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Glück heißt in der Bibel Erlösung | Über die Kirche und das Glück #1

Neulich im Café: Am Nebentisch saß eine junge Mutter mit ihrer 13 Monate alten Amelie. Amelie hatte ein Bilderbuch vor sich, in dem große Früchte abgebildet waren. Und Amelie hatte einen kleinen Löffel in der Hand. Mit dem Löffel berührte sie die Früchte und fütterte dann ihre Mutter damit. Ein wunderbarer Anblick. Die beiden waren offenbar glücklich. Was da vor sich ging, war praktisch gesehen unnütz. Aber: Es war Beziehung stiftend und die Beziehung prägend. Beide waren bei sich und zugleich beieinander. Ihr Handeln war nicht nützlich, aber freundlich, liebevoll und erfüllend.

Lässt sich anhand dieses Beispiel etwas Allgemeines über „Glück“ sagen? Vielleicht dies: Glück ist situativ. Es gibt kein Setting, das Glück garantiert. Was Mutter und Tochter erleben, könnte auch an einem anderen Ort stattfinden, und die Handlung könnte auch völlig anders gedeutet und mit einem „Nun lass mal“ oder „Jetzt nicht!“ belegt werden. Zum Glück gehört offenbar die Öffnung fürs Glück. Und vielleicht ist Glück vorwiegend mit Glück öffnenden Handlungen verbunden.

Volksmund-Glück und Glück im Alltag

Man wünscht sich Glück, man kann sich auf sein Glück verlassen, man hat Glück im Unglück, es gibt den Glücksfall und die Glücksgüter, jemand ist ein Glückskind, ein Glückspilz oder ein Glücksritter. Dem Glücklichen schlägt keine Stunde, aber auch Glück und Glas, wie leicht bricht das. Glück war und ist offenbar ein wichtiges Thema für die Psychologie einer Gesellschaft. In unserer mentalen Gegenwart sagt uns die Werbung ununterbrochen, das Kaufen, Verzehren, Verbrauchen und Konsumieren glücklich machen. Die Basis für diese Verheißungen ist die sicher richtige Unterstellung, dass wir im Alltag nicht allzu viele Gründe haben, glücklich zu sein, und dass das durch eine von außen kommende Gratifikation kompensiert werden kann.

Märchen-Glück

Mit dieser Unterstellung arbeiten auch die Märchen. Aber anders als die Werbung erzählen sie von Bewährung und Glück eines Helden. Sie stellen uns grundsätzlich an ihrem Ende glückliche Menschen vor. Hans im Glück hat einen Goldschatz für seine Arbeit bekommen und hat am Schluss nichts als sich selbst und die Erleichterung, alle Lasten abgeworfen zu haben. Und Prinz und Aschenputtel reiten am Schluss des Films „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ glücklich über die weite Schneefläche einer offenen Zukunft entgegen. Dies ist Glück nach überwundenen Schwierigkeiten. Märchenhelden, oft sind es Märchenheldinnen, müssen selbst ihren Weg finden. „Märchenhelden müssen zuweilen auch das Gegenteil von dem tun, was man ihnen sagt, sonst wären Dornröschen, Schneewittchen oder die Königstochter im Froschkönig-Märchen schwerlich zu ihrem Glück gelangt“ (Rölleke: Nachwort, S. 992f.)

Die Sehnsucht nach Glück

Die Volksweisheit zum Glück und die Märchen gäbe es nicht, wenn wir Menschen nicht Sehnsucht nach Glück hätten. Die Werbung weiß das. Unser Alltag ist geprägt von Gleichförmigkeit, oft auch davon, dass unsere Wünsche um ein besseres Leben an Grenzen stoßen. Umso deutlicher sind uns Erlebnisse, die sich aus dieser Erlebnis-Gleichförmigkeit herausheben. Glück ist selten. Wann „haben“ wir Glück? Ich denke, Glück ist ein Anhängsel, und es hängt von der menschlichen Disposition ab, es zuzulassen. Ein Anhängsel, scheint mir, ist es im Zusammenhang mit etwas, das wir gut erledigt haben, mit einer gelungenen Handlung, mit einem Opfer, mit einer Begegnung, mit einem Genuss. Und ich muss zulassen, dass mich dieses Gefühl ausfüllt. Glück übermannt den gesamten Menschen, die Psyche und den Körper, und löst für Momente alles Schwere auf. Das ist offenbar das „Glück der inneren Befriedigung“, das kommt auch zum Ausdruck in der Rede vom höchsten, zarten oder stillen Glück oder vom Glück der Liebe (Brockhaus, Deutsches Wörterbuch, S.1361).

Kirche und Glück

„Glück“ heißt in der Bibel „Erlösung“. Die Bibel ist randvoll mit Erlösungsgeschichten. Die Urgeschichte erzählt von Noah und dem Regenbogen mit der Verheißung, dass die Schöpfungsordnung weiter besteht. Und um die Schöpfungsordnung geht es immer wieder: Israel wird an seinen angestammten Platz geführt, und „Errettung“ ist das, was die Beziehung des Einzelnen, des Gläubigen, zu Gott ausmacht: „Er errettete mich von meinen starken Feinden, von meinen Hassern, die mir zu mächtig waren, die mich überwältigten zur Zeit meines Unglücks; und der Herr ward meine Zuversicht“ (Psalm 18, Verse 18 und 19). In anderen Worten erzählt gerade dies auch die Weihnachtsgeschichte: „Denn euch ist heute der Heiland geboren.“
Genau wie die Märchen erzählt die Bibel Geschichten. „Geschichten geben Auskunft über den Anfang und das Ende. Die Bibel, die Ursprungsmythen aller Völker […], sie alle tun das. Und weil die Grundbedingungen menschlichen Lebens über Zeit und Raum so unterschiedlich gar nicht sind, beschreiben und prägen große Narrative [Erzählungen] das menschliche Denken“ (Siefer: Wer erzählt, der überlebt). Die Märchen tun das mit Bewährungsgeschichten, die Bibel erzählt uns Erlösungsgeschichten.
Wie hängen nun die Geschichten der Bibel mit unserer Sehnsucht nach Glück zusammen? Ich kann nur so viel sagen: Wenn ich im Gottesdienst bin und von Gottes Liebe zu uns Menschen höre und singe, bin ich (manchmal sehr) glücklich. Das Einverständnis derer, die da zusammen sind, dass wir eine Gemeinschaft bilden, die uns tief verbindet, erinnert ein wenig an die Geschichte von Amelie und ihrer Mutter.

Literaturangaben

Brockhaus, Deutsches Wörterbuch, Band II, Mannheim 1995.
Rölleke, Heinz: Nachwort; in: Brüder Grimm: Kinder- und Hausmärchen, Stuttgart (Reclam) 1997.
Siefer, Werner: Wer erzählt, der überlebt. In: DIE ZEIT Nr. 52 vom 23. Dezember 2015, Wissen, S.43.

Hans Erlinger