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Dein Wille geschehe

Nicht mein, sondern dein Wille geschehe! (Lukas 22,42)

Im Gegensatz zur Adventszeit ist die Passionszeit weit weniger bekannt und vor allem wesentlich weniger beliebt. Obwohl beide Zeiten durch violette Antependien in unseren Kirchen gekennzeichnet werden und uns damit zur Umkehr zu Gott mahnen, haben sie doch ein ganz anderes Gepräge: Lichterglanz, Duft und Geschenke begleiten unsere Vorfreude auf Christi Geburt im Dezember, dagegen erinnern wir uns in den knapp sieben Wochen vor Ostern an die Leidenszeit Jesu, an Verrat, Schuld und gewaltsamen Tod.

Was zunächst nur abschreckend und wenig erbaulich wirkt, entfaltet jedoch eine tiefe Wirkung, wenn wir uns darauf einlassen und diese Geschehnisse zu verstehen versuchen. Vermutlich kennen viele von uns das Gefühl von tiefer Verlassenheit und Enttäuschung, wenn wir von jemandem im Stich gelassen werden, gerade wenn wir ihn besonders brauchen.

Vielleicht haben auch wir manches Mal große Angst davor, was uns die Zukunft bringt. Bei bestimmten Diagnosen fürchten wir uns schon lange im Vorhinein vor Schmerzen und Leiden. Nun gibt es verschiedene Wege, mit solchen Erfahrungen und Gefühlen umzugehen. Wir können versuchen, sie zu ignorieren oder zu überspielen, wir können zu fliehen versuchen oder zum Gegenangriff übergehen.

Immer wieder erstaunlich finde ich, wie Jesus mit all diesen Leiderfahrungen umgegangen ist. Er wusste genau, was auf ihn zukommt, und sprach auch mit seinen Freunden offen darüber. Auch er hatte große Angst vor dem Kreuzestod und hätte sich sehnlichst gewünscht, diesem entgehen zu können. Aber er floh nicht, sondern tat das einzig Richtige: Er wandte sich mit all seinen Fragen, Bitten und Wünschen an Gott. Ihm vertraute er sich an, zeigte ihm seine innersten Gefühle und Gedanken. Dabei empfing er die Kraft, um sagen zu können: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“ (Lukas 22,42)

Jesus fügte sich damit in den Willen Gottes. Er konnte das, weil er seinen Lebensgrund im doppelten Sinne kannte: Er empfand sein Leben als Geschenk Gottes und sah sein Lebensziel darin, Gott und uns Menschen zu dienen. Wie Gott, so liebte auch Jesus uns trotz unserer immer wiederkehrenden und unverzeihlichen Fehler, trotz unseres ichbezogenen Denkens. Um uns zu retten, nahm er schuldlos dieses Leiden auf sich. Und nur weil Jesus Gott voll und ganz vertraute, konnte er sagen „Dein Wille geschehe!“. Denn auch wenn die Realität für ihn schrecklich aussah, glaubte er fest daran, dass Gott es letztlich gut mit ihm meint und ihn nicht dem Verderben überlassen würde.

Und dieses Vertrauen wurde nicht enttäuscht: Gott erweckte Christus zu neuem Leben und ließ ihn damit über all seine Widersacher triumphieren. Dies tat er nicht nur um Christi willen, sondern um uns zu zeigen, dass er auch uns aus dem Tode auferwecken wird, wenn wir ihm Vertrauen schenken.

Ich denke, es lohnt sich jedes Jahr aufs Neue, nachzubuchstabieren, was Jesus da für uns getan hat. Jesu Verhalten zu folgen und uns an Gott zu wenden, befreit uns davon, uns verstellen zu müssen. Jesu selbstlose Hingabe ermutigt dazu, unser eigenes Verhalten zu überdenken. Und dass Gott uns trotz unserer Schuld neues Leben schenkt, eröffnet uns eine neue Zukunft: hier in unserem Miteinander und auch über unser irdisches Leben hinaus.

Heike Remy