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Was wirklich zählt ist unbezahlbar

Was wirklich zählt ist unbezahlbar. Ja das stimmt. Spontan kann ich der Aussage direkt zustimmen. Doch dann fange ich an zu träumen: Eine Weltreise, ein großer Urlaub voller Komfort, eine noch schönere und größere Wohnung, ein zweites, neues und größeres Auto, wo wir uns nicht mehr zwischen Kinderwagen und etwas mehr Gepäck entscheiden müssen. Oder kleinere Dinge, noch ein theologisches Buch oder eine neue Jacke zum Wandern kaufen.

Alle genannten Dinge sind mit Geld bezahlbar. Also stimmt die Ausgangsthese doch nicht? Manche der Träume könnten wir vielleicht direkt verwirklichen, für andere müssten wir erstmal sparen. Aber alle sind mit Geld bezahlbar.

Aber zählt das wirklich? Ich weiß nicht, ob ich diese Frage überhaupt beantworten kann. Immerhin geht es mir, wie den meisten von Ihnen: die wirklich notwendigen Dinge können wir uns leisten. Vielleicht würde unsere Reaktion auf „was wirklich zählt, ist unbezahlbar“ anders ausfallen, wenn wir jemanden fragen, der oder die nichts hat. Eine Person, die um ihr Überleben kämpfen muss und der ein paar Euro mehr im Monat schon helfen würden den Alltag zu finanzieren.

Was für Dinge sind denn unbezahlbar? Da fallen mir ein paar Dinge ein. Zeit zum Beispiel. Was bringt mir viel Reichtum, wenn ich gar keine Zeit habe, etwas auszugeben, das Leben zu genießen? Eine Weltreise zu machen. Wir alle stehen unter dem Eindruck der Corona-Pandemie – Gesundheit wird gerade von uns auf einmal ganz anders bewertet. Ich persönlich fand das früher bei meinen Großeltern immer witzig, wenn sie sagten „Hauptsache gesund“, mittlerweile denke ich anders darüber. Gesundheit ist etwas, das wir uns zum Teil kaufen können. Mit guter medizinischer Versorgung.

Gleichzeitig ist sie auch Geschenk, die wir im Endeffekt nicht bezahlen können. Das Corona-Virus zeigt uns, dass Gesundheit nicht nur etwas für alte Leute ist. In dieser Zeit ist das wüschen von Gesundheit wieder zu einem ernsthaften Wunsch, auch von jungen Menschen geworden. Liebe ist ein weiteres Beispiel für unbezahlbare Dinge: Wirkliche Liebe können wir nicht bezahlen. Dann wäre es eine Liebe mit Gegenleistung, aber das beschreibt ja gerade das Wesen von Liebe, dass sie erst einmal ohne Gegenleistung da ist.

Aber was ist es denn jetzt wirklich, was zählt? Zunächst einmal ein paar subjektive Gedanken von mir als junger Vater:

In der letzten Zeit hat mich die Geburt unserer Tochter Johanna sehr geprägt. So ein neuer Mensch lässt einen noch mal mehr entdecken, was wirklich unbezahlbar ist. Gerade zu Beginn durften und mussten wir das erleben. So ein menschliches Leben das ist zerbrechlich und ein Geschenk. Das wird einem klar, wenn man völlig hilflos danebensteht, wenn Ärzte und Schwestern um das Kind herumstehen, dass man es selbst aus ein paar Metern Abstand nicht mehr sehen kann.

Johanna hat meinen Horizont erweitert. Während ich diese Zeilen schreibe, schläft sie gerade ganz friedlich im Tragetuch bei mir auf dem Bauch und macht leise Schlafgeräusche. Daran merke ich, dass auch Schlaf zählt denn die letzten Nächte waren dafür umso anstrengender – Johanna macht gerade einen Entwicklungsschub durch. Aber wenn sie „morgens“, auch mal um 5 Uhr, aufwacht und mich anguckt und anlächelt, dann weiß ich was für mich wirklich zählt.

Ein Kind kostet aber auch. Wenn ich nur an die Baby-Erstausstattung denke, selbst gebraucht muss man für viele Dinge eine Menge Geld hinlegen. Ein Kind zu bekommen kostet viel Kraft, da kann ich als Mann auch nur begrenzt mitfühlen. Und gleichzeitig: Einem Kind beim Wachsen zuzuschauen, das bringt einen zum Staunen. Jeden Tag entdeckt sie neue Dinge, kann etwas mehr. Sie fängt an sich zu bewegen, zu drehen irgendwann zu robben, zu krabbeln und zu laufen. Sie beobachtet, fühlt und tastet. All das kann man nicht kaufen oder bezahlen. Ich staune, wie wir Menschen konstruiert sind.

Johanna zählt wirklich in meinem Leben. Für sie würde ich so gut wie alles tun. Aber ist das alles was zählt? Ein Kind kann kein Lebensglück garantieren. Ja eher ist es so: Wenn ich mein ganzes Selbstverständnis nur aus meinem Kind ziehe, dann überlaste ich es damit auch. Was ist also das, was wirklich zählt? Kann man es vielleicht doch kaufen? Woraus kann ich meinen Lebenssinn ziehen, was erfüllt mein Leben? Ist unser Leben abhängig, von dem was wir haben, was wir leisten, was wir „zugeteilt“ bekommen?

Für die meisten Menschen im 16. Jahrhundert war klar, das was zählt, ist von Gott gut angesehen zu werden. Und weit verbreitet war, dass man sich das verdienen konnte. Indem man z.B. Pilgerreisen nach Rom machte, Nonne oder Mönch wurde, sich selbst geißelte, Reliquien besuchte oder Geld bezahlte, um sogenannte Ablassbriefe zu kaufen. Von Gott anerkannt werden, indem man viel dafür tut.

Auch für die Reformatoren war die Anerkennung des Menschen durch Gott das Wichtigste im Leben. Die Liebe Gottes ist das, was im Leben wirklich zählt. Aber der Weg der Reformatoren dahin war ein völlig anderer. Ihre zentrale Aussage bestand darin: Das kannst du dir nicht verdienen. Das kriegst du geschenkt. Die Liebe Gottes ist unbezahlbar. Das Besondere: Seine Liebe geht unserer Liebe voraus – „Darin besteht die Liebe, nicht das wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden.“ (1. Johannes 4,10.). Er macht den Schritt auf uns zu. Das ist das, was wirklich zählt. Es trägt, egal was uns auch im Leben widerfährt.

Zurück zu mir: Es gibt einige Dinge in meinem Leben die wirklich zählen. Die unbezahlbar sind. Aber das was wirklich zählt ist die Liebe Gottes. Sie ist unbezahlbar, weil sie mir geschenkt wird. Sie trägt auch in den Situationen, in denen alles andere, was zählt ins Wanken gerät.

Simon Westphal