird nicht ablassen, bis er tue und ausrichte, was er im Sinn hat; zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen.
Ich sandte die Propheten nicht und doch laufen sie; ich redete nicht zu ihnen und doch weissagen sie.
Denn wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren.
Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist?
Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe?, spricht der HERR.
Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt?, spricht der HERR.
Ich höre es wohl, was die Propheten reden, die Lüge weissagen in meinem Namen und sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt.
Wann wollen doch die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug weissagen
und wollen, dass mein Volk meinen Namen vergesse über ihren Träumen, die einer dem andern erzählt, so wie ihre Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal?
Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen?, spricht der HERR.
Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?

Soweit dieser Bibeltext. Wenn ich ihn gemeinsam mit meinem Cartoon betrachte, dann ist klar: Das Volk hat auf die Zweitmeinung gehört.

Da sind nicht einfach nur zwei aufgestanden, um einen anderen zu hören, da scheint das ganze Volk geschlossen den Laden verlassen zu haben, weil sie Jeremia nicht mehr lauschen wollten und seinen Worten vor allen Dingen nicht folgen wollten. Jeremia war ihnen zu anstrengend oder zu negativ, er hat zu viel gefordert, war zu unbequem. Und diese anderen Propheten, die hatten Visionen, die gefielen, deren Botschaft klang lieblicher, da musste man sich nicht anstrengen und schien trotzdem in Sicherheit.

So etwas kann passieren. Und wenn ich ehrlich bin, ist mir das selbst vielleicht noch nicht einmal so fern.

Ich höre auch lieber gute Nachrichten als schlechte,
ich lass mir auch nicht gern drohen,
ich mag Weltuntergangsvorhersagen auch nicht hören,
ich sehne mich auch nach Ruhe und Frieden.

Wieviel Schrecken hören meine Ohren? Da hätte ich auch gern schöne Visionen, die vielleicht sogar motivieren und Energien freisetzen. Aber…

Genau: Aber. Auf die Falschen zu hören kann tödlich sein, kann ins Unglück stürzen, kann Leben vernichten. Das Volk hat das bitterlich erfahren müssen. Nicht auf Jeremia zu hören, Gott nicht gehorsam zu sein, das bedeutete am Ende Krieg und Exil.

Doch wie erkennt man, wer Recht hat? Woher weiß ich, wem ich trauen kann? Was zeichnet das Wort Gottes vor anderen Worten aus?

In unserem Text heißt es, dass Gottes Wort wie Feuer ist, dass es Felsen zerschmeißt. Das klingt jedenfalls nicht nach weichgespülten Visionen, nach Träumen, die ein jeder haben kann, nach Reden, die jeder hören mag, nach rosaroter Watte, wo es kuschelig ist.

Das Wort Gottes ist gewaltig, es ist nicht umsonst zu haben, es fordert einen ganz und ist gebunden an Gottes Willen, an seine Gebote – und die kennen wir. Alles andere ist Götzendienst, ist nicht in Gottes Sinne.

Und deshalb glaube ich, dass die meisten von uns ein Gespür dafür haben, wie sich falsche und richtige Propheten unterscheiden, dass sie wissen, was gut und was schlecht ist. Das war zu Zeiten von Jeremia sicher nicht anders. Auch da wusste man, dass man sich das Leben leicht machte und sich zeitgleich von Gott entfernte.

Jesus hat als Unterscheidungskriterium genannt, dass man die Propheten an den Früchten erkennen kann. Gute Bäume können keine schlechten Früchte bringen.

Friederike Seeliger