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Gott wohnt unter uns

Gott spricht: Ich will unter ihnen wohnen und will ihr Gott sein und ihr sollt mein Volk sein. (Hesekiel 37,27)

Dieser Spruch stammt aus einer sehr seltsamen, fast schon gruseligen Situation. Gott stellt Hesekiel, der zu dieser Zeit in der Verbannung in Babylon lebte, in einer Vision mitten auf ein großes Feld voller Skelette und Knochen. Wo er hinschaut, sieht er überall nur Totengebeine. Keine Ahnung, wie es ihm dabei zumute war. Angenehm empfand er es bestimmt nicht. Das sah wahrscheinlich wie auf einem Schlachtfeld aus.

Diese Totengebeine standen für das Volk Israel. Nach der Zerstörung des Nordreiches und der Verbannung des Südreiches waren zehn der zwölf Stämme so gut wie komplett ausgelöscht und die letzten beiden Stämme in Gefangenschaft im babylonischen Großreich. Es war eine absolute Katastrophe für Israel. Jegliche Hoffnung war zerstört.

Sie verstanden die Welt nicht mehr. Vor allem – sie verstanden Gott nicht mehr. Wie konnte er zulassen, dass das Volk aus seinem Land vertrieben wurde? Und die existentielle Frage: Wo ist Gott, wohnt er noch bei uns? Und in diese Situation hinein zeigt Gott Hesekiel dieses Feld voller Knochen und Skelette. „Schau, Hesekiel, das ist das ganze Haus Israel. Die, die jetzt sagen: Unsere Gebeine sind verdorrt, und unsere Hoffnung ist verloren, und es ist aus mit uns“.

Was für eine Ernüchterung! Auf diesem Feld war die Hoffnung Israels begraben. Doch Gott fordert Hesekiel heraus, zu diesen Totengebeinen zu sprechen, dass sie wieder lebendig werden sollen. Er soll weissagen, dass Gott seinen Odem diesen Toten geben wird und sie zu neuem Leben erweckt werden sollen. Dass Gott die Gräber auftun wird und sein Volk herausholen und wieder zurück ins Land Israel bringen wird. Sie sollen erkennen, dass Gott wirklich „der Jahwe“ ist, der „Gott-für-Euch“.

Was für eine Aufforderung: solch eine Verheißung über dem Totenfeld – über Israel auszusprechen! Nach so viel Elend endlich wieder ein Funken der Hoffnung. Gott hat das Volk nicht vergessen, er ist immer noch der „Ich-bin-für-Euch“-Gott. Der absolut treue Gott, auf den immer Verlass ist. Er will bei uns wohnen. Gottes Platz unter uns ist da, wo wir, wie Hesekiel, den Verheißungen Gottes voll vertrauen – mehr als uns selbst! Da, wo wir uns auf das scheinbar Unmögliche einlassen und dabei die Leben schaffenden Möglichkeiten Gottes erleben. Da, wo wir für andere mit hoffen und so den Ohnmächtigen Mut machen, dass sie wieder aufstehen können. Da, wo wir, wenn wir selbst am Boden liegen, uns durch Gottes Kraft wieder aufrichten lassen. Gott wohnt unter uns. Amen.

Axel Rademacher