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Meine neuen Freunde

Das darf doch nicht sein! Frau, wehr dich gegen dich selbst! Sei klug! Nutze den Verstand! Du kennst doch die Argumente gegen diese gefährliche Lust auf das unverbindliche, selbstdarstellerische Getümmel im Netz.

Ja: dies hier ist eine intime, schamvolle Beichte.

Wie tief bin ich gesunken – geht es nach den Werten, die meine Lehrer mir einst mit auf den Weg gaben. Sie formten mich: Bildungsbürger, die auf eine ordentliche Sprache, ausgedrückt in kompletten deutschen Sätzen, achteten. Smileys und „Cool!“ & Co: Verfall des Abendlandes. Ein Graus. Politisch korrekte Leute, die sich nicht überwachen lassen wollten. Brave New World: ein Bekenntnisbuch! Fahrenheit: Schullektüre, der ebenfalls keiner entkam. Eine Kamera in der Straßenbahn: der Anfang des Überwachungsstaates. Dafür geht man auf die Straße, demonstriert für die Bürgerrechte, das ist Staatsbürgerpflicht.

Meine Professoren ließen mich erkennen, dass genau dies auch der Christen Gesinnung ist. Der Gott, der das Sklavenvolk befreit, der will keine abgestumpften, nur an der eigenen oberflächlichen Lust orientierten Leute um sich haben! Die Königsherrschaft Jesu Christi folgert zwingend, dass man sich politisch engagiert – gegen die, die uns einlullen, vermarkten, berieseln wollen. Naiver Konsum – ein Teufelswerk. Die Geißel der sozialen Marktwirtschaft. Dagegen predigt man an auf den Kanzeln. Verlangt bewussten solidarischen Konsum – das ist Weltbürgerpflicht! Ich ließ mich reformiert ordinieren.

Und jetzt – sitze ich an meinem Computer, klicke auf „Facebook“ und lese belangloses Zeugs, auf bunten Bildchen hübsch aufgerüscht. Dazwischen, immer wieder, dringt sie in mein Unterbewusstes: Werbung, Werbung, Werbung, für allerhand unnützes Zeug. Und ich – genieße es! Genieße die Auszeit vom Alles-immer-richtig-machen. Und schreibe selbst schlichte Halbsätze als Kommentar zu den schlichten Mitteilungen meiner vielen Freunde in aller Welt. Wahlweise geht’s auch durch noch mit geringerem Einsatz: „Gefällt mir/nicht“ klicken. Meinungsbildung muss ja nicht immer differenziert sein, oder?

Ich lebe meine kosmopolitische Seite aus – vom Schreibtisch zuhause. Die vielen Menschen aus China, Bosnien, Türkei und überall her aus der ganzen Welt – alle sind meine Freunde. Ich komme weit rum in der Welt – bin gar nicht der Stubenhocker, als den man mich verdächtigt. Die Freunde meiner Freunde, die Kommilitonen meiner Töchter – sie ermöglichen mir das grandiose Gefühl, dazuzugehören zur weltweiten Gemeinschaft derer, denen alles offen steht.

Höhenflüge der Seele – für paar Momente.
Seelenbalsam für eine wie mich, die Flugangst hat.

Ich glaube, Gott lächelt über mich, wenn er mich beim Facebooken ertappt. Liebt mich in meiner ganzen oberflächlichen Tiefgründigkeit! Smiley!

Wir treffen uns auf Facebook! Zum Beispiel hier:
www.facebook.com/evangelische.kirchengemeinde.dfg

Anke Augustin