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Wie lange dauert Ostern?

Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr. (Johannes 21,12)

Vor einer Woche haben wir Ostern gefeiert. Doch was aber bleibt von Ostern in unserem Alltag? Wie lange dauert Ostern? Wahrscheinlich hat uns der Alltag auch über Ostern gar nicht losgelassen in dieser Zeit der Corona-Pandemie, mit den Sorgen, Nöten und Ängsten und eben auch den Herausforderungen, die wir zu bewältigen haben? Ja, wo ist denn Ostern in der Welt?

Die Auferstehung hat ein kurzes Echo im Tal der Not, der Niederlagen, der Verzweiflung und des Todes, ein Echo, das uns glauben lässt, dass die Welt am Karfreitag einfach stehen geblieben ist. Ist Ostern eine Erfahrung, die sich überhaupt in unserem Leben niederschlagen kann?

Dieser Frage geht unser Bibeltext aus dem 21. Kapitel des Johannesevangeliums nach:

Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See von Tiberias. Er offenbarte sich aber so: Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sprechen zu ihm: Wir kommen mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.

Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten’s nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.

Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte: „Es ist der Herr“, da gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich in den See. Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen.

Als sie nun an Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf und Brot. Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! Simon Petrus stieg herauf und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht.

Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr. Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt’s ihnen, desgleichen auch den Fisch. Das ist nun das dritte Mal, dass sich Jesus den Jüngern offenbarte, nachdem er von den Toten auferstanden war.

Dieses Kapitel ist gegen Ende des ersten Jahrhunderts dem ursprünglichen Schluss dieses Evangeliums noch angefügt worden. Es ist ein zusätzliches Abschlusskapitel. Nach der Begegnung des Auferstandenen mit seinen Jüngern, nimmt jemand den Erzählfaden noch einmal auf und berichtet von einem weiteren Zusammentreffen des Auferstandenen mit seinen Jüngern. Benötigen die Jünger, benötigt die nachösterliche Gemeinde diese nochmalige Begegnung mit dem Auferstandenen, um ihren Glauben zu festigen? Benötigen sie die Verlängerung von Ostern in ihren Alltag hinein?

Nun sind sie also wieder zu Hause: Petrus und Jakobus, Thomas und Johannes und einige andere. Sie haben Jerusalem hinter sich gelassen. Sie sind dorthin zurückgekehrt, wo sie drei Jahre zuvor aufgebrochen waren. Hier, am See Genezareth hatte ja alles angefangen. Hier hatte sich ihr Leben durch die Begegnung mit Jesus von Grund auf verändert. Und nun der Rückweg, zurück in den Alltag. Wie lange dauert OSTERN? Wird etwas von den Begegnungen mit dem Auferstandenen bleiben?

In unserem Bibeltext ist von keiner Osterfreude die Rede. Ostern scheint für die Jünger keine Möglichkeit des Neuanfangs zu eröffnen. All ihre Erfahrungen mit Jesus, all ihre Hoffnungen, all das versackt in der Normalität des Alltags. Was ist denn dran an der Botschaft von Ostern, wenn so bald nach dem Erscheinen Jesu nichts bleibt, als fischen zu gehen, im Trüben, im Leeren.

Das Leben geht weiter – irgendwie. Die Jünger richten sich wieder in der Vergangenheit ein, so, als ob es Ostern nie gegeben hätte. Die Welt dreht sich weiter mit dem Corona-Virus, der Ungerechtigkeit und der Gewalt, mit der Not, mit dem Leid und dem Tod.

Ich will fischen gehen, sagt Petrus und keiner fragt: willst du etwa Menschen fangen? Jeder weiß: Petrus will wieder dort anfangen, wo er aufgehört hat. Und sie gehen mit ihm. Wir gehen mit ihm. Wir werfen die Netze aus. Umsonst. Nichts zu machen, vergebliche Mühe. Manchmal will uns nichts gelingen. Die Netze sind leer.

Und da steht einer am Morgen am Ufer und fragt: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie haben nichts, woher auch? Und ob wir nun an leibliche Nahrung denken oder an das rechte Wort, das tröstet und aufrichtet, dass mich selbst und den anderen zurecht rückt, ob wir an Gerechtigkeit denken oder Frieden – auch wir müssen sagen: Nein, wir haben nichts. Nein, wir können nicht helfen. Nein, wir sind machtlos. Wir stehen mit leeren Händen da. Das ist unsere Situation, das ist die Gemeinde in der Welt.

Versucht es noch einmal, werft das Netz zur rechten Seite des Bootes aus. Ein kleiner Anstoß, eine freundliche Ermunterung, weiter nichts. Gänzlich ausgelöscht ist die Erfahrung, die sie mit Jesus gemacht hatten. Sie sind noch einmal Anfänger im Glauben. Sie werfen die Netze zu unmöglicher Zeit aus und beginnen noch einmal den Reichtum der Möglichkeiten Gottes zu erahnen. Ein gefülltes Netz zu unmöglicher Zeit, ein überraschendes Erleben, weil Menschen bereit sind, von einer Gewohnheit abzugehen, den Sachzwängen nicht mehr zu folgen. Das Netz – heute einmal zur rechten Seite ausgeworfen. Warum eigentlich nicht? Und es ist übervoll.

Sind wir bereit, neue Erfahrungen zu machen? Sind wir bereit, neue Wege zu beschreiten und nicht mit den Mitteln von gestern die Probleme von heute zu lösen? Sind wir bereit uns ansprechen zu lassen, das Ungewöhnliche, das Unerhörte zu tun?

So, wie wir es in den vergangenen Wochen haben lernen müssen, unser Leben von Grund auf zu verändern, sich – trotz oder gerade wegen der Sorgen und Nöten – mit der Frage zu beschäftigen: was ist wirklich wichtig? Ist vielleicht die Tatsache, dass wir uns in diesen Tagen einander ganz neu in den Blick nehmen, einander helfen und unterstützen, nicht auch schon eine – zumindest kleine – Ostererfahrung? Wer oder was hindert uns eigentlich daran, unser festgefügtes Koordinatensystem zu verändern?

Wir  merken doch – es geht. Ja, es könnte wirklich sein, dass wir mitten im Alltag unsere Ostererfahrungen machen, auch mitten in Corona-Zeiten, Leid und Not, die Erfahrung machen, dass Ostern neue Lebensmöglichkeiten eröffnet. Es mag auch sein, dass wir einen anderen Menschen brauchen, der uns sagt, was das Erlebte bedeutet. Wie in unserer Erzählung: Und Johannes spricht zu Petrus: Es ist der Herr. Das Jesus nicht gleich zu erkennen war, eröffnet die Chance für uns, Jesus jederzeit im Anderen zu erkennen, dass er uns mit neuem, mit anderem Gesicht begegnet.

Als aber Petrus hörte, dass es der Herr war, warf er sich ins Wasser. Der eine wagt etwas auszusprechen, der andere setzt diese Erkenntnis in die Tat um. Brauchen wir uns nicht gegenseitig, um den Auferstandenen zu erkennen? Der eine springt über Bord, um seinem Herrn entgegen zu eilen, die anderen bleiben im Boot. Beide Glaubensweisen dürfen sein. In unserer Geschichte wird nichts bewertet. Auch da ist der Auferstandene barmherziger als die unterschiedlichen Frömmigkeitsrichtungen, als die vielen Kirchen, die sich voneinander abgrenzen. Der Auferstandene erwartet alle. Und am Schluss kommen sie doch alle gleichzeitig an. Niemand hat dem anderen ernsthaft etwas voraus. Nur Jesus ist ihnen vorausgegangen. Er ist durch den Tod gegangen und jetzt am anderen Ufer.

Wie lange dauert Ostern? Ostern wird noch lange dauern müssen, damit das Sehvermögen des Glaubens geschärft wird. Ostern wird wieder und wieder geschehen müssen, damit wir den Alltag deuten können, Begegnungen, Ermunterungen, Anstöße. Und vielleicht sagt einer zu mir: Es ist der Herr.

Dann am Ufer: ein brennendes Kohlefeuer und Fisch darauf und Brot. Daneben der Fremde, der zu den Männern sagt: Bringt von den Fischen, die ihr gefangen habt. Was ist das für ein Essen? Fisch und Brot zum Sattwerden oder ein heiliges Mahl? Dieses Essen, zwischen Boot und Netzen bereitet, damit wir Menschen endlich sehen, dass das Heilige mitten im Alltag, inmitten der Welt seinen Platz hat, mitten in der Corona-Pandemie, mitten in Not und Elend und Krieg. Darum ist es ja gerade Ostern geworden, weil der Alltag uns so oft die Hoffnung zum Leben raubt, und wir nur den Tod und nicht das Leben vor Augen haben.

Niemand aber unter den Jüngern wagte ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war. Er, mitten unter uns, mitten im Alltag, nirgendwo sonst. Doch nur von Ostern her finden wir Kraft, untereinander und im Miteinander neue Wege zu entdecken und zu beschreiten. Die Erfahrung aber bringt uns zu der Erkenntnis, dass mit Ostern nicht plötzlich alles anders wird. Unser Geschichte zeigt: es wird nicht auf einmal Ostern. Ostern ist ein lebenslang währender Prozess, in dem uns immer wieder neu die Augen geöffnet werden müssen für den Auferstandenen – und wir werden erfahren, dass das Leben gelingt.

Amen.

Christoph Ecker