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Die große Hoffnung

Am vergangenen Sonntag, dem 1. Advent, endete mein Berufsleben. Für mich beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Ausgang und Eingang, Anfang und Ende, Ewigkeitssonntag und Advent: Das ist mein Thema seit Wochen schon. In unserem Kirchenjahr feiern wir, dass die Geschichte Gottes mit seiner Schöpfung und mit seinen Menschen, auch mit uns, ein Ziel hat. Also nicht Wiederkehr des immer Gleichen, kein Kreislauf, sondern eine Geschichte mit einem guten Ausgang.

Die Bibel findet dafür großartige Hoffnungsbilder: vom „himmlischen Jerusalem“ zum Beispiel, der Stadt Gottes, frei und zugänglich für alle; Bilder des Friedens zwischen den Völkern; Bilder von der Fülle des Lebens für alle Menschen, von einer Ruhe auch für die Schöpfung; Gott mitten unter den Menschen, und er wischt ab alle Tränen denn Leid und Tod sind nicht mehr. Das Alte ist vergangen. Alles ist neu geworden. Das ist der weite Horizont unserer Hoffnung, den uns der Ewigkeitssonntag eröffnet.

„Aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes“ hieß es zum Beispiel in der Losung für den 24. November, dem Tag, an dem ich diese, meine letzte Andacht für die Mitarbeitenden unseres Kirchenkreises gehalten habe. Die ganze Welt durchwirkt von Gottes Liebe. Der Erdkreis erfüllt von seiner Gerechtigkeit. Frieden für alle Völker und für die Schöpfung.

Davon sind wir weit entfernt. Wir brauchen nur die Zeitungen aufschlagen. Soviel Leid, Gewalt, Zerstörung, Elend und Einsamkeit! Und dennoch glauben wir Christ*innen: Diese Hoffnung wird sich erfüllen, dieses Ziel kommt, Gott wird eine heilvolle Zukunft für uns und alle Welt öffnen. Mehr noch, Gott hat damit schon begonnen. Ein Licht geht auf im Dunkeln. Die erste Kerze, sie brennt jetzt schon und will uns zeigen: Gott ist im Kommen, menschlich, mitmenschlich nah, erfahrbar in seiner Zuwendung. Die große Verwandlung hat bereits angefangen, seit Jesus da war und seitdem Menschen bis heute in seine Fußspuren treten.

Hier und da gelingt friedvolles Miteinander heute schon. Hier und da geht es jetzt schon gerechter, menschlicher, liebevoller, barmherziger zu. Hier und da gelingt Versöhnung, wächst das Gute und die Güte auch, zählt Wahrheit mehr als Lüge… Gott macht einen neuen Anfang mit uns und will uns dafür gewinnen. Das ist Advent: Gott entgegengehen, seinem Heil den Weg bereiten.

Ende und Anfang: Das Ende meiner Berufstätigkeit vor Augen, denke ich seit einigen Wochen über den Ertrag meiner Arbeit in der Essener Kirche nach. Was habe ich eigentlich erreicht? Was habe ich bewirkt in all den Jahren – gemessen an den Idealen, mit denen ich 1982 als Vikar in Werden angetreten bin?

Damals wollte ich das Reich Gottes zumindest hier bei uns in Essen verwirklichen. Es waren die Achtziger Jahre: „Frieden schaffen ohne Waffen“, „Schöpfung bewahren“, „Kauft keine Früchte der Apartheit“, Menschen für ein weltweites „Konzil des Friedens“ gewinnen. Christus hat keine anderen Hände als unsere Hände, um seine Arbeit heute zu tun. Das waren meine, unsere Parolen seinerzeit. Und ich war lange Zeit davon überzeugt, dass wir das hinkriegen: Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung.

Gemessen am damaligen Enthusiasmus, muss ich heute einräumen: Hat nicht wirklich geklappt. Und auch unsre Kirche ist nicht gewachsen in all den Jahren. Im Gegenteil; Meine Gemeinde Holsterhausen hatte damals doppelt so viele Gemeindemitglieder wie heute die – mittlerweile sogar fusionierte – Erlöserkirchengemeinde Holsterhausen.

Ist das eine Geschichte des Niedergangs? Und habe ich dazu sogar beigetragen? Oder ist es eine Geschichte der Transformation, die, wie jede Veränderung, mit Schmerzen und Trauer einhergeht? Birgt die Transformation unsrer Kirche möglicherweise auch Chancen – Besinnung auf unseren Auftrag, Konzentration, Profilierung?

Im Lehrtext für den 24. November hörte ich Jesus fragen: Zündet man denn ein Licht an, um es unter den Scheffel oder unter die Bank zu setzen? Und nicht, um es auf den Leuchter zu setzen? Das sind natürlich rhetorische Fragen: Selbstverständlich ist es einfach nur dumm, ein Licht unter einen Messbecher zu stellen. Da geht es schnell aus. Und unter einer Bank kann es seine Leuchtkraft auch nicht entfalten. Das macht also keinen Sinn. Einzig sinnvoll ist es, das Licht auf einen Leuchter zu setzen. Nur so kommt es richtig zur Geltung.

Mich bringt die Frage Jesu ins Grübeln: Bin ich mit dem Licht, das Gott in mir angezündet hat, sinnvoll umgegangen? Habe ich meine Gaben und Begabungen ausreichend genutzt, um Gott zu dienen? Oder habe ich vielleicht doch „nicht mutig genug bekannt, nicht treu genug gebetet, nicht fröhlich genug geglaubt und nicht brennend genug geliebt“, wie es so trefflich im sogenannten Stuttgarter Schuldbekenntnis der Evangelischen Kirche in Deutschland, nach dem Ende des großen Mordens im Zweiten Weltkriegs, hieß? Als hätte ich die ganze Welt allein auf meinen Schultern… Als wäre ich allein für unsere Kirche verantwortlich!

Wie vermessen ist es, so etwas anzunehmen – und wie übermütig ist es, sich selber so wichtig zu nehmen! Das ist doch Hybris! Nach einigem Grübeln bin ich deshalb zu dem Ergebnis gekommen: So zu denken ist nicht wirklich evangelisch. Evangelisch ist es einzuräumen: Auch in einem langen Berufsleben als Pfarrer bleibt vieles unvollendet und bruchstückhaft. Ich habe Fehler gemacht, habe mich immer wieder geirrt, habe Menschen enttäuscht, wohlmöglich sogar verletzt. Und es gab Ziele, die ich nicht erreicht habe.

Doch wie wir alle bin ich darauf angewiesen und hoffe ich darauf, dass Gott aus den Bruchstücken meines Lebens und meiner Arbeit etwas Sinnvolles machen kann. Dass etwas aufgeht, Früchte trägt, weiter wirkt. Aber das liegt nicht in meiner Hand. Ausgang und Eingang, Anfang und Ende liegen bei dir Gott: Füll Du uns die Hände. Wie wir alle hoffe ich darauf, dass Gott mich auch mit meiner Unzulänglichkeit und mit meinem kleinen Mut annimmt. Dass er oder sie mir die Hände füllt, wo ich mit leeren Händen dastehe.

Je älter ich werde, umso bescheidener und demütiger werde ich im Hinblick auf meine eigenen Kräfte und Möglichkeiten. Und umso dankbarer bin ich dafür, dass ich nicht allein unterwegs war und bin. Dass Christus immer noch Menschen findet, die seine Sache voranbringen. Dass Gott noch immer Menschen begeistert für sein großes Projekt der Erneuerung und Heilung. Dass sich Menschen in die Kirche einbringen mit ihrer Kompetenz, ihren Begabungen, ihren Ideen und ihrer Lebensfreude. Dafür bin ich von Herzen dankbar.

In meiner Gemeinde, in der Schule und auch hier im Kirchenkreis habe im Laufe der Jahre mit vielen wunderbaren Menschen zusammenarbeiten dürfen. Allesamt Leute, die ihre Licht nicht unter den Scheffel und unter eine Bank stellen, sondern mit viel Engagement, persönlichem Einsatz in dieser Kirche arbeiten – haupt- und ehrenamtlich.

Heute möchte ich mich vor allem bei Ihnen, bei euch bedanken, mit denen ich zum Teil seit Jahren zusammenarbeiten durfte. Ohne das Zusammenwirken aller hier im Haus der Kirche würde kein einziges Licht auf dem Leuchter stehen – weder in den Gemeinden des Kirchenkreises noch in unseren Gemeindeübergreifenden Diensten.

So waren meine besten Lehrer*innen-Fortbildungen die, die ich mit Kolleg*innen aus dem Jugendreferat oder aus der Aktion Menschenstadt oder aus dem Diakoniewerk oder dem Konvent der Krankenhausseelsorger*innen gemeinsam geplant und durchgeführt habe. Keine einzige Fortbildung hätte stattgefunden ohne die sorgfältige Organisation meiner Mitarbeiterin im Schulreferat und dem Sitzungsmanagement. Ohne die Kollegen in der EDV wäre ich als Leiter in fast jedem Seminar untergegangen. Mit Hilfe unseres Pressereferats wurden Menschen auf unsere Themen und Angebote aufmerksam. Und mit Hilfe der Kolleg*innen in der Kantine und im Church konnten wir uns jedes Mal als gute Gastgeber empfehlen. Im Hintergrund hat die Finanzabteilung dafür gesorgt, dass alles korrekt abgerechnet wurde.

Nur das Zusammenwirken der Kräfte und Dienste und Abteilungen lässt uns strahlen. Und zählt jeder und jeder von Euch! Nur gemeinsam können wir unser Licht weithin sichtbar zur Geltung bringen. Es hat keinen Tag gegeben, an dem ich nicht gerne unser Haus der Kirche betreten habe. Ich war und bin sehr dankbar dafür, dass ich mit Ihnen/ Euch zusammenarbeiten konnte.

Am 1. Advent hat für mich ein neuer Lebensabschnitt begonnen. Ich hoffe darauf, dass Gott mir auch in den kommenden Jahren die Hände füllt und bin gespannt auf das, was da noch kommt. Ihnen und euch wünsche ich, dass ihr euer Licht weiterhin im Kirchenkreis, in dieser Stadt leuchten lasst – gemeinsam. Wir haben den Mitmenschen in Essen eine große Hoffnung anzubieten. Und wir können Mitmenschen begeistern für den Weg des Friedens, auf den Gott uns alle im Advent ruft. Amen.

Dietmar Klinke

Ein Gedanke zu „Die große Hoffnung

  1. Lieber Dietmar, danke für diese warmen und so wahren Worte. Es war schön mit Dir in einem Haus zu arbeiten – nach so vielen Jahren, die wir uns vorher schon kannten.
    Bleib behütet,
    Deine
    Katja Wäller

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